Syrien - "Die Syrer nennen es Krise"
Vorderasien, Syrien, Homs, spielende Kinder in der Altstadt von Homs. Deutlich sind in den Hauswaenden die Einschussloecher von den Strassenkaempfen zwischen den Rebellen und den Regierungstruppen zu sehen, 02.03.2018 (c) 2018 Christoph Pueschner / Diakonie Katastrophenhilfe
Diakonie Katastrophenhilfe/Christoph Püschner
Die Syrer nennen es "Krise"
Die Delegation der Diakonie Katastrophen­hilfe aber fährt durch ein Kriegsgebiet. Vater Alexi und seine Helfer haben hier Flüchtlinge mit dem Nötigsten ­versorgt, Ausgebombte untergebracht. Eine Reise durch ein zerstörtes und verarmtes Land.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
16.05.2018

Die Delegation steckt an der ­Grenze fest. Hinter ihr: 220 Kilometer libanesische Küste, ins Gelb der Abendsonne getaucht, ein Land mit sechs Millionen Einwohnern – davon anderthalb Millionen syrische Flüchtlinge. Vor ihr: ­ein Kriegsgebiet – mit Straßenkontrollen alle paar Kilometer, Häusern, deren Fronten die Nar-ben von Schusswechseln tragen, und Kindern, die schon lange keine Patronenhülsen mehr sammeln. Es liegen einfach zu viele herum.

Die Delegation der Diakonie Katastrophenhilfe will von der großen Not weiter zur größe­ren. Die Visa sind okay. Aber dem syrischen Grenzposten fehlt eine Bestätigung aus Damaskus. Im siebten Jahr der syrischen Krise, so nennt man in Syrien den Krieg im eigenen Land, funktioniert die Verwaltung nicht mehr reibungslos. Die Computer sind auf dem Stand der Neunziger. Nachrichten übermittelt man per Fax. Vieles ist um Jahrzehnte in die Vergangenheit gebombt.

"In Deutschland spricht man von einem Bürgerkrieg. Aber Syrien kämpft gegen Terroristen"

Die Hoffnung der Delegation liegt nun auf Vater Alexi. Er ist der Direktor des Hilfswerks der ältesten Kirche der Welt: Die Organisation GOPA des griechisch-orthodoxen Patriarchats Antiochiens hat Großes gestemmt, hat 22 800 Syrern mit warmen Kleidern und Decken über den Winter geholfen; 3300 Ausgebombten wieder ein Zuhause geschaffen; 225 Frauen als Köchinnen, Kosmetikerinnen und Schneiderinnen ausgebildet, damit sie ­ihre Familien durchbringen können. Geduld! Vater Alexi wird auch die Deutschen nach Syrien bringen. Tatsächlich rollt der Kleinbus nach einiger Wartezeit durch den Betonbogen. Dahinter ist alles dunkel: unbeleuchtete Häuser, hin und wieder Sol­daten, die mit Taschenlampen zum Anhalten auffordern, Autos ohne Licht.

Vater Alexi, Direktor des griechisch-orthodoxen Hilfswerks. Die Bischofsstatue in Homs wurde von Rebellen geköpft und ist nun wieder geflickt. Die meisten Christen setzen auf Bashar al-Assad. Unten rechts: Freiwillige des syrischen Hilfswerks

Ein Priester mit gutem Draht zum Außen­ministerium einer Diktatur: Gerät da die ­syrische Kirche in den Verdacht, dem Regime zu nahe zu stehen? Einem Regime, das mehr als 400 000 Tote, eine Million Verletzte in Kauf nimmt, um an der Macht zu bleiben? In ­Bashar al-Assads Amtszeit wurde die Hälfte der Bevölkerung in die Flucht getrieben; sechs Millionen Bürger, die ihr Zuhause verloren haben, suchen irgendwo im Land Unterschlupf! Vater Alexi scheint sich sonst in der Rolle von jemandem zu gefallen, dessen Beziehungen weit reichen. Diesmal passt die Rolle nicht.

Am Abend empfängt der ­Priester mit den sanften Augen und dem ­grauen Bart die Delegation ­nahe der syrischen Stadt Marmarita im "Tal der Christen". Und er sagt: Alles ganz banal – die Mitarbeiterin im Außenminis­terium, die Visa vergibt, ist griechisch-­orthodox. Er hat ihre Handynummer und kann sie nach Dienstschluss erreichen. Allzu viel Nähe zum Regime braucht man dafür nicht. Trotzdem stimmt es: Die syrischen Christen sympathisieren überwiegend mit dem ­Assad-Regime. Sie sehen auf der Rebellen­seite vor allem diejenigen, die Bischöfe entführen, christlichen Dorfbewohnern die Kehle durchschneiden und Menschen in Geiselhaft ­nehmen, die sie nur gegen Lösegeld freigeben. "In Deutschland spricht man vom syrischen Bürgerkrieg", sagt Vater Alexi. "Aber die Regierung kämpft gegen Terroristen im Land."

