Vorderasien, Syrien, Latakia, der pensionierte Ingenieur Spiro Hanna al Qasi (67 Jahre) mit seiner Ehefrau Ramsa Qaroum al Qasi (62 Jahre) vor ihrem zerstörten Wohnhaus
Vorderasien, Syrien, Latakia, der pensionierte Ingenieur Spiro Hanna al Qasi (67 Jahre) mit seiner Ehefrau Ramsa Qaroum al Qasi (62 Jahre) vor ihrem zerstoerten Wohnhaus. Einer Rebellengruppe der al-Nusra-Front vertrieb das Ehepaar 2012 aus dem Wohnhaus. Bei der Gegenoffensive der Regierungsarmee im Jahr 2015 wurde das Wohnhaus gepluendert und zerstoert, 28.02.2018 (c) 2018 Christoph Pueschner / Diakonie Katastrophenhilfe
Diakonie Katastrophenhilfe/Christoph Püschner
Macht endlich Frieden!
Niemand weiß, wie lange der syrische Krieg noch dauert und welche Fronten sich noch auftun werden. Drei Familienschicksale in einem ausgebrannten Land.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
Christoph Püschner/Zeitenspiegel
28.05.2018

Awniyat, ein Dorf oberhalb der syrischen Hafenstadt ­Latakia: Überall blühen im Frühjahr die Mandelbäume und schimmern im Sommer die Orangen durch die Blätter­kronen. 40 Minuten per Vorortbahn oder Auto sind es bis Latakia. Ein idealer Alters­sitz, fanden der Ingenieur Spiro ­Hanna al-Qasi und seine Frau Ramsha Qaroun. Hier kauften sie vor 17 Jahren einen Garten mit Oliven-, ­Zitronen- und Feigenbäumen und bauten ihr Haus. Acht mal zehn Meter Grundfläche, zwei Schlafzimmer, Küche, Bad – und ein Wohnzimmer mit Balkon und Blick ins Grüne.

Dann kam die Revolution. Im Februar 2011 hatte der syrische Geheimdienst Kinder verhaftet – wegen regierungskritischer Graffitis. Kinder! Im ganzen Land protestierten Bürger. Die Polizei schoss in die Mengen und tötete über hundert friedliche Demonstranten. In Latakia starben sieben. Tausende wurden verhaftet und verschwanden in Foltergefängnissen. Spiro al-Qasi und seine Frau Ramsha werden sich im Frühjahr 2011 ihre Gedanken gemacht haben. Niemand kann so etwas gutheißen. Bürger bewaffneten sich. Teile der Armee desertierten, schlossen sich ihnen an und nannten sich Freie Syrische Armee. ­Mitte 2012 hatten sie ganze Regionen aus der ­Kontrolle des Assad-Regimes gelöst, auch das Dorf Awniyat oberhalb von Latakia. Die Rebellen waren über die türkische ­Grenze ein­gedrungen, mit ihnen auch radikal­islamistische Kämpfer. Vielen Bewohnern wurde es unheimlich, sie wichen nach Latakia aus, wo der Alltag ­weiterging. Von wo aus man nur in der Ferne die Rauchwolken der Explosionen sah. Auch die al-Qasis ließen ihr Haus zurück. Drei Jahre lag es für sie unerreichbar hinter der Front. Der pensionierte Ingenieur und seine Frau waren nun zwei von sechs Millionen syrischen Binnenflücht­lingen. Menschen, die irgendwo Zuflucht ­suchen, Apartments anmieten, ihre Ersparnisse aufbrauchen. Das Ehepaar kam zur Miete in ­Latakia unter.

Ihr Haus war eine Ruine

Ende September 2015 erklärte das ­russische Parlament, es werde den geschwächten syrischen Diktator Assad militärisch unter­stützen. Die russische Luftwaffe bombardierte Awniyat und Umgebung. Im Februar 2016 ­waren die Rebellen von dort vertrieben. Als die al-Qasis im März erstmals wieder zu ihrem Grundstück kamen, war das Haus eine Ruine. Alles Metall – Leitungen, Rohre, Fenster- und Türrahmen – herausgerissen. Die Zimmer mit Putzresten und Scherben übersät. Ein Ofenrohr ragt aus der Wand, der Ofen ist weg. Eigentlich hätten sie gleich mit dem Auf­räumen beginnen können. Aber der Krieg geht weiter. Das Rebellengebiet beginnt zehn Kilometer oberhalb. Im April bombardierte die russische Luftwaffe eine Stadt 30 Kilo­meter entfernt. Außerdem ist dem Ehepaar al-Qasi das Geld ausgegangen.

Drei Jahre mussten sie teuer zur Miete wohnen. Die Inflation frisst die Rente auf, das syrische Pfund hat nach ­sieben Jahren Krieg nur noch ein Zehntel ­seines früheren Wertes. Das Ersparte steckt im verwüsteten Haus in den Bergen. Das ­Auto mussten sie verkaufen. Die Bahnlinie liegt brach. Zu ihrem Grundstück in Awniyat ­kommen die al-Qasis nur per Mitfahrgelegenheit. Auf der Schnellstraße nach Idlib steht ein ausgebrannter Bus quer auf der Fahrbahn.

