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Als Zehnjähriger kam ich nach Deutschland, das war 1979. Meine Eltern flohen mit mir aus Oromia in Äthiopien über Kenia vor dem Bürgerkrieg. 1993 wurde ich deutscher Staatsbürger. Doch meine Zugehörigkeit definiert sich nicht nur durch einen Pass.
Yared Dibaba
Ich habe hier meine Frau kennengelernt und geheiratet. Meine Kinder wurden in Hamburg-Altona geboren, mein Vater fand seine letzte Ruhe auf einem Friedhof in Altona. Hier habe ich geliebt, gelernt, gearbeitet. Deutschland ist meine Heimat – oder besser gesagt, der Norden. Ich sage sogar gern: Ich bin zuerst Norddeutscher und dann Deutscher. Ich liebe die plattdeutsche Sprache, de Waterkant, die norddeutsche Lebensart, unseren Humor, Grünkohl und Pinkelwurst und die Mentalität der Menschen.
Und doch frage ich mich: Gehört meine Geschichte zu Deutschland?
Immer wieder wird mir – mal subtil, mal offen – das Gefühl vermittelt, nicht wirklich Teil dieser Gesellschaft zu sein. Durch Worte, durch politische Debatten, in denen über Menschen wie mich gesprochen wird, aber nicht mit uns. Begriffe wie "Remigration" sind nicht nur politische Forderungen, sondern Drohungen. Sie suggerieren, dass Menschen wie ich – obwohl hier verwurzelt – hier nicht hingehören.
Aber wer entscheidet das? Wer bestimmt, wer zu Deutschland gehört?
Als ich nach Deutschland kam, war ich im Fußballverein, im plattdeutschen Kinderchor und habe die Vorzüge des Dorflebens kennengelernt. Ich habe die großen und kleinen Momente dieses Landes miterlebt: den Mauerfall, das Sommermärchen 2006 – als ich auf dem Hamburger Fan-Fest vor 50 000 Menschen moderierte –, den Aufstieg und Wandel von Städten, den politischen Diskurs über die Jahre. Ich bin in Deutschland erwachsen geworden, alt geworden. Und doch reicht all das nicht aus, um als selbstverständlich deutsch zu gelten.
Die aktuelle politische Rhetorik macht mir Sorgen. Ich sehe, wie die Debatte über Migration zunehmend vergiftet wird. Wie von "Rückkehrprogrammen" gesprochen wird, als wären wir eine austauschbare Größe – keine Menschen mit einem Leben, mit Familien, mit Wurzeln. Als wären wir ein Problem, das es zu lösen gilt. Ich frage mich, ob diejenigen, die solche Begriffe verwenden, jemals darüber nachgedacht haben, was das mit uns macht.
Deutschland ist längst vielfältig. Millionen von Menschen mit einer internationalen Geschichte sind fester Bestandteil dieser Gesellschaft. Und doch wird immer noch unterschieden zwischen "echten Deutschen" und "den Anderen". Ich bin kein "Anderer". Ich bin hier. Ich bin Teil dieses Landes. Ich bin Bürger dieses Landes.
Wenn Menschen im Wahlkampf Migration als "die große Herausforderung" bezeichnen, dann sage ich: Die Herausforderung ist nicht Migration. Die Herausforderung ist, ob wir als Gesellschaft endlich anerkennen, dass Deutschland vielfältig ist – und dass das keine Bedrohung ist, sondern eine Realität. Wie das Wetter. Die Frage ist nicht, ob ich diese Realität will oder nicht – denn sie existiert. Die Frage ist, wie wir mit ihr umgehen.
Ich wünsche mir von uns, dass wir Menschen nicht dulden, sondern teilhaben lassen. Und eine Politik, die sich fragt, wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten. Denn Heimat ist nicht nur eine Frage von Papieren. Heimat ist, wo wir leben, lieben, wo unsere Erinnerungen wachsen. Wo wir dazugehören.