Der Jungfernstieg in Eckernförde liegt in zweiter Reihe zum Meer: eine schmale Straße, in der sich dicht an dicht alte Backsteinhäuschen vor dem weiten Himmel über der Ostsee ducken. Zwischen einer ehemaligen Fischräucherei und einem Schlachtbetrieb steht noch heute das Elternhaus von Petra Teegen. Durch die kleinen Fenster sei wenig Licht gefallen, erzählt sie: "Meine Mutter hat sie umso häufiger geputzt." Einmal habe sie ihre Mutter gefragt, warum sie sich mit den Fenstern so viel Mühe gebe, und die Mutter habe geantwortet, dass das Licht gesund sei und ihnen helfe, sich wohlzufühlen.
Von da an ging die kleine Petra beinahe jeden Tag in den Stall der benachbarten Fischräucherei, um die Fensterscheiben für deren Pferde Max und Moritz zu putzen. "Die waren dafür da, mit einem Karren das Feuerholz vom Hafen in die Räucherei zu ziehen. Die restliche Zeit standen sie angebunden in einem dunklen Verschlag", erinnert sich Teegen. Bald konnte sie es beim Fensterputzen nicht belassen, sondern striegelte die beiden und führte sie bei Sonnenschein spazieren. Es war ihre erste innige Beziehung zu Pferden.
Damals war sie elf. Und heute, als 71-Jährige, engagiert sie sich mehr denn je für die Vierbeiner. Vor zwölf Jahren gründete sie den Verein "Pferdeklappe" und nimmt seitdem auf ihrem Hof in Norderbrarup, rund 50 Minuten Autofahrt von Eckernförde entfernt, Pferde auf, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren gewohnten Bezugspersonen bleiben können. Teegen kümmert sich um die Tiere und vermittelt sie in ein neues, stabiles Umfeld.
Die Pferderetterin hat selbst Krisen erlebt
Wie unerwartet und schnell das Leben aus den Fugen geraten kann, hat Petra Teegen einst selbst erlebt. Die Mutter von drei Jungs lebte in dritter Ehe auf einem kleinen Hof und hielt vier Pferde: Räuberbraut, Fortuna, Goldie und Zora. Was sie nicht ahnte: Ihr Mann geriet immer tiefer in einen Schuldenstrudel und navigierte sich und seine Familie damit in die Armut. "Eines Tages verkaufte er Haus und Hof, ohne mich einzuweihen, floh ins Ausland und sagte nicht einmal Ade", berichtet Teegen. Sie war plötzlich auf sich gestellt – alleinerziehend und ohne Dach über dem Kopf. Eine eheliche Gütertrennung hatten sie und ihr Ex-Mann nicht vereinbart.
Überhaupt habe sie mit ihren Partnern kein Glück gehabt, erzählt Teegen. Als sie zum ersten Mal heiratete, war sie 17. Doch der Vater ihres Erstgeborenen trank und hatte "lose Hände", wie Teegen die erlittene Gewalt umschreibt. Was sie gerettet hat, nachdem Partner Nummer drei ihr alles genommen hatte, war der bedingungslose Rückhalt in ihrem Freundeskreis.
"Da waren Menschen, die uns ganz praktisch, aber auch mental in einer Art unterstützt haben, wie ich es mir nie hätte träumen lassen", staunt Teegen noch heute. Mit deren Hilfe konnte sie damals zumindest das Kinderpony der kleineren Söhne behalten. "In dieser Zeit habe ich mir geschworen, die Unterstützung, die ich bekam, eines Tages zurückzugeben. Ich wollte für andere Menschen mit Tieren in schwierigen Zeiten da sein, sobald ich wieder festen Boden unter meinen Füßen habe", erzählt sie von ihrem Entschluss.
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Doch zunächst hat Petra Teegen jahrelang nicht nur ihre drei Jungs großgezogen, sondern auch außerhalb der heimischen Wände hart gearbeitet, um sich finanziell neu aufzustellen. Und dabei war sie erfinderisch: Weil eines ihrer Kinder selbst betroffen war, entwickelte sie eine rein pflanzliche Salbe gegen Neurodermitis, die sich bis heute gut verkauft. Nachts arbeitete sie als Krankenschwester in einer Klinik. Nebenbei hielt sie Araucana-Hühner, die ihr "die teuersten Eier in der ganzen Gegend" gelegt haben. Irgendwann hatte Teegen genug Geld beisammen, um für die Bank wieder kreditwürdig zu sein. Da kaufte sie für 300.000 Euro den jetzigen Klappenhof, der bis heute das Zuhause ihrer Pferdeklappe ist.