Auch muslimische Soldaten strecken die Hand aus und wollen den Geistlichen berühren

Vater Alexi wechselt mühelos vom Arabi­schen ins Deutsche und von dort ins Engli­sche. 1993 wurde der diplomierte Chemiker Priester der Antiochenisch-Orthodoxen Erzdiözese in Europa. Von Norddeutschland aus bewährte er sich als Organisator, Lehrer, gelehrter Theologe. 2015 holte ihn der Patriarch zurück und machte ihn zum Direktor des syrischen kirchlichen Hilfswerks. Stolz ist Vater Alexi auf seine Gemeinschafts­zentren, wo Freiwillige die misstrauisch geworde­nen Menschen wieder zusammen­bringen. Sie ­gestalten die Freizeit von Kindern, die Schlimmes erlebt haben oder entwurzelt sind, weil ihre Familien fliehen mussten. Frauen werden ausgebildet. Die Hilfe gilt ­allen, ­Religion spielt keine Rolle. Als Vater Alexi das Hilfswerk übernahm, gab es drei Gemeinschaftszentren. Heute sind es bereits 13.

Vier Tage reist Vater Alexi mit der Delegation durch die von Assad beherrschten Landesteile. Immer wieder Straßensperren. Uniformierte blicken ins Wageninnere, sehen den Rauschebart, das funkelnde Kreuz auf der Brust und Vater Alexis ruhige Gesten. Auch muslimische Soldaten strecken die Hand aus und wollen den Geistlichen berühren.

Homs. Cornelia Füllkrug-Weitzel stapft mit Vater Alexi durch das Ruinenfeld, das die syrisch-­russische Waffengewalt 2012 hinterließ: ausgeräuchterte Be­tongerippe, zerrissene Metallläden früherer Geschäfte, vermüllte Seitenstraßen. Die ­Präsidentin der Diakonie-Katastrophenhilfe will sich selbst ein Bild von der Arbeit ­ihrer ­syrischen Partnerorganisation machen. Immer­hin, der Bischofssitz ist schon repariert, die benachbarte Mädchenschule wieder in ­Betrieb. Mittlerweile entstehen hier und da ­sogar ­wieder Wohnungen mitten in der Ruinenlandschaft. Nicht überall sieht es so schlimm aus wie an dieser Stelle.

"Wenn ihr euer Land wieder aufgebaut habt, sollt ihr dann anderen helfen, so wie wir ­euch."

Das "Tal der Christen" blieb von Kämpfen größtenteils verschont. Hier ist die Not eine andere: Inflation und wertlos gewordene Renten, Wohnungsnot und Mietwucher, chronisch Kranken reicht das Geld nicht ­für Medikamente. Wer dringend operiert ­werden muss, verkauft oft alles, was ihm noch ge­blieben ist. Im Sankt-Georgs-Kloster lässt Vater Alexi 40 Freiwillige des syrischen Hilfswerks den Deutschen von ihrer Arbeit berichten. "Ich stamme aus Homs und habe selbst von der Hilfe profitiert", sagt eine junge Frau. Jetzt mache sie auch mit. "Die teuren Mieten ­wegen der Wohnungsnot ziehen Probleme nach sich", trägt eine andere vor. Kinder kämen schlecht gekleidet zur Schule. "Die Schulen sind in schlechtem Zustand", schließt sich eine ­Dritte ­an. "Wenn wir eine gesunde Generation ­heranziehen wollen, müssen wir ihnen eine gute Schulumgebung bieten."

Am Ende hat Füllkrug-Weitzel das Wort: "Nach dem Weltkrieg", erzählt sie, "haben andere uns Deutschen geholfen. Sie sagten uns: Wenn ihr euer Land wieder aufgebaut habt, sollt ihr dann anderen helfen, so wie wir ­euch. Nun kommen wir nach Syrien und sagen euch dasselbe." Vater Alexi stockt. Sein Hilfswerk wurde ja 1994 gegründet, um den vor dem Golfkrieg geflüchteten Irakern zu helfen. Aber dass Syrer eines Tages wieder anderen helfen könnten, klingt heute eher wie eine ziemlich große Hoffnung.

Spendeninfo

Das syrische Hilfswerk

Die syrische Partnerorganisation der DiakonieKatastrophen­hilfe versorgt Menschen in Kriegszonen im Winter mit Decken und warmer Kleidung. Sie repariert zerstörte Wohnungen und bildet Frauen aus, damit sie Geld verdienen können. GOPA-DERD steht für Griechisch-­Orthodoxes Patriarchat von Antiochien" und "Abteilung ­für Ökumenische Beziehungen und Entwicklung" (auf Englisch).

Spenden:
Diakonie Katastrophenhilfe, Berlin
IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02
BIC: GENODEF1EK1
Evangelische Bank
Stichwort: Nothilfe Syrien  diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden

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