Musiktipps September 2025
Innehalten
Der Sommer geht zu Ende - ein guter Moment zum Innehalten. Und reflektieren. Das tut diese neue Musik. Und gibt dabei Anstöße zum Runterkommen und Selberdenken
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Tim Wegner
25.08.2025
4Min

Was sieht man, wenn man innehält? Wenn man sich die Zeit nimmt, den Blick schweifen zu lassen, ihn letztendlich auch nach innen zu richten? Diese Frage stellt Musik immer wieder. Und häufig versucht sie auch, Antworten zu formulieren. So wie diese drei neuen Alben:

Den Stimmen Raum geben, den Moment einfangen

Eine Form von Innehalten kann auch einfach sein, etwas festzuhalten, bevor es vorbeigeht. Und sei es auch nur ganz kurz. Das erscheint als Leitmotiv beim neuen Album "Songs for Nina and Johanna" des schottischen Folkbarden James Yorkston, dem bereits sechzehnten alleine für sein aktuelles Plattenlabel "Domino". Nachdem er auch sein letztes Album, eine Kollaboration mit Nina Persson (bekannt von der Band "The Cardigans") und dem "Second Hand Orchestra", in Schweden aufgenommen hatte, zog es ihn erneut nach Stockholm ins Studio.

Im Gepäck hatte er Songs, die er erneut als Duette mit Nina Persson geschrieben hatte. Aber diesmal auch welche, die er mit Johanna Söderberg, Sängerin der Band "First Aid Kit", zusammen einsingen wollte. Wichtig war ihm dabei, den beiden außergewöhnlichen schwedischen Stimmen Raum zu geben, sich die Songs anzueignen – und dabei den Moment einzufangen. Folgerichtig wurden die Stücke auch überwiegend live im Studio eingespielt, eine eher seltene Vorgehensweise.

Dabei hatte er die Songs den beiden geradezu auf den Leib geschrieben. Wie sehr, illustriert vielleicht die Geschichte, dass die zum Zeitpunkt der Aufnahme hochschwangere Johanna Söderberg beim Song "Oh Sparrow, Up Yours" - ihrem Lieblingsstück - anfing zu weinen. Im Text geht es um Krebserkrankungen bei Kindern. Söderberg berichtet, dass sie so bewegt gewesen sei davon, dass sie die Tränen nicht zurückhalten konnte: "Ich glaube, man kann diese mütterliche Verletzlichkeit in meiner Stimme fühlen bei diesem Song" gibt sie hinterher zu Protokoll. In diesem Moment waren alle Beteiligten buchstäblich gezwungen zum Innehalten.

Ein Innehalten, das sich aber auf dem gesamten Album fortsetzt und transformiert, in zärtliche, verletzliche, herzzerreißende und auch lebensumarmende Musik, getragen von Gitarren und Piano, Saxofon und Schlagzeug, vor allem aber von Stimmen, die den Moment einfangen.

"Songs for Nina and Johanna" von James Yorkston auf Spotify anhören.

Auflehnen gegen das beredte Schweigen

Im Nachbarland Norwegen ist das zweite Album von Beharie entstanden. Der aus Sandnes stammende Sänger macht Musik an der Schnittstelle von Soul, Indie und Folk. Seine neue Songsammlung trägt den bezeichnenden Titel "When The Silence Gets Too Loud" und funktioniert ein bisschen wie ein musikalischer Entwicklungsroman. Bei Beharie bedeutet Innehalten auch und vor allem das Hinterfragen von Entwicklungen und Gewissheiten.

Gerade frisch in seinen Dreißigern (geboren 1994), stellt der Norweger fest, dass die Naivität und der Sturm und Drang der Zwanziger langsam weichen. Themen wie Scheitern und Enttäuschungen – auch und vor allem in der Liebe – und daraus resultierender Pessimismus treten hervor. Es gilt, zu überlegen, was es wert ist, dass man daran festhält – und was man loslassen sollte. Und dafür innezuhalten, um diese Entscheidung selbst zu treffen.

So lehnt er sich in der ersten Single des Albums, "Everybody Tells Me To Let Go", vehement dagegen auf, die scheinbare Wahrheit des Loslassens einfach übernehmen zu müssen. Und bei der zweiten Single, "Adore", geht es um den inneren Konflikt zwischen intensiver Liebe und Loslassen. Das Innehalten resultiert auf diesem Album, das sich gegen die laute Stille und das beredte Schweigen auflehnt, so vor allem aus Unsicherheit. Es braucht die Reflexion, um weitergehen zu können. Und das klingt musikalisch ebenso zerbrechlich wie erhaben gleichzeitig, intime und epische Momente, gezupfte Gitarren und Chöre lösen einander ab. Ein bisschen wie Nick Drake in einem maßgeschneiderten Motown-Soul-Gewand.

"When The Silence Gets Too Loud" von Beharie auf Spotify anhören (ab 12. September 2025).

Radikaler Eigenbrötler, aber gut für Überraschungen

Der kanadische Songwriter und Multiinstrumentalist Mac DeMarco wiederum präsentiert sich als ganz bei sich selbst - gilt er doch als radikaler Eigenbrötler. Zum einen beschreibt das seine Arbeitsweise: Auch das neue Album hat er wieder im Alleingang in seinem Studio in seinem Haus in Los Angeles produziert, wo er mittlerweile wohnt. Das heißt, dass er selbst alle Songs komponiert und getextet hat, sie in Eigenregie aufgenommen und abgemischt hat, dabei selbstredend alle Instrumente selbst gespielt und auch das Artwork selbst gestaltet hat. Sogar die Musikvideos dazu hat er selbst gemacht.

Zum anderen gilt das Eigenbrötlertum aber auch für Mac DeMarcos Musik: Nicht nur, dass er bei Live-Auftritten immer für eine Überraschung gut ist - oder auch mal, wie zuletzt, digitale Alben mit 199 Songs und Songskizzen veröffentlicht. Auch der Stil seiner Musik ist nahezu unbeschreiblich. Manchmal verwendet er selbst den Begriff "Jizz-Jazz-Pop" dafür. Allerdings konstatiert er gerne: "Musik sollte immer spannend klingen."

Auf "Guitar" ist zumindest wieder der fast schon als Markenzeichen geltende, eigentümlich entspannte, melodiös eiernde Indiefolk-Sound zu hören, der einen irgendwie hypnotisch in den Bann zieht. Und auch Mac DeMarco geht es auf diesem Album um das Innehalten, das (An-)Fixieren eines bestimmten Status Quo: "Ich denke, ‚Guitar‘ ist so nah dran an dem, wo ich gerade im Leben stehe, wie ich es überhaupt festhalten kann." Und so geht es in den Texten des Neu-Kaliforniers um Dinge wie Neuanfänge oder das, was uns heilig ist.

Die erste Single, "Home", arbeitet sich zum Beispiel an der Idee von Heimat ab und beschreibt, was bleibt, wenn Erinnerungen schwerer wiegen als Orte. Das führt zu einer Klarheit bei melancholischer Grundstimmung. Ein bisschen, wie wenn beim Innehalten das Auge langsam im Nebel die Silhouetten von Dingen erkennt, die dadurch auf ihre einfachen Grundformen reduziert werden. Musik wie ein Verzögerungsstreifen an der Lebensautobahn.

"Guitar" von Mac DeMarco auf Spotify anhören.

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James Yorkston: Songs for Nina and Johanna. Domino

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Beharie: When The Silence Gets Too Loud. Petroleum

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Mac DeMarco: Guitar. MRL

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