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Am vergangenen Dienstag war der 150. Geburtstag von Albert Schweitzer. Er wurde leise begangen. Denn um diesen einstmals weltberühmten Theologen, Urwaldarzt, Weisheitslehrer und Organisten ist es still geworden.
Die Älteren erinnern sich ungern an den kitschigen und unehrlichen Kult, der in der Nachkriegszeit um ihn betrieben wurde. Die Jüngeren verbinden mit seinem Namen kaum noch etwas. Dabei hätte Schweitzers ethisch-religiöses Leitprinzip der "Ehrfurcht vor dem Leben" heute – angesichts all der politischen und ökologischen Krisen – wieder Beachtung verdient.
Was mich gerade besonders beschäftigt, ist Schweitzers spätes Engagement für den Frieden und den Schutz der Erde. Es war nicht nur überraschend erfolgreich, sondern ist für ein heutiges Engagement immer noch inspirierend.
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Selbst im abgeschnittenen Lambarene war Schweitzer gut über die Tagespolitik informiert. Die Wasserstoffbombentests der USA 1954 bereiten ihm sofort große Sorgen. Also las er sich in die politische, militärische und physikalische Materie ein und korrespondierte mit Geistesverwandten wie Albert Einstein, Otto Hahn oder Werner Heisenberg. Die Verleihung des Friedensnobelpreises im selben Jahr bot ihm eine Plattform, um seine Gedanken über das atomare Wettrüsten mit einer Weltöffentlichkeit zu teilen.
So sendungsbewusst er auch war, hatte sich Schweitzer doch bisher mit öffentlichen Äußerungen zurückgehalten. Denn: "Ich hatte immer das Empfinden, meine Verbindung mit der äußeren Welt müsse aus meiner Arbeit herauswachsen, oder aus meinen Gedanken über Philosophie, Theologie oder Musik. Ich habe immer versucht, mich mit den Problemen der ganzen Menschheit in Beziehung zu setzen und mich nicht in Dispute der einen Gruppe mit der anderen hineinziehen lassen."
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Doch jetzt konnte er nicht anders: Im April 1957 verbreitete er über Radio Oslo seinen "Appell an die Menschheit", ein Jahr später ließ er drei Radiovorträge über die Gefährlichkeit von Atomversuchen folgen. Wer diese Texte heute nachliest, dem wird auffallen, wie ruhig und sachlich Schweitzer formuliert. Das war in der aufgeheizten politische Situation keine kleine Kunst.
Beim Wiederlesen hat mich auch überrascht, dass Schweitzer auf seine Lehre von der Ehrfurcht vor dem Leben kaum eingeht. Er argumentiert weniger moralisch als sachlich. Vor allem informiert er sein Publikum über das, was bei Atomwaffentests passiert und was daraus folgt. Aufklärung also leistet er, man könnte auch neumodisch von "Wissenskommunikation" sprechen. Er will das Publikum nicht moralisch bedrängen oder gar in Panik versetzen. Zudem enthält er sich jeder Polemik. Schließlich zeigt er ein positives Ziel auf. Denn: "Der heutige Journalismus macht mir Sorgen. Die Betonung der negativen Ereignisse ist viel zu stark. Die Presse neigt dazu, eine negative, entmutigende Atmosphäre zu schaffen. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen den Glauben an den Fortschritt verlieren."
So erreichte Schweitzer – über das Radio, das damals modernste Massenmedium – viele Menschen auf der ganzen Welt. 1962 wurde schließlich nach vielen Wegen und Irrwegen ein von der UN vorbereitetes Teststopp-Abkommen unterzeichnet.
Was man aus all dem lernen kann? Im Engagement für eine ethische Politik geht es nicht um prominente Selbstprofilierung, um Moral-Macht oder ums kenntnislose Moralisieren, sondern darum, sich und andere zu informieren, sich mit anderen zu verbünden und klug abzustimmen, die eigene ethische Überzeugung mit Sachargumenten zu vertreten, den Gegnern Respekt entgegenzubringen, eine geeignete mediale Form zu wählen und sich dann der öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen. Wichtig ist es auch, Hoffnungsperspektiven aufzuzeigen.
PS: Die eindrucksvollen Zitate habe ich der Schweitzer-Biografie von Nils Ole Oermann (2009) entnommen. Ein neues, sehr lesenswertes Lebensbild – für Jugendliche und Erwachsene – hat gerade Alois Prinz veröffentlicht ("Albert Schweitzer – radikal menschlich").
PPS: In der Radioreihe NDR-Glaubenssachen habe ich am Sonntag eine kleine Geburtstagsfeier für Schweitzer ausgerichtet.