Egal, ob man es "verpflichtendes Dienstjahr" (CDU) oder "Freiheitsdienst" (Grüne) nennt – es bleibt ein antifreiheitlicher Akt, wenn der Staat junge Bürgerinnen und Bürger zu einem Zwangsdienst bei der Bundeswehr oder im Zivilen verpflichtet. Und Totalverweigerung bestraft: Männern, die ihren Dienst nicht antraten, drohten im Jahr 2011 (als es noch die Wehrpflicht gab) bis zu 84 Tage Arrest.
Ungerecht ist der Zwangsdienst auf viele Weisen. Weil bislang laut GG nur Männer zum Dienst verpflichtet werden und Frauen könnten, müssten aber nicht. Man könnte natürlich das GG ändern und auch Frauen verpflichten. So ist es zum Beispiel in Israel und Schweden. Da leisten Männer und Frauen gemeinsam Wehrdienst, das ist zumindest gleichberechtigtes Leid.
Zum anderen wurde der Dienst fürs Vaterland zumindest in der Vergangenheit mickrig entlohnt. Maximal 10,95 Euro waren es zuletzt pro Kalendertag. Eine Demütigung. Wenn schon Zwang mit Knastandrohung, dann wenigstens mit Mindestlohn.
Ich selbst musste noch Zivildienst leisten. "Und, hat es dir geschadet?" war damals wie heute die Suggestivfrage der Älteren, die vor mir "gedient" hatten und es anscheinend nur gerecht fanden, dass auch die Jüngeren herangezogen wurden. In der Frage schwang die Vorstellung mit, der Dienst würde einen charakterlich reifen lassen, während man einen Beitrag für "die Gesellschaft" leisten würde.
"Ja, es hat mir geschadet!", ist meine ehrliche Antwort. Eine der drei Stationen meines Zivildienstes war die Krankenhausküche. Dort wusch ich das dreckige Geschirr, stand in dicker Küchenkleidung vor der dampfenden Spülstraße und musste die Mülltonnen voller flüssiger alter Speisereste durch die Gänge rollen. Da die Kollegen die Mülltonnen jedes Mal bis zum Rand füllten, schwappte die vergorene Brühe aus Essensabfällen und alter Suppe auf den Boden, was ich natürlich auch noch wegwischen musste. Die Tonnen voller flüssiger Speisereste lagerten dann tagelang in einer Garage, bis ein Bauer sie abholte. Er fütterte damit seine Schweine. Mir fällt nichts ein, was ich bei diesem Küchendienst fürs Leben gelernt haben soll, außer das Grauen vor einer Großküche.
"Mir fällt nichts ein, was ich bei diesem Küchendienst fürs Leben gelernt haben soll, außer das Grauen vor einer Großküche"
Constantin Lummitsch
Trotzdem war es meine beste Zivi-Station. Schlimmer war die Zeit in der Gerontopsychiatrie. Dort lagen alte Menschen mit Demenz oder schweren psychologischen Erkrankungen. Sie bekamen viele Tabletten und wenig Therapie - wie in einem schlechten Film. Höhepunkt des Tages war ein einstündiger Spaziergang mit den Patienten durch den Krankenhausgarten – aber nur, wenn das Wetter gut war. Zu meinen Aufgaben gehörte, immer wieder eine demente alte Dame einzufangen, die fast jeden Tag ausbüxte und dann an der Bushaltestelle wartete. "Ich will nach Hause!", sagte sie und weinte oft. Sie hatte vergessen, dass ihre Familie sie hier eingewiesen hatte.
Ich sollte sie mit dem Versprechen von Kaffee und Kuchen zurück in die Anstalt locken. Oder der Lüge, ihr längst verstorbener Mann würde dort auf sie warten. Diese Lügen fielen mir am Anfang noch schwer, nach ein paar Wochen war es aber ganz normal geworden. Eine Schulung zum Umgang mit psychisch Kranken oder Dementen gab es nicht. Ich fühlte mich dort sehr unwohl in meiner Rolle als Patientenjäger und Lügner.
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Meine letzte Station war das Altenheim. Dort warteten die Menschen auf den Tod. Es roch nach Urin. Die Menschen waren furchtbar einsam. Ich tauschte als Hilfshausmeister defekte Glühbirnen aus oder sorgte dafür, dass die Heimbewohner genug tranken, brachte ihnen Wasser aufs Zimmer. Da hockten sie vor den Fernsehern und waren ausnahmslos furchtbar traurig. Oder sie waren krank, hatten Schmerzen und lagen betäubt im Bett. Ich sah, dass das Leben an seinem Ende oft wie eine Strafe ist. Das machte mir große Angst vor dem Altwerden. Daran können auch vitale Hochbetagte wie Clint Eastwood (*1930) oder Al Pacino (*1940), der mit 83 sogar noch mal Vater wurde, nichts ändern. Sie sind die Ausnahmen. Einsamkeit und Krankheit im Alter sind die Regel.
Mein Job als Glühbirnen austauschender Hilfshausmeister war öde – und wirklich helfen konnte ich den Einsamen auch nicht. Ich hätte lieber eine Theatergruppe oder einen Lesekreis für die Bewohner gegründet, aber dafür blieb keine Zeit. Ständig war in diesem riesigen Altenheim etwas kaputt, was ich mehr schlecht als recht reparieren musste. Mit Zivildienst, also einer irgendwie sozialen Tätigkeit – hatte das nichts zu tun. Hier wollte ich als alter Mensch niemals landen, dachte ich. Aber wo und wie würde ich dann einmal sterben? Das Einzige, was bei mir von diesem Job hängenblieb, war die Erkenntnis: Altwerden ist die Hölle.
Wenn es wieder eine Dienstpflicht geben sollte – in welcher Form auch immer – sollten solche Jobs, wie ich sie gemacht hatte, nicht mehr dazugehören. Wer mit Patienten arbeitet, muss dazu ausgebildet werden. Zivildienstleistende dürfen keine Billigarbeitskräfte sein, die nur die stinkenden Mülltonnen rausbringen sollen, weil es sonst keiner machen will.
Neulich erzählte mir ein Bekannter, sein Zivildienst in einem Jugendclub sei toll gewesen. Kiffen, Konzerte veranstalten, Bier trinken und rumknutschen. Das klang gut. Aber es können nicht alle Zivis im Jugendclub arbeiten. Deshalb sollte man es lieber lassen mit der Dienstpflicht. Denn alle sollten es gleich gut haben – und nicht gleich schlecht. Und am wenigsten sollte jemand im Dienst sterben. Aber bei der Bundeswehr gehört das zum Berufsrisiko.