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Natürlich nutze ich allerlei digitale Möglichkeiten, aber in einem bin ich – wie viele Ältere – sehr vormodern. Ich kann mir nicht vorstellen, mein religiöses Leben im Internet zu verbringen. Ich schaue keine Gottesdienste auf YouTube, folge keinen christlichen Influencern, bete und singe nicht auf TikTok.
Es käme mir nicht in den Sinn. Wahrscheinlich wäre es mir peinlich.
Bei vielen Jüngeren ist es anders. Sie gehören keiner Gemeinde an, gehen nicht in eine Kirche aus Stein, besuchen keinen Gottesdienst mit Kerzen, Orgel und leibhaftigen Menschen neben sich.
Stattdessen nutzen sie digitale Angebote – mehr noch, sie kuratieren mit ihren Klicks und Posts eine eigene religiöse Identität. Aber was erleben sie, wie fühlen sie sich dabei?
Einen sehr interessanten Hinweis dazu hat die österreichische Soziologin und Religionswissenschaftlerin Katharina Limacher in der Zeitschrift "Kunst und Kirche" gegeben. Sie hat in dem Forschungsprojekt "YouBeOn – Young Believers Online" untersucht, was jüngere Menschen im Internet als Religion erleben und gestalten. Besonders ein Ergebnis finde ich bemerkenswert: "Die Suche nach (Online-)Gemeinschaft mit religiös Gleichgesinnten geht einher mit einem Gefühl der Marginalisierung. Das Gefühl, einer Minderheitsreligion anzugehören oder sich als religiöse Minderheit gegenüber einer nicht religiösen Mehrheit zu sehen, ist ein bestimmendes Muster in den Daten."
Junge Menschen suchen im Internet religiöse Gemeinschaft und finden sie auch. Dabei spielen konfessionelle Grenzen, anders als in der analogen Welt, keine Rolle: Katholiken oder Freikirchliche verknüpfen sich problemlos miteinander. Allerdings findet kein Austausch über Religionsgrenzen hinweg statt. Muslime, Juden oder Christen bleiben jeweils unter sich.
Doch entscheidend ist, dass die digitalen Gemeinschaften nicht nur wärmen, sondern auch von einem Gefühl der Einsamkeit bestimmt sind. "Wir sind wenige! Die Umwelt achtet und beachtet uns nicht!" Diese Stimmung kennt man traditionell von Freikirchen, die tatsächlich klein sind. Im Netz aber äußern sich auch Katholiken so, obwohl sie in Österreich immer noch die Mehrheit darstellen.
Was macht dieses Marginalitätsgefühl mit Online-Gläubigen? Es steht doch offensichtlich im Gegensatz zum Mitteilungsbedürfnis vieler Influencer. Oder äußert sich hier die Frustration erfolgloser Missionare? Das Internet ist ein unendlicher Ort des Rufens und Werbens, der Propaganda und Mission. Doch die wenigsten haben großen Erfolg. Ist das im Netz schwerer zu ertragen als im analogen Alltag? Gibt es dort mehr Anfeindungen, denen man ausgesetzt ist?
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Allerdings gibt es auch religiöse Influencer, die dieses Gefühl mit Absicht schüren. Man kann Gemeinschaften bilden und festigen, indem man ein verbindendes Opfer-Narrativ verkündet. Einige haben damit großen Erfolg, wie Beispiele aus den USA zeigen. Ungefährlich sind sie nicht, denn das Gefühl, verachtet und verfolgt zu werden, schlägt leicht in Aggression um. Das alles wäre weitere Untersuchungen wert.
Übrigens, ein reizvolles digitales Religionsangebot möchte ich bald selbst ausprobieren: das Netzkloster. Ich werde berichten.
Hier geht es zum Forschungsprojekt von Katharina Limacher. Gemeinsam online meditieren geht hier: Netzkloster Schweiz

