Die Delegation steckt an der Grenze fest. Hinter ihr: 220 Kilometer libanesische Küste, ins Gelb der Abendsonne getaucht, ein Land mit sechs Millionen Einwohnern – davon anderthalb Millionen syrische Flüchtlinge. Vor ihr: ein Kriegsgebiet – mit Straßenkontrollen alle paar Kilometer, Häusern, deren Fronten die Nar-ben von Schusswechseln tragen, und Kindern, die schon lange keine Patronenhülsen mehr sammeln. Es liegen einfach zu viele herum.
Die Delegation der Diakonie Katastrophenhilfe will von der großen Not weiter zur größeren. Die Visa sind okay. Aber dem syrischen Grenzposten fehlt eine Bestätigung aus Damaskus. Im siebten Jahr der syrischen Krise, so nennt man in Syrien den Krieg im eigenen Land, funktioniert die Verwaltung nicht mehr reibungslos. Die Computer sind auf dem Stand der Neunziger. Nachrichten übermittelt man per Fax. Vieles ist um Jahrzehnte in die Vergangenheit gebombt.
"In Deutschland spricht man von einem Bürgerkrieg. Aber Syrien kämpft gegen Terroristen"
Die Hoffnung der Delegation liegt nun auf Vater Alexi. Er ist der Direktor des Hilfswerks der ältesten Kirche der Welt: Die Organisation GOPA des griechisch-orthodoxen Patriarchats Antiochiens hat Großes gestemmt, hat 22 800 Syrern mit warmen Kleidern und Decken über den Winter geholfen; 3300 Ausgebombten wieder ein Zuhause geschaffen; 225 Frauen als Köchinnen, Kosmetikerinnen und Schneiderinnen ausgebildet, damit sie ihre Familien durchbringen können. Geduld! Vater Alexi wird auch die Deutschen nach Syrien bringen. Tatsächlich rollt der Kleinbus nach einiger Wartezeit durch den Betonbogen. Dahinter ist alles dunkel: unbeleuchtete Häuser, hin und wieder Soldaten, die mit Taschenlampen zum Anhalten auffordern, Autos ohne Licht.
Ein Priester mit gutem Draht zum Außenministerium einer Diktatur: Gerät da die syrische Kirche in den Verdacht, dem Regime zu nahe zu stehen? Einem Regime, das mehr als 400 000 Tote, eine Million Verletzte in Kauf nimmt, um an der Macht zu bleiben? In Bashar al-Assads Amtszeit wurde die Hälfte der Bevölkerung in die Flucht getrieben; sechs Millionen Bürger, die ihr Zuhause verloren haben, suchen irgendwo im Land Unterschlupf! Vater Alexi scheint sich sonst in der Rolle von jemandem zu gefallen, dessen Beziehungen weit reichen. Diesmal passt die Rolle nicht.
Am Abend empfängt der Priester mit den sanften Augen und dem grauen Bart die Delegation nahe der syrischen Stadt Marmarita im "Tal der Christen". Und er sagt: Alles ganz banal – die Mitarbeiterin im Außenministerium, die Visa vergibt, ist griechisch-orthodox. Er hat ihre Handynummer und kann sie nach Dienstschluss erreichen. Allzu viel Nähe zum Regime braucht man dafür nicht. Trotzdem stimmt es: Die syrischen Christen sympathisieren überwiegend mit dem Assad-Regime. Sie sehen auf der Rebellenseite vor allem diejenigen, die Bischöfe entführen, christlichen Dorfbewohnern die Kehle durchschneiden und Menschen in Geiselhaft nehmen, die sie nur gegen Lösegeld freigeben. "In Deutschland spricht man vom syrischen Bürgerkrieg", sagt Vater Alexi. "Aber die Regierung kämpft gegen Terroristen im Land."
