Bibel
War Lilith die erste Feministin?
In der Bibel taucht sie nur kurz auf. Sie kämpfte um Selbstbestimmung, wurde vielfach dafür geschmäht – und gefeiert
Eine Hand hält ein Mobile mit zwei Äpfeln
Lisa Rienermann
Aktualisiert am 13.05.2025
3Min

Goethes Mephisto warnt vor ihr, und in Thomas Manns "Zauberberg" ist sie ein "Nachtspuk mit schönen Haaren". Titel des Kapitels: "Walpurgisnacht" – natürlich. 2025 ist Lilith längst bei Marvel angekommen, Vampirin und Netflix-Queen (zum Beispiel in der Fernsehserie ­"Supernatural"). In verschiedenen ­antiken Kulturen fand sich die ­"Fliegerin im Dunkel der Unterwelt", oder die "Dienerin des Windes". Die Figur der Lilith hat im Laufe der Jahrhunderte viele Gesichter und ­Bedeutungen ­angenommen. Einst als gefährliche Dämonin verunglimpft, wird sie heute in einigen feministischen Kreisen als Ikone der weiblichen Rebellion gefeiert. War Lilith die erste Feministin?

Anne Herzig

Anne Herzig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Exegese des Alten Testaments.

Lilith taucht in der Bibel nur an ­einer Stelle im Jesajabuch (Jes 34,14) auf. Hier geht es um ein unbewohnbares Gebiet. Neben Wüstentieren und wilden Hunden wird auch "Lilith" in der Verwüstung hausen, wird prophezeit. Wie kommt es dann, dass sie später zur Frau Adams, des ersten Menschen wird? Das liegt an einer Leerstelle in der Schöpfungserzählung. Im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4) heißt es, dass Gott den Menschen auch weiblich schuf. Im zweiten Bericht (Gen 2,4–3,24) wird aber dann Eva gebaut. Was ist da los?

Lilith, eine Vorkämpferin des Patriarchats?

Die mittelalterliche Schrift "Alphabet des Ben Sira", in der sich verschiedene Erzählungen und Weisheiten finden, versucht sich an einer Erklärung. Sie schreibt Lilith in die Schöpfungserzählung hinein. Lilith sei die erste Frau Adams gewesen. Die Beziehung der beiden scheitert jedoch schnell. Lilith verweigert, Adam als überlegen anzusehen: Wir sind beide gleich, weil wir beide aus Erde gemacht sind, soll sie gesagt haben. Gezanke groß, Einigung aussichtslos. Und so erhebt sich Lilith in die Lüfte der Welt, sie verlässt ihn. Adam bekommt Eva. Die bleibt. Und Lilith? Aus der Ungehorsamen wird die Dämonin. Sie will sich rächen! Ihre große Wut wird zu dem, wovor man Angst haben soll. Schlaf nicht ­allein!, lautet eine Warnung im Talmud. Sie bedroht die schwangeren Frauen und die Neugeborenen. Wenn sie keine anderen findet, soll sie sogar ihre ­eigenen Kinder fressen.

Diese Erzählung haben Feminis­tinnen aufgenommen und ­gedeutet: Lilith sagt Nein und wird so zur Vorkämpferin gegen das Patriarchat. Sie wird zum Symbol für weibliche Selbstbestimmung. 1976 gründet sich eine jüdisch-feministische Frauenzeitschrift unter dem Namen "Lilith". ­Lilith ist bewundernswert, weil sie ihre eigenen Entscheidungen trifft – sogar auf die Gefahr hin, dafür ver­stoßen und geächtet zu werden.

Allerdings liegen Hunderte von Jahren zwischen der biblischen Lilith und dem Feminismus. Der Feminismus ist eine politische und soziale Bewegung, die sich auf die Gleich­stellung der Geschlechter fokussiert und auf konkrete soziale Veränderungen. ­Lilith hingegen war keine ­Aktivistin, sondern ist eine literarische Figur, die aus der jüdischen Aus­legung und ­ihrem Erbe hervorging.

Die Erzählung trifft einen Nerv der Gegenwart

Dennoch trifft ihre Geschichte in unserer Zeit einen Nerv. Eigentlich sogar zwei. Zum einen mit der Erzählung: Lilith verweigert die Unterordnung, will selbstbestimmt sein. Zum anderen mit den Auslegungen. Lilith werden Rachegefühle unterstellt, nur weil sie eigene Entscheidungen trifft. Weil sie keine Mutter sein will, muss sie natürlich andere Mütter hassen. Es ist, als würde man zwei Seiten derselben und auch noch sehr aktuellen Medaille betrachten: Die eigene Entscheidung bringt die Wut der anderen mit sich. Mit Liliths Geschichte kann man ­fragen, aus welchen Motiven Menschen zu Monstern erklärt werden. Man ­findet verschiedene und ebenso aktuelle Antworten: aus Wut, Neid oder Angst vor eigenem Wertverlust.

Ob wir Lilith als Feministin verstehen oder nicht, hängt also von der Frageperspektive ab. Es scheint so, als entstehe über die Zeiten immer wieder eine neue Lilith – eine zum Fürchten, zum Hassen und dann eine als Vorbild. Ihre Wirkungsgeschichte regt zum Nachdenken an, auch über Gemeinschaft unter Frauen. Und was ist eigentlich mit Eva, der braven? Stellen wir uns vor, die beiden träfen aufeinander – und würden Freundinnen . . .

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