Christen in Syrien
Gehen oder bleiben?
Angst, Hunger, Armut: Syriens Christen stehen nach Assads Sturz vor einer schweren Entscheidung: ausharren oder alles hinter sich lassen? Drei Geistliche berichten vom Überlebenskampf in schweren Zeiten
Church of the Sacred Heart of Jesus in the Syrian port city of Latakia
Die Kirche Herz Jesu in der syrischen Hafenstadt Latakia
Omar Haj Kadour/AFP via Getty Images
Privat
19.05.2025
4Min

Langsam und mit schweren Schritten betritt Pater Fadi Khoury, ein Franziskaner, die Kirche Herz Jesu in der syrischen Hafenstadt Latakia. Seit 2015 dient er hier – nicht nur als Seelsorger, sondern als Hirte für erschöpfte Herzen und müde Körper. Die Kirche wurde 1930 erbaut und blickt aufs Mittelmeer wie ein Leuchtturm, ein Zufluchtsort in stürmischen Zeiten.

"Wir helfen, wir unterrichten, wir versorgen – aber wir sind auch Menschen", sagt der Pater: "Der Alltag ist zermürbend". Monatlich versorgt das angeschlossene Krankenhaus 550 Menschen, 500 Familien erhalten Lebensmittelpakete. Stipendien von Gemeinden aus Europa helfen Schülern, die inmitten von Unsicherheit weiterlernen wollen. Doch was die Menschen wirklich wollen? "Keine Almosen. Sie wollen raus. Sie sagen: 'Vater, wir brauchen kein Brot. Wir brauchen ein Visum.'", fasst er zusammen.

In den vergangen Monaten und Wochen ist die Angst gewachsen: Der ehemalige syrische Präsident Baschar al-Assad hatte sich stets als Beschützer der Minderheiten inszeniert. Nach seiner Flucht im Dezember fühlten sich viele Christen im Stich gelassen und machten sich Sorgen, was mit ihnen geschehen könnte. Im März kam es in der Umgebung von Latakia, Jableh und Baniyas zu Massakern gegen Alawiten, der Religionsgruppe, der auch der Assad-Clan angehört. Über tausend Alawiten kamen ums Leben. Auch zehn Christen aus der Herz-Jesu-Gemeinde in Latakia wurden getötet und die Häuser anderer geplündert, weil sie in der Nähe der Massaker lebten. Die schlimmen Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Seitdem vergeht kein Tag ohne Angriffe oder Entführungen in diesen Gebieten.

Pater Fadi Khoury

Trotz allem bleibt Pater Fadi standhaft – vorerst. Nach zehn Jahren Dienst denkt er über einen Wechsel nach. Doch wie lässt man eine Herde zurück, die in Dunkelheit wandelt?

Drastisch weniger Christen in Syrien

Pater Fadi spricht im Namen vieler Christen in Syrien. Einem Bericht der katholischen Hilfsorganisation "Kirche in Not" zufolge ist die Zahl der Christen in Syrien im Laufe eines Jahrzehnts von 1,5 Millionen (10 Prozent der Bevölkerung) vor 2011 auf derzeit rund 300.000 (weniger als 2 Prozent der Bevölkerung) gesunken. Viele von ihnen wurden während der Bürgerkriegsjahre von extremistischen islamischen Gruppen verfolgt.

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Nach dem Sturz Assads fürchteten sich Christen zunehmend vor möglichen Angriffen extremistischer Gruppen, darunter auch ausländischer Dschihadisten. Die neue syrische Regierung konnte ihre Kontrolle noch nicht in ganz Syrien durchsetzen und ist nicht in der Lage, die Christen überall zu schützen, selbst wenn sie es wollte. Trotz der Versuche der neuen Regierung, die Lage unter Kontrolle zu bringen und zu beruhigen, kommt es weiterhin zu Zwischenfällen. Die Frage bleibt also: Wie sieht die Zukunft der Christen in Syrien aus?

Pastor Malki Lahdo Ayshou

Zu Besuch bei Christen in Damaskus zeigt sich ein etwas anderes Bild. Der evangelische Pastor Malki Lahdo Ayshou und seine Frau Tagreed führen die Gemeinde "Jesus, das Licht der Welt" mit Leidenschaft. "Unser Glaube kennt keine Angst", sagt Pastor Malki. Der politische Neuanfang habe vielen Hoffnung gegeben, und er hält an seiner Maxime fest, die ihn auch durch die Jahre der Diktatur gebracht hat: "Christen müssen für den Herrscher beten, wer auch immer er ist. Wir glauben an den Plan des Herrn und haben keine Angst."

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In seiner Kirche sind die Türen für niemanden verschlossen, er lädt jeden in das Haus des Herrn ein. Er ist davon überzeugt, dass "der rechte Glauben Feiglinge in mutige Männer verwandelt und dass das Wort zur rechten und zur falschen Zeit verkündet werden muss, wie Paulus es Timotheus lehrte." Seine Frau Tagreed ist das gute Herz der Gemeinde, kümmert sich um Kinder aller Konfessionen, sogar Müllsammler finden hier Zuwendung.

Große Sorge, dass es schlimmer wird

In Khashkoul, einem Vorort von Damaskus, trotzt Priester George Bell der Ungewissheit und der Angst mit Glockenklang. "An dem Tag der Ungewissheit, als gerade Assad gestürzt war und er aus dem Land geflohen war, haben wir uns nicht versteckt und auch nicht die Türen verrammelt. Wir läuteten die Glocke und versammelten uns zum Gebet; trotz der Kugeln. Wenige kamen, aber immerhin", erzählt er. "Angesichts der Angst entschied sich die Gemeinde, ein Leuchtfeuer des Lichts zu sein und nicht eine Höhle der Isolation!". Obwohl hier bislang die Übergriffe gegen Christen nicht allzu große Ausmaße angenommen haben, haben alle Angst, dass es schlimmer werden könnte.

Priester George Bell

Aber vor allem setzt die Wirtschaftskrise alle unter Druck: "Die Gehälter reichen nicht, Bargeld ist knapp und Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Das Problem heute ist nicht die Verfolgung, sondern die Sicherung des Brotes", sagt Priester George Bell. Seiner Ansicht nach müsse sich das Engagement der Christen im täglichen Tun zeigen: indem sie das von Krieg und Diktatur zerstörte Land aufbauen helfen, indem sie versuchen, Frieden zu stiften und einer müden Gesellschaft dienen. "Wir waren nie Zuschauer, sondern haben unseren Beitrag geleistet und werden dies auch weiterhin tun", erklärt der der Priester.

Was die Christen in Latakia, in Damaskus und in anderen Orten vereint, ist nicht nur der Schmerz über den Verlust der Sicherheit, sondern auch der Wunsch, allen Bedürftigen zu helfen. Fadi, George, Malki und Tagreed – sie alle halten an der Überzeugung fest, dass Kirche mehr ist als Ritual. Sie ist Trostspenderin, Lehrerin – ein Haus mit offenen Türen. Einige wollen bleiben und wieder aufbauen, andere sehen in der Ausreise den einzigen Weg zu einem würdevollen Leben. An die Christen in anderen Regionen der Welt appellieren sie: "Helft uns, in Würde zu leben – ob hier oder anderswo.

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