Azza Abdullah in ihrem Schlafzimmer, in das eine Granate einschlug

Der Krieg hat gut situierte Syrer wie Spiro al-Qasi und Ramsha Qaroun zu Hilfsbedürftigen gemacht. Je länger er dauert, desto schlechter stehen die Chancen, dass das Paar sein Haus wieder in Besitz nehmen kann. ­Auf staatliche Unterstützung können sie nicht hoffen, allenfalls auf die ihrer drei erwach­senen Kinder. Aber die müssen erst einmal für sich selbst sorgen. Zu viele ­Menschen brauchen Unterkünfte, Medikamente und ärztliche Versorgung, müssen Geld ver­dienen, um sich und ihre Familien über ­Wasser zu halten.

Die anfängliche Wut über den Clan des ­Diktators Assad, der Bürger willkürlich verhaften, foltern und verschwinden lässt, ist Kriegs­müdigkeit gewichen. Jetzt geht es ums Überleben. Azza Abdullah, eine Frau Mitte 20 mit einem gelähmten Bein, wohnte mit Geschwis­tern und Mutter auf einem idyllischen Hanggrundstück in Suqalabiyah, 50 Kilometer nordwestlich der syrischen Großstadt Hama. Zwei Hütten: eine mit zwei Schlafzimmern, die andere mit Küche, Bad und Geräteraum. Dazwischen ein Gärtchen mit Obstbäumen. Ein Stück hangaufwärts steht das verfallene Haus der Großeltern. 2001 starb der Vater. Die Geschwister halten sich und die Mutter mit Gelegenheitsjobs über Wasser.

"Die Heilige Jungfrau hat mein Leben gerettet"

Rebellen hatten vergeblich versucht, ­Suqalabiyah einzunehmen. Im April 2017 ­holten die syrische Armee und die russische Luftwaffe zum Gegenschlag aus und ließen – wie in anderen syrischen Städten auch – ein Höllenfeuer auf die umliegenden Rebellen­gebiete niedergehen. Über 7700 ­Zivilisten ­sollen in den vergangenen drei Jahren ­russischen ­Bombardements in Syrien zum Opfer gefallen sein, sagt die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, betrieben von einem Sunniten in Coventry, England. Seit Jahren versuchen er und sein Team täglich, alle Vorfälle des syrischen Bürgerkriegs und alle Er­schossenen, Verschütteten und Verbrannten zu erfassen. Doch was den Bewohnern im Umland von Suqalabiyah widerfuhr, von ­deren Häusern nur verrußte Betongerippe ­übrig ­blieben, davon hat noch niemand erzählt.

Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz reiste mit einer Delegation der Diakonie-Katastrophenhilfe durch den von Assad beherrschten Teil Syriens, besucht frühere Kriegsschauplätze und interviewte vor allem christliche Syrer.
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Christoph Püschner

Christoph Plüschner, ist immer wieder dankbar, dass Menschen trotz schwerster Verluste ihn an ihrem Leben teilhaben lassen.

Die Rebellen aus dem Umland schossen damals zurück. Im September 2017 schlug ­eine Mörsergranate in Azza Abdullahs Schlaf­zimmer auf. Sie lag im Bett, der Deckenputz fiel auf sie nieder. Neben sich im Schutt fand sie eine kleine Plastikmadonna, die auf einem Side­board gestanden hatte. Azza Abdullah ist orthodoxe Christin. "Die Heilige Jungfrau hat mein Leben gerettet", sagt sie.

Eine halbe Million Kriegstote in Syrien zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zwischen 2011 und Ende 2017. Azza Abdullah aus Suqalabiyah ­hatte Glück im Unglück. Ihre Schwester stand auf der Terrasse vor ihrem Schlafzimmer, ihr Bruder saß nebenan in seinem Zimmer. ­Beide kamen ihr zu Hilfe. Etwas später am Tag dokumentierte der Bruder die Zerstörung mit seinem Handy. Das Haus mit den beiden Schlafzimmern ist unbewohnbar. Azza Abdullah kam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern bei einer Tante im Ort unter. Das Leben ist für die Familie härter geworden, als es ohnehin schon war. Alle Geschwis­ter sind in den Zwanzigern. Keiner von ihnen denkt daran, eine eigene Familie zu gründen.

