Kinderbuchautorin Cornelia Funke
Kinderbuchautorin Cornelia Funke
Dirk von Nayhauß
"Ab und zu muss man tun, wovor man Angst hat. Angst will besiegt werden"
Angst will besiegt werden: Die Bestsellerautorin Cornelia Funke kann jetzt eine Cessna steuern.
Dirk von Nayhauß
03.06.2015

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Frei und glücklich sein? Das ist doch nur ein Klischee. Ich habe Kinder erlebt, die dieses Gefühl früh verloren haben, die überhaupt nicht wissen, wie sich das anfühlt. Von daher denke ich, dass selbst Kinder das lernen müssen. Am meisten schätze ich an Kindern, dass sie oft ohne Masken auskommen. Wenn ich eine Lesung habe, verstecken sie sich nicht, sie begegnen mir Auge in Auge, während die Erwachsenen oft damit beschäftigt sind, ihre Fassade zu halten. Das ist anstrengend. Überhaupt finde ich mit 57 Jahren die Erwachsenenwelt noch immer befremdlich. Meine Kinder behaupten, im Grunde sei ich sieben oder acht Jahre alt. Ich glaube, sie wollen damit ausdrücken, dass ich ganz schnell auf den Knien bin und mir irgendwas angucke, weil ich es näher sehen will und nicht drüber nachdenke, ob die Hose dreckig wird. Ich kann die Werte vieler Erwachsener nicht verstehen. Ich kann nicht verstehen, worauf Autorität gegründet wird. Erfolg, Geld, Macht – was soll der Reiz sein? Ja, Geld kann das Leben erleichtern, aber es kann das Leben auch unheimlich künstlich machen.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich hatte immer das Gefühl, dass mich jemand beschützt, und ich habe es deutlich gespürt, wenn der Schutz einmal weg war. Ich empfinde, dass ich eine göttliche Präsenz in meinem Leben habe. Dass ich um Hilfe bitten kann: Wenn es so richtig finster wurde, war ich nicht allein. Manchmal gehe ich vor Dankbarkeit auf die Knie, natürlich nur, wenn ich allein bin. Wenn mir beispielsweise jemand erzählt, dass er vor zwanzig Jahren, als asthmakrankes Kind, den „Drachenreiter“ im Bett gelesen und wie sehr ihm das geholfen hat. Dann möchte ich sagen: Danke, wieso passiert mir das alles?

Muss man den Tod fürchten?

Ich habe ihn noch nie gefürchtet. Er ist ein großes Abenteuer. Wahrscheinlich haben wir ihn schon mehrere Male hinter uns – ja, ganz sicher sogar. Ich habe noch nie in meinem Leben Angst davor gehabt. Natürlich fragen wir uns alle, wie er dann kommt. Hat man die Chance, ihm würdevoll und bewusst zu begegnen? Ich möchte nicht ganz plötzlich sterben, ich würde das schon gern erleben – es ist ja eine große Sache. Vor neun Jahren ist mein Mann an Krebs gestorben, und das hat mich in meiner ­Haltung eher bestärkt. Rolf fürchtete zwar, die Kinder zu verlieren und mich allein zu lassen, aber ich habe bei ihm keine Angst ge­sehen. Er hatte Krebs, was eine schmerzhafte Art des Sterbens ist. Am Ende hatte ich dieses Gefühl, dass Rolf richtig froh war, wegzukönnen aus diesem Körper, der nicht mehr wirklich ­funktionierte. Noch heute habe ich manchmal das Gefühl, er ist in meiner Nähe. Das kommt jetzt seltener als zu Anfang, aber ab und zu passiert es immer noch, dass ich plötzlich denke: Ist der gerade hier ins Auto gestiegen? Oder ich sehe eine Blüte am Wegrand und denke: Danke.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Wir waren 27 Jahre verheiratet. Als mein Mann starb, musste ich mich im Grunde neu erfinden. Es war für mich unheimlich schön, in den letzten zehn Jahren Freundschaft als ein unendlich großes Gefühl zu entdecken. Ich liebe es, eine erweiterte Familie von Freunden zu haben. Und Freundschaft muss nicht exklusiv sein. Man kann viele Freunde haben, die jeder einen anderen Aspekt von einem selbst erschließen. Manche Freunde verliert man ja auch. Das war ein ziemlicher Schreck, als mir das das erste Mal mit richtig guten Freunden passierte

Ist Angst ein Freund oder Feind?

Die Angst ist wie ein Wolf. Wenn man ihn füttert, dann wächst er. Den Wolf muss man kleinhalten, und das tut man am besten, indem man ab und zu Dinge tut, vor denen man Angst hat. Und wenn es nur lächerliche Sachen sind. Ich hatte Angst, Auto fahren zu lernen, ich war schon 45. Und heute denke ich: Um Gottes willen, wovor habe ich mich gefürchtet? Menschen, die sehr mutig leben, haben dieselben Ängste wie wir. Nur die Lust auf das, was sie tun wollen, ist größer. Ich bin gerade zum ersten Mal in meinem Leben selbst geflogen, habe eine Cessna kurz selbst gesteuert. Der Pilot meinte in der Luft: So, jetzt flieg du mal. Ich wollte schon immer Pilot sein, aber ich hatte eine Höllenangst. Da hat er das Flugzeug ein bisschen geschüttelt und mir gezeigt, was das alles kann. Und dann bin ich geflogen. Das war fantastisch! Jetzt ermutigt er mich, selber Pilotenstunden zu nehmen. Und das werde ich tun. Angst will besiegt werden.

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