Ross ohne Reiter
Hier in Norderbrarup, wo gut 650 Menschen leben, hat Petra Teegen in den vergangenen zwölf Jahren rund 2500 Pferde aufgenommen – und weitervermittelt. Offiziell gibt es 42 Plätze in Form von Einzelboxen. "Manchmal haben wir aber fast 50 Pferde gleichzeitig da. Dann wird kurzfristig die Bewegungshalle umfunktioniert oder andere Räume", bemerkt Teegen pragmatisch. Denn sie weiß: Schicksalsschläge für Mensch und Tier nehmen keine Rücksicht auf ihre Kapazität.
Die Stallungen auf dem Klappenhof sind ein Sammelsurium. Da ist zum Beispiel der große "Q-Stall" mit einer Wellblechfassade in Tannengrün. Der Untersuchungsraum für die Neuankömmlinge führt direkt auf kleine Koppeln. Eine andere Herberge auf dem Gelände ist außen mit dicken, langen Holzbohlen vertäfelt. Gleich daneben gibt es alte weiß gestrichene Backsteingemäuer. Alle Boxen sind üppig mit Holzspänen ausgestreut, in denen weiche Pferdeschnauzen nach Heu wühlen können.
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Die sogenannte Notkoppel, die eigentliche "Klappe" für Neuankömmlinge, befindet sich 150 Meter entfernt. Genau wie bei einer Babyklappe können Pferdehalter in Not ihre Tiere hier anonym abgeben. "Es kostet die Betroffenen ohnehin viel Überwindung, diesen Schritt zu gehen. Wenn die von einem Posten hinter irgendeiner Gardine beobachtet werden könnten, würden wir es ihnen noch schwerer machen. Deshalb die kleine Distanz zum Hof."
Dreimal täglich sieht Teegen nach, ob ein neues Pferd abgegeben wurde. 248 waren es allein im vergangenen Jahr. Am Eingang zur Koppel ist ein Briefkasten angebracht, in den die Halter den Equidenpass ihres Tieres einwerfen müssen – ein Identifizierungsdokument. "Ohne den geht nix", sagt Teegen. Alle weiteren Informationen sind freiwillig.
Sie sucht Adoptiveltern fürs Pferd
Steht ein neues Pferd auf der Notkoppel, führt Petra Teegen es zuerst in eine der Quarantäneboxen, die dem "Q-Stall" seinen Namen geben. Dort macht sich tierärztliches Fachpersonal so schnell wie möglich ein Bild von seinem Gesundheitszustand. Auch das Team der Pferdeklappe versucht herauszufinden, wer da genau vor ihnen steht. Ein ehemaliges Schulpferd, ein Freizeitpferd, eines, das gut mit anderen zurechtkommt oder gerade nicht? Eines, das leicht zu führen ist oder eher schwer?
Ist medizinisch alles in Ordnung und ein erster Eindruck gewonnen, entsteht ein Steckbrief, der über die sozialen Netzwerke verbreitet wird. Danach klingelt Teegens Telefon an manchen Tagen hundertmal: Interessenten rufen dann an, um sich für ein Pferd zu bewerben. "Oft habe ich nach nur wenigen Sätzen ein Gefühl dafür, wer es ernst meint und auch die nötige Erfahrung mitbringt oder wer nur kostengünstig an ein Pferd kommen will", meint Petra Teegen. "Ein Tier ist kein Luxusobjekt, sondern ein Lebewesen, das Know-how braucht!"
Damit die Pferde eine reelle Vermittlungschance haben, dürfen sie nicht älter als 20 Jahre sein. "Ansonsten wären wir ein Gnadenhof. Das ist auch eine wichtige Aufgabe, aber die haben zum Glück schon andere übernommen. Unser Fokus liegt auf Weitervermittlung. Wir wollen Pferden eine Zukunft in einem für sie passenden Zuhause geben."
