Edna Holz (Jahrgang 1970):
Ich wusste schon als Kind, dass ich Krankenschwester werden will. Als ich mir mit acht den Arm gebrochen hatte, war ich für eine Woche im Krankenhaus, irgendwie fand ich es da cool. Während der Ausbildung war ich auch mal in der häuslichen Krankenpflege, aber das war nichts für mich. Ich wollte Action, am besten Intensivstation – und nicht nur einer Oma die Insulinspritze geben.
Als ich 21 war, starb meine Mutter an Brustkrebs. Sie wollte zu Hause sterben. Ich fand das absurd. Man stirbt im Krankenhaus, Punkt. Ich wollte schließlich nichts falsch machen; und ich fürchtete, ich könnte das Schlafzimmer sonst nie wieder betreten. Mit dem Hausarzt hatte ich einen Pakt geschmiedet, dass sie am nächsten Tag ins Krankenhaus sollte. Am Abend saß ich am Bett meiner Mutter und weinte sehr. In der Nacht schloss sie die Augen.
Natürlich wäre es zu Hause gegangen. Aber ich hätte jemanden gebraucht, den ich fragen kann: "Sie atmet komisch, was bedeutet das denn jetzt?" Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich erkannte, dass ich genau das beruflich machen will: zu den Menschen nach Hause gehen, ihnen mit meinem Fachwissen die Angst nehmen. Erst mal arbeitete ich lange in Krankenhäusern. Die Zimmer von Frauen mit Krebs im Endstadium mied ich möglichst. Ich hatte Angst, dass sie mich fragen: "Warum?" Und Angst, dass ich weine.
Dann sah ich diese Anzeige: Ambulanter Palliativdienst, gutes Gehalt, Wertschätzung, sinnbringende Arbeit. Beim Vorstellungsgespräch erklärte mir der Chef die Palliativversorgung in der Häuslichkeit. Ich war hin und weg. Ich bin dort richtig aufgeblüht. Inzwischen arbeite ich beim Ambulanten Palliativdienst vom Hospiz Luise in Hannover.
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Ich weiß vorher nie genau, was mich in einem Haushalt erwartet. Aber ich bin neugierig. Und mir hilft, dass ich in meiner Freizeit Improvisationstheater spiele. Ich habe immer weniger die Sorge, dass mir mal nichts einfällt. Ich lerne, das Leben zu nehmen, wie es kommt.
Mir ist auch Humor sehr wichtig. Meine Kollegin lacht noch heute, wenn sie sich erinnert, wie wir bei einer sehr jungen Patientin waren, die im Sterben lag. Wir mussten noch viel machen und tun, die Frau lag im Ehebett, ich kniete im Bett ihres Mannes und sagte: "Wenn ich nachher meinem Freund erzähle, dass ich schon wieder in fremden Betten unterwegs war . . ." Da mussten alle lachen.
Manchmal, wenn ich mit Patienten zu tun habe, die demnächst sterben werden, insbesondere Frauen, bin ich wieder die 21-Jährige und werde traurig. Vor kurzem begleitete ich eine Psychologin, die ich von Fortbildungen kannte und sehr mochte. Sie hatte sich an mich gewandt: "Edna, ich hab Krebs, kannst du mich begleiten?" Ich sagte: "Ja, aber ich weiß nicht, ob ich es bis zum Ende aushalte."
Drei Tage vor ihrem Tod war ich noch mal dort. Ihr Mann sagte: "Ich lass euch mal alleine." Ich dachte: "Oh Gott!" Sie war schon sehr verwirrt, wegen der Hirnmetastasen. Erst saß ich auf einem Stuhl neben dem Bett. Schließlich setzte ich mich auf die Bettkante. Wir legten die Hände aneinander. Sie schlief immer wieder ein. Ich saß da und heulte. Aber ich hab es ausgehalten. Es war gut. Am Bett eines sterbenden Menschen ist so eine Friedlichkeit, dann bleiben die Uhren stehen.
Als ich einen Spiritual-Care-Kurs machte, sagte am ersten Tag ein Teilnehmer: "Ich habe Angst vor der Frage ‚Warum?‘." Der Kursleiter antwortete: "Warum ist gar keine Frage, warum ist eine Klage." Da hatte sich der Kurs für mich schon gelohnt. Es gibt keine Antwort auf diese Frage.
Das Schlimmste, was passieren kann, ist diese fürchterliche Unruhe. Da ruft dann nachts um drei jemand bei unserer Rufbereitschaft an: "Meine Mutter schreit vor Schmerzen, und sie hat gar keine Schmerzen, aber sie schreit." Es gibt dagegen gute Medikamente, aber manchmal wirken die nicht. Letztens sagte ich zu einer Schwiegertochter: "Haben Sie schon mal versucht, sich zu Ihrer Schwiegermutter ins Bett zu legen?" Es war eine liebenswürdige Patientin, sie lächelte einen an, wenn sie einen klaren Moment hatte. Kaum verließ man das Zimmer, schrie sie wieder, sie konnte nicht alleine sein. Ich sagte: "Ich würde mich dazulegen. Ja, das ist erlaubt." Es hat geholfen. Die Frau eines relativ jungen Patienten erzählte mir, dass sie sich immer wie ein Löffelchen hinter ihren Mann lege: "Dann wird er ruhig."
Protokoll: Christine Holch