Hiyam Dagher mir ihren Söhnen Malik und Masjid im Lichtschacht ihrer alten Wohnung

Denn ob die Vereinten Nationen einen Frieden ver­mitteln können, ob das Assad-­Regime den Krieg bald für sich entscheiden kann oder ob ausländische Mächte den syrischen Krieg noch Jahrzehnte weiter­führen werden – niemand weiß es. In vielen Rebellen­gebieten führen mittlerweile tschetschenische, usbe­kische, saudische, tunesische und andere internationale Terroristen das Kommando. Das Assad-Regime lässt Russen, Iraner und Af­ghanen für sich kämpfen. Die türkische Armee rückt im Norden des Landes gegen Kurden vor. US-amerikanische Soldaten bekämpfen die letzten Reste der Terrorgruppe "Islamischer Staat" im Osten und be­schießen syrische Chemiefabriken. Iraner bauen Raketen­stellungen im Süden aus. Die ­Israelis wollen das verhindern. Wer weiß, welche neue Fronten in den kommenden Jahren noch dazukommen.

Dennoch fangen Syrer an, sich in den Resten ihrer Häuser wieder einzurichten. Die Innenstadt von Homs ist eine Ruinen­land­schaft. In vielen Straßen sind die Fassaden der Geschäftsstraßen zerstört, metallene Ladengitter verbogen, verbliebene Balkons brüchig, Fensterrahmen herausgebrochen. Eine graue Trümmerwüste. Hiyam Dagher ist aus ihrer Flüchtlings­unterkunft angereist. Sie ist mit ihren ­Söhnen, den 16-jährigen Zwillingen Malik und ­Masjid, eine Viertelstunde entfernt auf dem Land unter­gekommen. Drei ältere ­Töchter studieren in vom Krieg verschonten Städten im ­Westen Syriens. Hiyam Dagher führt durch das, was einmal ihre Wohnung war. Sie und ihr Mann hatten sie vor über 25 Jahren gekauft. Hier ­zogen sie alle fünf Kinder groß.

Rebellen haben die Mauer durchbrochen, um von Haus zu Haus zu kommen

Die Stadt Homs war 2011 eine Hochburg des Protestes gegen das Assad-Regime. Schon zu Beginn des Aufstandes sei ihr Mann in seinem Sanitärgeschäft ermordet worden, sagt Hiyam Dagher. Sie habe die Stadt mit den Kindern verlassen. Auch ihr Schwager sei entführt worden. Noch immer weiß sie nicht, was aus ihm geworden ist. Islamistische ­Farouq-Milizen würden christliche Einwohner tyrannisieren, klagten damals die Kirchen. Die Rebellen sagten, das sei Propaganda. Zwei Jahre lang beschossen syrische Luftwaffe und Artillerie die Innenstadt. Als die Rebellen sich im Mai 2014 zurückzogen, ­waren die Wohnungen nur noch Ge­röllhalden, auch die von Hiyam Dagher. Vom Esszimmer aus geht ein Balkon auf einen Hinterhausschacht. Die Mauerdurchbrüche dort hatten Rebellen hineingeschlagen, um unbemerkt von Haus zu Haus zu gelangen.

Sicher vor dem Krieg ist die Familie noch lange nicht. Mitte April bombardierte die russische Luftwaffe einen Nachbarort nördlich von Homs heftig. Und US-amerikanische Raketen legten ein Forschungszentrum am Stadtrand in Schutt und Asche. Trotzdem beginnen Handwerker, Wohnungen zu renovieren. Auch bei Hiyam Dagher werden Rohre und Stromleitungen verlegt, Wände hochgezogen und verputzt. Die Familie will wieder einziehen, auch wenn es noch Jahre dauern kann, bis Nachbarn heimkehren und Geschäfte die Straße neu beleben. Aber die Wohnung ge­hört ihr, hier zahlt Hiyam Dagher keine Miete. Und irgendjemand muss ja anfangen.

Spendeninfo

Eine syrische Partnerorganisation der ­Diakonie Katastrophen­hilfe versorgt ­Menschen in syrischen Kriegszonen im Winter mit Decken und warmer Kleidung. Sie ­repariert zerstörte Wohnungen und bildet Frauen aus, damit sie Geld verdienen ­können. GOPA-DERD steht für "Griechisch-­Orthodoxes Patriarchat von Antiochien" und "Abteilung ­für Ökumenische Be­ziehungen und Entwicklung" (auf Englisch).

Spenden:
Diakonie Katastrophenhilfe, ­Berlin
IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02
BIC: GENODEF1EK1
Evangelische Bank
Stichwort: Nothilfe Syrien
diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden

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Die Sehnsucht nach Frieden steigt mit der Dauer von Kriegen und Zerstörungen, und sie kann nur dann in Erfüllung gehen, wenn sich alle Beteiligten auf eine gemeinsame Basis unseres Menschseins besinnen. Nicht Sieger im Kampf um Vorherrschaften zu ermitteln, ist das Ziel, sondern die Einsicht, dass sich einzelne Gruppen nicht gegenseitig diskriminieren dürfen, wenn etwas Beständiges und Nützliches für alle dabei herauskommen soll. Zur Ursachenforschung von Konflikten gehört auch, herauszufinden, wo, wann, wie und warum vom Gemeinsamen abgewichen wurde. Dann kann man es in Zukunft besser machen.