Neue EKD-Friedensdenkschrift
Frieden braucht Stärke
Die evangelische Kirche denkt friedensethisch um: Nicht mehr die Gewaltlosigkeit steht im Vordergrund, sondern wie man Menschen vor Gewalt schützen kann - notfalls mit Gewalt
Generalmajor Ruprecht von Butler spricht zum Eröffnungsgottesdienst Eröffnungsgottesdienst unter dem Leitwort "Die Zeit ist jetzt" in der Dresdner Dreikönigskirche zur 6.Tagung der 13.Synode der EKD
Generalmajor Ruprecht von Butler spricht zum Eröffnungsgottesdienst unter dem Leitwort "Die Zeit ist jetzt" in der Dresdner Dreikönigskirche zur 6.Tagung der 13.Synode der EKD
Paul-Philipp Braun/epd-bild
Lena Uphoff
10.11.2025
4Min

Es kommt nicht alle Tage vor, dass in einem evangelischen Gottesdienst ein Generalmajor der Bundeswehr spricht. Im Eröffnungsgottesdienst der diesjährigen Tagung des höchsten evangelischen Kirchenparlaments in Dresden berichtete Generalmajor Ruprecht von Butler, wie der Glaube ihn in seinem Dienst prägt und innerlich stärkt.

Auch der sächsische Landesbischof Tobias Bilz ging in seiner Predigt auf die Bundeswehr ein. Er träume davon, dass junge Soldatinnen und Soldaten von der Hoffnung auf ein Friedensreich erfasst werden, wenn sie "einem verbrecherischen Tyrannen mit der Waffe in der Hand entgegentreten." Den Militärdienst beschrieb der Bischof als "furchtbare Pflicht, das Leben zum Schutz anderer zu riskieren".

In einer Fürbitte hieß es: "Gott, wir bitten dich für Soldatinnen und Soldaten, die in Einsätzen stehen und für die, die Verantwortung für sie tragen. Sie müssen Entscheidungen zwischen Leben und Tod treffen. Lass sie hellwach bleiben im Gewissen, behüte sie vor dem Bösen, schenke ihnen die Kraft, die sie brauchen."

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die evangelische Kirche verstanden hat: Allein der Ruf, dass Kriege nicht sein sollen, wird keinen diktatorischen Aggressor abschrecken. Man muss sich verteidigen können und Schwachen und Angegriffenen beistehen. Dafür braucht es mutige Männer und Frauen in Uniform.

Diese realpolitische Einsicht mag für viele Menschen selbstverständlich sein - für die evangelische Kirche ist es ein Paradigmenwechsel. Nicht erst seit der Friedensbewegung in den 1980er Jahren prägte die pazifistische Haltung, die Gewalt strikt ablehnt, die evangelische Friedensethik. Schließlich sagte Jesus laut Lukasevangelium: "Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar." Und heißt es nicht im 5. Gebot: "Du sollst nicht töten?"

Dass diese pazifistische Position nun selbst an so einem symbolischen Ort wie dem Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode nur eine Randerscheinung blieb, ist bemerkenswert. Auch die neue Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche kennzeichnet die neue realpolitische Haltung.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Tatsache, dass nun wieder Krieg in Europa geführt wird und - was noch wichtiger ist - mit dem Ziel, die westlich-liberale Lebensweise anzugreifen, führte auch in der Kirche dazu, dass viele ihre Position hinterfragten. Es hat die Friedensethik ganz schön durchgerüttelt.

Aber die Kirche plappert nicht einfach nach, was Politiker sagen. Die neue Friedensschrift ist ein dezidiert theologisches Werk. Sie ist einerseits getragen von der christlichen Hoffnung auf ein göttliches Friedensreich, in der es keine Gewalt mehr geben wird und "..abwischt alle Tränen". Und zugleich von der christliche Vorstellung, dass alle Menschen auf Erden Sünder sind und es auch bleiben werden, egal wie sehr sie sich bemühen. Alle Versuche, eine sündenfreie Welt herbeizuführen, werden scheitern. So sahen es die Autoren der Bibel. So sah es Martin Luther.

Man darf die neue Friedensdenkschrift allerdings nicht als ein Lehrdokument missverstehen, das die eine felsenfeste und eindeutige Sicht der evangelischen Kirche wiedergibt. Der Text soll vielmehr ein Kompass sein, um das Gewissen zu schärfen. Denn jeder und jede trägt die Verantwortung für die eigene Entscheidung.

Leitbild ist der "Gerechte Frieden"

Im Zentrum des Textes steht wie auch schon im Vorgängertext von 2007 das Leitbild des "Gerechten Friedens". Danach sollen alle streben. Die Autorinnen und Autoren sind sich aber bewusst, dass dieser Zustand des "gerechten Friedens" auf Erden nicht zu erreichen ist. "Gerechter Friede" sei vielmehr ein Prozess. Man könnte auch sagen, ein fernes Ziel, auf das alle hinarbeiten sollen – auch wenn es niemals erreicht wird.

Der "Gerechte Frieden" umfasst vier Dimensionen: Schutz vor Gewalt, Förderung von Freiheit, Abbau von Ungleichheiten und friedensfördernder Umgang mit Pluralität. Die vier Dimensionen bedingen einander. Doch der Schutz vor Gewalt ist die wichtigste.

Hier zeigt sich der Paradigmenwechsel besonders deutlich. Während die Denkschrift von 2007 die Gewaltlosigkeit betonte, rückte seit dem Ukraine-Krieg der Gedanke in den Vordergrund, dass Frieden und Recht unter Umständen auch mit Gewalt geschützt werden müssen. Und dass der generelle Verzicht von Gewalt eher zu noch mehr Gewalt durch den Angreifer führt. Und somit nicht zu einem "gerechten Frieden", sondern in eine noch ungerechtere Welt.

Dieser Punkt ist zentral – auch für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die schon im Eröffnungsgottesdienst an so prominenter Stelle vorkamen. Denn der Schutz vor Gewalt, den die neue Friedensschrift so stark betont, setzt voraus, dass es Institutionen und Menschen gibt, die ihn gewährleisten können. Das sind zwar nicht nur, aber besonders: die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten. Sie sind entscheidend dafür, dass der "Gerechte Frieden" überhaupt als Möglichkeit gedacht werden kann.

Dass die Autorinnen und Autoren der Friedensschrift dann bei der Wehrpflicht auf Freiwilligkeit setzen, könnte man also als inkonsequent bezeichnen. Sie plädieren für einen generellen Freiwilligendienst, bei dem sich die Freiwilligen entscheiden können, ob sie den Dienst im militärischen oder zivilen Bereich leisten wollen. Das ist zwar ganz im Sinne protestantischer Freiheit. Trotzdem bleibt die Frage: Wer soll den Schutz vor Gewalt gewährleisten, wenn es nicht genügend Soldatinnen und Soldaten gibt?

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