Auch muslimische Soldaten strecken die Hand aus und wollen den Geistlichen berühren
Vater Alexi wechselt mühelos vom Arabischen ins Deutsche und von dort ins Englische. 1993 wurde der diplomierte Chemiker Priester der Antiochenisch-Orthodoxen Erzdiözese in Europa. Von Norddeutschland aus bewährte er sich als Organisator, Lehrer, gelehrter Theologe. 2015 holte ihn der Patriarch zurück und machte ihn zum Direktor des syrischen kirchlichen Hilfswerks. Stolz ist Vater Alexi auf seine Gemeinschaftszentren, wo Freiwillige die misstrauisch gewordenen Menschen wieder zusammenbringen. Sie gestalten die Freizeit von Kindern, die Schlimmes erlebt haben oder entwurzelt sind, weil ihre Familien fliehen mussten. Frauen werden ausgebildet. Die Hilfe gilt allen, Religion spielt keine Rolle. Als Vater Alexi das Hilfswerk übernahm, gab es drei Gemeinschaftszentren. Heute sind es bereits 13.
Vier Tage reist Vater Alexi mit der Delegation durch die von Assad beherrschten Landesteile. Immer wieder Straßensperren. Uniformierte blicken ins Wageninnere, sehen den Rauschebart, das funkelnde Kreuz auf der Brust und Vater Alexis ruhige Gesten. Auch muslimische Soldaten strecken die Hand aus und wollen den Geistlichen berühren.
Homs. Cornelia Füllkrug-Weitzel stapft mit Vater Alexi durch das Ruinenfeld, das die syrisch-russische Waffengewalt 2012 hinterließ: ausgeräuchterte Betongerippe, zerrissene Metallläden früherer Geschäfte, vermüllte Seitenstraßen. Die Präsidentin der Diakonie-Katastrophenhilfe will sich selbst ein Bild von der Arbeit ihrer syrischen Partnerorganisation machen. Immerhin, der Bischofssitz ist schon repariert, die benachbarte Mädchenschule wieder in Betrieb. Mittlerweile entstehen hier und da sogar wieder Wohnungen mitten in der Ruinenlandschaft. Nicht überall sieht es so schlimm aus wie an dieser Stelle.
"Wenn ihr euer Land wieder aufgebaut habt, sollt ihr dann anderen helfen, so wie wir euch."
Das "Tal der Christen" blieb von Kämpfen größtenteils verschont. Hier ist die Not eine andere: Inflation und wertlos gewordene Renten, Wohnungsnot und Mietwucher, chronisch Kranken reicht das Geld nicht für Medikamente. Wer dringend operiert werden muss, verkauft oft alles, was ihm noch geblieben ist. Im Sankt-Georgs-Kloster lässt Vater Alexi 40 Freiwillige des syrischen Hilfswerks den Deutschen von ihrer Arbeit berichten. "Ich stamme aus Homs und habe selbst von der Hilfe profitiert", sagt eine junge Frau. Jetzt mache sie auch mit. "Die teuren Mieten wegen der Wohnungsnot ziehen Probleme nach sich", trägt eine andere vor. Kinder kämen schlecht gekleidet zur Schule. "Die Schulen sind in schlechtem Zustand", schließt sich eine Dritte an. "Wenn wir eine gesunde Generation heranziehen wollen, müssen wir ihnen eine gute Schulumgebung bieten."
Am Ende hat Füllkrug-Weitzel das Wort: "Nach dem Weltkrieg", erzählt sie, "haben andere uns Deutschen geholfen. Sie sagten uns: Wenn ihr euer Land wieder aufgebaut habt, sollt ihr dann anderen helfen, so wie wir euch. Nun kommen wir nach Syrien und sagen euch dasselbe." Vater Alexi stockt. Sein Hilfswerk wurde ja 1994 gegründet, um den vor dem Golfkrieg geflüchteten Irakern zu helfen. Aber dass Syrer eines Tages wieder anderen helfen könnten, klingt heute eher wie eine ziemlich große Hoffnung.
Das syrische Hilfswerk
Die syrische Partnerorganisation der DiakonieKatastrophenhilfe versorgt Menschen in Kriegszonen im Winter mit Decken und warmer Kleidung. Sie repariert zerstörte Wohnungen und bildet Frauen aus, damit sie Geld verdienen können. GOPA-DERD steht für Griechisch-Orthodoxes Patriarchat von Antiochien" und "Abteilung für Ökumenische Beziehungen und Entwicklung" (auf Englisch).
Spenden:
Diakonie Katastrophenhilfe, Berlin
IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02
BIC: GENODEF1EK1
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