Nach der Bundestagswahl
Offene Feindseligkeit
Das Wahlergebnis, die hohe Zustimmung für die AfD, ist im öffentlichen Raum deutlich zu spüren. Mir begegnet viel Erschreckendes - aber doch auch hoffnungsvolle Momente
Das letzte Highlight des Caspar-David-Friedrich-Jubiläums: Das Lichtkunstfestival Shining Light fasziniert rund 40.000 Besucherinnen
Zu Ehren von Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag veranstaltete die Stadt Greifswald das Lichtkunstfestival Shining Light
Andre Gschweng / IMAGO
Anke LübbertPR
12.03.2025
3Min

In Mecklenburg-Vorpommern hat die AfD alle Wahlkreise gewonnen, 35 Prozent der Zweitstimmen. Es gibt einige wenige Orte, in denen sie sogar die absolute Mehrheit bekommen hat. Da kann man auf der Straße neuerdings abzählen: eins, zwei. In vielen Orten ist sie nur knapp darunter geblieben.

Man hört das Wahlergebnis auch. Vergangene Woche bei meiner HNO-Ärztin, deren Sprechstundenhilfen sich über vermeintlich vorgeschobene Fluchtursachen einer Ukrainerin lustig machten. In der Tankstelle, an der die Kassiererin sich mit einem Kunden einig war, dass "die (Geflüchteten) ja alles kriegen und wir nichts". Am Aufkleber auf dem Auto vor mir "Grüne an die Ostfront".

Meine älteste Tochter verspätete sich vor ein paar Monaten auf dem Heimweg von der Schule einmal eine halbe Stunde, weil sie von einem Spielplatz, an dem sie vorbei kam, Hakenkreuze aus Kreide entfernen musste. Etwa zur selben Zeit sagt im Supermarkt an der Gemüsetheke ein Mann sehr laut, Ampel-Politiker gehörten aufgehängt. Als ich ihm sage, wie schlimm ich es finde, offene Gewaltfantasien zu hören, macht er sich über mich lustig. Solche Momente machen den öffentlichen Raum zu etwas potentiell Feindseligem.

Lesetipp: Was uns trotz allem Hoffnung machen kann

Dazu begegnen mir neuerdings sarkastisch-eskapistische Auswanderungsfantasien selbst in Smalltalk-Gesprächen mit Freunden und Bekannten zwischen Tür und Angel und hinterlassen dann für den Rest des Tages ein Gefühl der Irritation und ein paar Extrasystolen im Herzrhythmus.

Der Künstler Sergey Kim ist fasziniert von der Wirkung des Lichts auf Alltagsgegenstände. Hier sind es Kleidungsstücke, die zusammen die kulturelle und ethnische Mischung der Bewohner einer Stadt repräsentieren

Ich kenne solche Gedanken auch. Aber ist es nicht auch absurd? Wo in der Welt würde man denn zur Zeit wirklich gerne hingehen? Ausgerechnet aus Deutschland wegzugehen, wo Freiheit, Demokratie und Wohlstand vielleicht bedroht, aber immer noch da sind? Ist das nicht etwa so sinnvoll, wie darüber nachzudenken, wegen Klimawandel, Artensterben und Übernutzung auf den lebensfeindlichen Mars umzuziehen? Anstatt etwas gegen Klimawandel, Artensterben und Übernutzung zu tun.

In den Tagen nach der Wahl laufe ich mit einem Groll im Bauch durch die Straßen dieser eigentlich doch meiner Stadt, in der ich mich bisher immer wohl gefühlt habe. Ich will das nicht! Ich will hier dazugehören, nicht die ganze Zeit denken müssen "Du auch?"

Von Mitte Februar bis Anfang März läuft ein Lichtkunstfestival in der Stadt. Zu Ehren von Caspar David Friedrichs 250. Geburtstag haben internationale Künstler Lichtinstallationen rund um die Innenstadt aufgebaut. Erst am letzten Abend schaffe ich es, mir das anzusehen. Es ist ein Abend des Staunens und Wunderns. Die Stadt ist nach Einbruch der Dunkelheit voller Menschen, die sich langsam von einem Lichtkunstwerk zum nächsten schieben. An diesem Abend bin ich eine von vielen. Vor den Installationen stehen wir schweigend und geradezu andächtig. Überlassen dem Nächsten den Platz mit der guten Sicht, wenn wir eine Weile gestaunt haben. Da gibt es fragil wirkende Schmetterlinge, die auf dem Fluss schwimmen, ein riesiges Lichtfeuer am Bahnhof. Und eine überdimensionierte leuchtende Wäscheleine, an der ausgeleuchtete Hemden, Hosen, ein marokkanisches Festgewand, ein jüdisches Kleid hängen, Socken und ein BH.

"Neighborhood" hat der US-Amerikaner Sergey Kim die Installation genannt. Die Wäscheleine soll ein Gefühl der Verbundenheit mit den Nachbarn schaffen, ein Zeichen des harmonischen Zusammenlebens. An diesem Abend kann ich das fühlen. Am Ende wollen wir alle das Gleiche. Uns verbunden fühlen, dazu gehören. Ein bisschen Glück und Wunder. Unter den Menschen auf der Straße waren viele Unbekannte, bei denen ich mich nicht die ganze Zeit gefragt habe, ob sie eine demokratische Partei gewählt haben. Und es waren viele Freunde und Bekannte unterwegs. Die alle wohnen hier, wir zusammen können etwas verändern.

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke stammt aus Ostdeutschland und arbeitet heute bei der Evangelischen Akademie in Dresden. Anke Lübbert wurde in Hamburg geboren, lebt jedoch seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Greifswald. Beide schreiben sie im Wechsel über Politik und Gesellschaft aus ihrer Sicht. Alle zwei Wochen