Zwischen drei Tagen und einem Jahr dauert es, bis ein Pferd aus der Klappe zu einem neuen Zuhause findet. Dann verlässt es den Klappenhof mit einem zweijährigen Schutzvertrag, der für die neuen Besitzer mit einigen Auflagen verbunden ist: etwa den eigenen Tierarzt von der Schweigepflicht zu entbinden und alle vier Wochen Fotos zu schicken, so dass die Pferdeklappe ihren ehemaligen Schützling noch einige Zeit im Blick behalten kann. Einen Kaufpreis gibt es dafür nicht - der neue Pferdehalter sollte nur die Kosten erstatten, die bis zur Übernahme auf dem Klappenhof angefallen sind.
Pferden und Menschen in Not zu helfen, kostet den Verein jeden Monat 35.000 Euro: Futter, Einstreu, tierärztliche Behandlung, Hufschmied, Instandhaltung, Gehälter. Letztere machen nicht allzu viel aus, Teegen beschäftigt ein paar Minijob- und Vollzeitkräfte, aber vieles läuft ehrenamtlich. Gedeckt werden die Kosten vor allem durch Spenden und Mitgliedsbeiträge – 1300 Vereinsmitglieder gibt es inzwischen.
Nebenerlös durch Geschichten vom Klappenhof
Ihr Erfindungsreichtum zeichnet Petra Teegen bis heute aus: Nachts, wenn auf dem Hof alles schläft, schreibt sie Geschichten. Ihre immer wiederkehrenden Schlafstörungen sind ein Erbe von 20 Jahren Nachtdienst im Krankenhaus. "Irgendwann habe ich beschlossen, die Zeit sinnvoll zu nutzen, anstatt mich an der Ruhelosigkeit aufzureiben", so die einstige Nachtschwester. Also schreibt sie auf, was in der Pferdeklappe so alles passiert. Und der Erlös aus dem Verkauf ihrer Bücher fließt zurück in ihr Projekt. "Wahrscheinlich kaufen die Menschen meine Bücher nicht, weil ich so gut schreiben kann, sondern weil sie wissen, dass ich es für die Pferde tue", vermutet Teegen. Aber in dem Fall, so findet sie, heilige der Zweck allemal die Mittel.
Teegen weiß, dass sie nur helfen kann, weil sie selbst viel Hilfe bekommt. Allen voran von ihren Söhnen, die auf dem Hof kräftig mit anpacken. Ebenso von vielen anderen Menschen, die sich ehrenamtlich oder für kleines Geld engagieren. Wenn Veterinär- und Ordnungsämter Pferde in Obhut nehmen müssen und auf den Hof bringen, tragen sie für diese Tiere die Kosten. Und auch Tierkliniken unterstützen die Pferdeklappe immer wieder mit großzügigen Sach- und Geldspenden.
Spenden gaben Hengst Clippy eine Chance
Was alles möglich wird, wenn Menschen sich zusammentun, zeigt beispielhaft der junge Hengst Clippy. Das Fohlen kam mit einem verdrehten Oberkiefer zur Welt, der ihm das Saugen der Stutenmilch erschwerte und Grasen ganz unmöglich machte – ohne Hilfe wäre er verhungert. Wry-Nose-Syndrom heißt diese äußerst seltene Erkrankung, sie ist noch kaum erforscht. Doch von einem elfköpfigen Team in der Hanseklinik für Pferde in Sittensen konnte der Hengst operiert werden. Heute ist Clippy "Naseweis" wieder auf dem besten Weg in ein vergnügtes Pferdeleben. Seinen Heilungsweg hatten über 90.000 Interessierte auf Instagram verfolgt, durch diese Reichweite kamen 15.000 Euro an Unterstützung zusammen.
Für Petra Teegen ist Clippys Schicksal ein Anlass, von ihrem Einsatz für die Pferde den Bogen weiter zu spannen – zu einem politischen Appell: "Wir können so viel schaffen, wenn wir zusammenhalten. Zusammenhalt aber braucht den Boden der Demokratie. Sie ist es, die die Schwächsten in unserer Gesellschaft schützt: Kinder, Alte, Kranke – und Tiere."
Zuerst erschienen beim Veto Magazin, redaktionell bearbeitet von chrismon.
Ruruper Straße 42
24392 Norderbrarup
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