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In der Musik – und ganz besonders in der Pop-Musik - werden oft Gefühle kommuniziert. Angebetete werden angesungen, Verflossene beweint oder in Ungnade Gefallene angefeindet. Wesentlich seltener jedoch wird intelligent über Gefühle reflektiert. Ist ja auch gar nicht so unkompliziert, das Ganze…
Eine Reise in tiefe Gefühlswelten, begleitet von zauberhaften Melodien
Ein Album, das der Herausforderung in dieser Aufgabenstellung - Komplexität und Emotionalität unter einen Hut zu bringen - mit einem erfolgversprechenden Konzept begegnet, ist das zweite Album der Band Foxwarren, das auch schlicht "2" betitelt ist. Nach dem hübschen, klassisch eingespielten Folkrock auf dem ersten Album des kanadischen Quintetts, das bereits vor sieben Jahren erschien, entschied man sich nämlich jetzt für eine ganz andere Arbeitsweise: In ihren jeweiligen eigenen Heimstudios in vier verschiedenem Provinzen luden alle Bandmitglieder Songideen und -Fragmente online hoch. In Toronto steckte Andy Shauf diese Schnipsel dann in einen Sampler und konstruierte daraus mittels klassischer HipHop- und Collage-Techniken Songs. Die Anderen stießen in wöchentlichen Online-Meetings dazu und gaben aus der Ferne Anregungen, in welche Richtung sich ein Stück weiterentwickeln könne.
Was dabei herauskam, ist ein Zyklus mit überraschenden Songs - gleichzeitig seltsam unstrukturiert und doch wunderbar erzählerisch und catchy - der sich mit den Unwägbarkeiten der Liebe und von Paarbeziehungen befasst. Gesampelte Stimmen aus der Vergangenheit fließen fast geisterhaft in die Songs aus der Gegenwart, Gespräche zwischen zwei Liebenden, die aus gefundenen Aufnahmen bestehen. Besonders auffällig ist das bei der Leadsingle "Listen2me", die einem Dialog entlehnt ist, eingebettet in ein Gitarrenriff und einen stolpernden Rhythmus, während der Text einen lautstarken Liebesstreit schildert. Insgesamt begibt man sich beim Hören des Albums auf eine Reise in die Tiefenschichten von Gefühlswelten, transportiert von zauberhaften Melodien, die den Weg weisen.
"2" von Foxwarren auf Spotify anhören
Musikmachen als Kinder-Spiel
Technisch-strukturell den beinahe entgegengesetzten Weg gegangen ist der Londoner Rapper Loyle Carner. Auf seinem vierten Album hat er sich weitgehend von klassischen HipHop-Sample-, Cut- und Loop-Techniken verabschiedet und über Musik gerappt, die von einer Alternative-Rock-Band eingespielt wurde.
Dabei klingt diese allerdings weniger nach harten, rhythmusgetriebenen Kollegen wie Rage Against The Machine oder Red Hot Chili Peppers, sondern eher entspannt-schluffig, beinahe jazzig, wie Pavement oder Real Estate. Und das wiederum passt bemerkenswert gut zu den Inhalten. Die neuen Songs des Mannes, der ursprünglich Schauspieler werden wollte, befassen sich nämlich vor allem mit seiner neuen Rolle als Vater und seinen Gefühlen für seinen kleinen Sohn. Dieser hat nicht nur das "Artwork" für das Albumcover übernommen, sondern war auch prinzipiell immer bei der Arbeit am neuen Album dabei. Und zwar ganz buchstäblich, nicht bloß in den Gedanken: Er war mit auf Tour, hatte sein eigenes Bettchen und war sehr oft auch mit im Studio. Der Kleine, so Carner im Interview mit BBC 6, sah die ganzen Prozesse bloß als ein großes Spiel. Und brachte damit seinem Vater ebenfalls einen entspannteren Umgang mit der Musik bei. Plötzlich konnte der wieder die Freude an der Musik stärker empfinden, indem er das Ganze nicht mehr so verbissen ernst nahm und seine vermeintliche Komfortzone verließ.
Tiefenentspannt gerappt hatte Loyle Carner ja ohnehin schon immer. Seine poetischen Lyrics - eigentlich Gedichte - hatten schon auf seinem Debütalbum diesen ganz besonderen, lässig-weichen Flow. Zuvor hatte sich der als Benjamin Coyle-Larner geborene junge Mann in Anspielung auf seine Lese-Rechtschreibstörung und sein ADHS bereits den Künstlernamen Loyle Carner gegeben. Mittlerweile engagiert er sich selbst stark für andere Betroffene von ADHS und Dyslexie. Außerdem hat er schließlich nun doch auch noch sein Schauspieldebüt gegeben, in der Fernsehproduktion "Mint". Und jetzt mit "hopefully !" eine Reflexion über die Gefühle vorgelegt, die das Erwachsensein so mit sich bringt.
"hopefully !" von Loyle Carner auf Spotify anhören
Jarvis Cocker zeigt endlich Gefühle
Die Geschichte des neuen Albums von Pulp, der legendären BritPop-Band, die in den Neunzigern den "dritten Weg" zwischen Oasis und Blur beschrieb, beginnt vor einigen Jahren. Damals fand sich Jarvis Cocker, Kopf und Texter der Band, in einer neuen Situation wieder. Bisher hatte er, mit Pulp und auch in seinen anderen Projekten, vor allem brillante Texte über Gedanken und Ideen geschrieben, Geschichten erzählt und Konzepte verfolgt, genial provoziert und Menschen aus der Seele gesprochen. Aber hatte kaum wirklich über Gefühle geschrieben.
Das Schreiben, so realisierte er zu dieser Zeit, war im Grunde wie das Leben selbst. Ohne Gefühl war es nicht wirklich aufregend. "Dann ist es eine ziemlich öde Sache", so Cocker. "Es steckt kein Leben darin." Und mit dieser Erkenntnis kam die Abrechnung mit seinem eigenen Tun. "Ich nehme an, das war der Beginn meiner Auseinandersetzung mit… Gefühlen" sagt der hagere Brite. Und so kam es dann schließlich auch, dass nun nicht nur eine Band-Reunion erfolgt ist, sondern mit "More" das erste Album von Pulp seit 24 Jahren vorliegt. Und was für eines! Ganz großes Pop-Kino, bei dem alle Register gezogen werden. Es wird getanzt und geweint, gesprochen, gemahnt und geliebt. Es gibt Melodien, Gitarren, Atmosphäre – und Gefühle! Früher war das Texte schreiben eher ein Abwehrmechanismus bei Cocker: "Ich verpackte Dinge lieber in Songs, als wirklich mit den betreffenden Leuten zu sprechen."
Nun ist diese Herangehensweise einer neuen, nennen wir es "reflektierten Unmittelbarkeit" gewichen. Und die mündet letztendlich in eine Haltung, die das Leben als solches annimmt und "Ja" dazu sagt. 2024 hat Jarvis Cocker übrigens geheiratet. Und das neue Album zuerst seiner Frau vorgespielt. Zum Glück hat sie positiv reagiert, so Cocker: "Sie hat sich die Songs angehört und mag sie alles in allem…"
Foxwarren: 2. Anti
Loyle Carner: Hopefully! Island EMI
Pulp: More. Rough Trade