Energiewende in Afrika
"Mehr als 600 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Elektrizität"
Wie kann man die Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent gerecht gestalten? Der kenianische Umweltwissenschaftler Amos Wemanya im Interview
Ein Elektronikgeschäft mit Solarzellen und anderen Produkten in der Nähe von Nyeri Town, Kenia
Ein Elektronikgeschäft mit Solarzellen und anderen Produkten in der Nähe von Nyeri Town, Kenia
James Wakibia / SOPA Images / picture alliance
Victoria Komu
18.10.2024
4Min

chrismon: Herr Wemanya, ist eine gerechte Energiewende eigentlich möglich?

Auf einem Kontinent wie Afrika geht es nicht in erster Linie darum, von Kohle oder Öl wegzukommen, sondern darum, den Menschen schnell Zugang zu grüner Energie zu verschaffen. Mehr als 600 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Strom. Die Machtverhältnisse sind nicht ausgewogen. Es gibt Gemeinden, die über reichhaltige Energieressourcen verfügen, aber dennoch keinen Zugang zu Strom haben, weil die Technologie von Regierungen und inter­nationalen Großkonzernen kontrolliert wird, die daraus Gewinn schlagen.

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Amos Wemanya

Amos Wemanya ist Umweltwissenschaftler. Er arbeitet bei Power Shift Africa, einem Klima- und Energie-Thinktank. In Kenia leitet er Initiativen zur Förderung von Klima­gerechtigkeit in enger ­Zusammenarbeit mit der ­lokalen Bevölkerung.

Warum ist der Zugang zu Energie so wichtig?

Wir leben in einer Klimakrise, und die Folgen sind ungerecht. Obwohl wir in Afrika wenig zu den Emissionen beitragen, verlieren Menschen auf dem afrikanischen Kontinent Jahr für Jahr aufgrund extremer Wetterereignisse ihre Lebensgrundlage oder sogar ihr Leben. Es regnet unregelmäßig, oft ­fallen ­Regenzeiten mittlerweile ganz aus. Wer Zugang zu Strom hat, kann Wasserpumpen betreiben und Felder bewässern oder anders Geld verdienen.

Lesen Sie hier: Warum ist Strom teuer?

Welche Energiequellen kommen in Afrika infrage?

Solarenergie kann beispielsweise in Kenia landesweit genutzt werden. Im Nordosten, wo die Auswirkungen der Klimakrise am extremsten sind, gibt es ein enormes Windkraftpotenzial. Würden diese Potenziale genutzt, könnten sie den Gemeinden helfen, widerstandsfähiger gegen die Klimakrise zu werden. Aber dafür brauchen wir auch Energie-Demokratie.

Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass Gemeinden sowohl ­Erzeuger als auch Verbraucher ihrer eigenen Energie sind und bestimmen können, wie die Energie genutzt wird. Wir müssen weg von zentral gesteuerten Großprojekten, hin zu dezentralen, überschaubaren Versorgungssystemen. Wir müssen dezentrale Energiesysteme so gestal­ten, dass eine lokale Gruppe das Infrastruktur­projekt verwaltet, dass lokale Handwerker zum Unterhalt ausgebildet werden und die ­Nutzerinnen und Nutzer Gebühren zahlen, die den Unterhalt der Anlage langfristig decken. ­Solaranlagen bieten sich dafür besonders an.

Welche Verantwortung haben Länder wie Deutschland?

Es ist im Prinzip gut, wenn man in Ländern wie Kenia in den Ausbau grüner Energie investiert und sich solidarisch mit denen zeigt, die von der Klimakrise betroffen sind, die sie nicht verursacht haben. Wahre Solidarität bedeutet aber auch, sich von Maßnahmen fernzuhalten, die die Krise weiter verschärfen. Deutschland muss aus fossilen Brennstoffen aussteigen, damit wir die globale Erwärmung irgendwie eindämmen können.

Es gab Gespräche über ein Gasabkommen zwischen Deutschland und dem Senegal. Wäre das sinnvoll?

Es wäre unfair, die wenigen Ressourcen, die der Bevölkerung zur Verfügung stehen, nach Deutschland zu transportieren. Und es ist auch nicht gerechtfertigt, Länder wie Senegal dazu zu bringen, in Gasinfrastruktur zu investieren, statt in den Ausbau nachhaltiger Energien. Zuerst müssen wir 600 Millionen Menschen auf dem Kontinent mit Strom versorgen, damit sie sich besser gegen den ­Klimawandel wappnen können. Erst dann kann man über Energieexporte reden.

Was ist mit dem Export von nachhaltiger ­Energie wie grünem Wasserstoff?

Ja. Wasserstoffproduktion benötigt nicht nur extrem viel Energie, sondern auch viel Wasser. Kenia kämpft bereits mit Wassermangel. Es wäre absolut ungerecht, das wenige Wasser, das zur Verfügung steht, für die Produktion von Wasserstoff für den Export zu nutzen.

Unternehmen, die in Europa mit fossiler Energie produzieren, können sich über CO₂-Kompensationen das Label "klima­neutral" erkaufen. Bringt das etwas?

Das ist aus meiner Sicht Greenwashing. Mit dem Kauf sogenannter "Carbon Credits" ­wälzen die Umweltverschmutzer die Verantwortung auf die Menschen ab, die Opfer dieser Verschmutzung sind. Es gibt ein Ungleichgewicht in den Machtverhältnissen: Wer bestimmt, was diese Carbon Credits ­kosten? Wer profitiert von dem Geld? Oft sind es große Organisationen oder Unternehmen, die quasi als Zwischenhändler agieren. Das Konzept ermuntert die Umweltverschmutzer, einfach weiterzumachen, anstatt die Emis­sionen zu reduzieren.

"Nur ein Bruchteil der weltweiten Investitionen in grüne Energie wird in Afrika getätigt"

Amos Wemanya

Was muss sich ändern?

Nur ein Bruchteil der weltweiten Investitionen in grüne Energie wird in Afrika getätigt. Noch immer wird viel mehr in fossile Brennstoffe investiert. Dazu kommt, dass die großen Summen, die auf Klimakonferenzen ver­sprochen werden, oft in Form von Krediten zur Ver­fügung gestellt werden. Die afrikanischen Länder sind einem hohen Ausfallrisiko ausgesetzt und zahlen entsprechend hohe Zinsen.

Und neben der Finanzierung?

Im nächsten Schritt muss man fragen: Warum können wir Länder wie Deutschland nicht deindustrialisieren und Fabriken ­näher an die Ressourcen verlagern, die hier auf dem Kontinent liegen? Rohstoffe werden hier abgebaut, zu niedrigen Preisen verkauft und woanders hingebracht, nur damit die fertigen Produkte dann zu hohen Preisen wieder ­importiert werden. Warum können wir nicht alles näher an die Quelle bringen und in diesen Ländern Chancen und einen Mehrwert schaffen?

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