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Introspektive - aber nicht deprimiert oder hoffnungslos
Sogar schon 21 Jahre gibt es die Hamburger Band "Herrenmagazin" nun - und immer noch überzeugen die Vier mit melodiös-melancholischem Indierock zu nachdenklich-introspektiven Texten. Irgendwie hatte man auch nicht mehr mit ihnen gerechnet – doch jetzt erscheint ziemlich genau ein Jahrzehnt nach ihrem letzten Album "Sippenhaft" das neue Werk: "Du hast hier nichts verloren". Das kommt ein bisschen unerwartet. Sogar für die Band selbst, wie Sänger und Gitarrist Deniz Jaspersen zugibt: "Es überrascht mich immer noch selbst, dass da nun von uns ein neues Album kommt", sagt er. "Vor allem überrascht mich, wie schnell es dann am Ende ging." Man habe den Perfektionismus und die überhöhten Ambitionen ein wenig beiseitegelegt und sei ganz unverkrampft an die Sache rangegangen.
Die Songs stammen dabei aus ganz unterschiedlichen Phasen der letzten Jahre, einige sind fast so alt wie das Vorgängeralbum. Getextet wurde häufig gemeinsam, manchmal entstanden die Lyrics aus Gesprächen am Küchentisch des Schlagzeugers Rasmus Engler. Und diese Texte haben es in sich: Ja, sie schauen nach innen, aber nicht nur deprimiert oder gar hoffnungslos. Sie schauen genauso auch nach vorne.
Und sie haben Witz. Lieblingszeile (aus dem Song "Fragment"): "Und damit mir niemand mehr im Wege steht, versuch' ich mir in Zukunft, aus dem Weg zu gehen." Ihre Art zu texten, überhaupt ihre Haltung beschreibt Sänger Jaspersen als "sagen und erzählen davon, was ist". Diese neue Gelassenheit kommt nicht zuletzt durch die lange Pause der Pop-Veteranen aus der Hansestadt. Nicht das Schlechteste, meint Jaspersen: "Den meisten Bands, die so lange dabei sind, täte es vielleicht mal ganz gut, zehn Jahre lang keine Platte zu machen."
Die "zwölftbeste Band West-Hamburgs" gibt sich die Ehre
"Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen" veröffentlicht seit 2012 ihre gut gelaunten Northern Soul-Songs über Verlierer, Fußball und das echte Leben. Die Vorgängerformation "Superpunk" wurde allerdings schon vor 29 Jahren gegründet. "Egg Benedict" ist das nunmehr siebte reguläre Album der fünf Gentlemen, die sich selbst tiefstapelnd als "zwölftbeste Band West-Hamburgs" bezeichnen. Dabei haben die Liebhaber von sonnigen Melodien, Offbeats, mitsingbaren Refrains und bohemistischen Haltungen längst Kultstatus.
Stadien füllen sie vielleicht nicht gerade, dafür tropft bei ihren Clubauftritten der Schweiß von der Decke. Immer wieder feiern sie in ihren Songs Underdogs oder - ihrer Meinung nach - zu wenig bekannte Persönlichkeiten wie den Proto-Graffitti-Künstler Peter-Ernst Eiffle, den Filmemacher Werner Enke oder auf dem neuen Album die Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr. Es gibt aber auch Stücke über Gewerkschaften und Zechpreller, über Matratzenmärkte, Pfandflaschen und Tierasyle.
Die bekennenden Fans des Hamburger SV feiern dabei immer eine "Trotzdem"-Haltung. So heißt es demonstrativ auf dem aktuellen Werk, mit Chor-Unterstützung: "Wenn du ein Problem hast – sch… drauf!" Und nicht umsonst eröffnet der Longplayer mit dem schönen Stück: "Es ist immer Sommer irgendwo". Das ist schon eher "Prinzip Hoffnung" als Zweckoptimismus. Und bei alledem wissen die Herren im nun gesetzteren Alter immer, worauf es wirklich ankommt, denn auch dieser Erkenntnis haben sie einen Song gewidmet: "Es ist nett, nett zu sein"!
Gefühlswelten und Zeitgeist mit Gesellschaftspolitik und Küchenphilosophie
Die 30 Jahre voll machen dieses Jahr die Kölner von "Erdmöbel". Diese Band ist ein Phänomen: In schöner Regelmäßigkeit veröffentlichen sie Alben, die nur so strotzen vor spannender, komplexer Musik, die dabei doch so emotional und leichtgängig daherkommt. Irgendwo zwischen dem Electric Light Orchestra, den späten Beatles und Elvis Costello klingen ihre Stücke wie gute alte Freunde und gehen meist direkt zu Herzen.
Bei ihren Konzert-Tourneen entfesseln sie damit allerdings regelmäßig eine grandiose Feierstimmung und ausgelassene Mitsing-Momente - obwohl die Texte von Sänger und Gitarrist Markus Berges, im "Nebenberuf" längst gefeierter Romanautor und Schriftsteller, keineswegs unterkomplex sind. Im Gegenteil: Es gelingt ihm immer wieder, differenzierte Gefühlswelten, Zeitgeist, Gesellschaftspolitik und Küchenphilosophie in wenigen einprägsamen Worten zusammen in einem dreiminütigen Stück unterzubringen. Vielleicht hat die Süddeutsche Zeitung Erdmöbel deswegen schon im Jahre 2010 zur "größten deutschen Band unserer Tage" erklärt.
Was sie womöglich dazu macht, ist auf jeden Fall der Eigensinn, mit dem sie seit drei Jahrzehnten ihr eigenes Ding macht. Beispiele dafür sind etwa ihr Jahresendlied-Projekt, das unzähligen Fans und ihren Familien das Weihnachtsfest ganz unkitschig versüßt oder das Ganze überhaupt erst feierbar gemacht hat. Oder die diversen Versionen von "Hoffnungsmaschine", einer DER politische Songs der 2020er Jahre, immer wieder neu aufgenommen und aufgeführt: In der Corona-Pandemie, in Solidarität mit den Frauen im Iran, zum Israel-Palästina-Konflikt, … Oder die verrückt-schönen Duette mit unter anderem Ulrich Matthes, Maren Eggert, Judith Holofernes oder Désirée Nosbusch.
Deshalb schrieb DIE ZEIT auch ganz folgerichtig: "Die Schublade, in die man Erdmöbel sperren könnte, die ist noch nicht erfunden." Auf ihrem Jubiläumsalbum haben Erdmöbel nun das Beste aus 30 Jahren und auch eine Handvoll neuer Songs zusammengestellt – und das alles zusammen extra arrangiert und mit den Streichern vom Kaiser Quartett aufgenommen. So bekommen diese funkelnden Ohrwürmer zum Nachdenken und Mitsingen einen absolut angemessenen Geburtstagsglanz und leuchten in allen Farben, die sie schon immer hell aufblitzen ließen.
Herrenmagazin: Du hast hier nichts verloren. GH van Cleef
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen: Egg Benedict. Tapete
Erdmöbel & Kaiser Quartett: Hätte Sehnsucht Gewicht. Jippie!