Wer am Kölner Hauptbahnhof ankommt, nimmt für die Weiterfahrt den Bus. Der steht immer schon da, aber manchmal ist er verschlossen, und statt "Frankenstraße" oder "Zollstock Südfriedhof" steht auf dem Zielschild "Pause". Daneben ist eine leuchtende, dampfende Kaffeetasse zu sehen.
Es gibt jetzt zwei Fehler, die man machen kann. Erstens: an die geschlossene Tür klopfen und die Busfahrerin, die gerade in ihr Käsebrot beißt, fragen, wann es denn endlich losgeht in Richtung Frankenstraße. Dann wartet man gut und gerne noch mal fünf Minuten länger und versteht: Diese Pause hier ist heilig.
Der zweite Fehler wäre, sich zu ärgern, dass man jetzt erst mal warten muss. Denn das lehrt jede Achtsamkeitsapp: Wartezeiten sind eine gute Gelegenheit, selbst mal ein paar Minuten durchzuatmen. Ganz ehrlich – dazu muss man vermutlich das große Achtsamkeitsdiplom haben. Erzwungene Warterei macht nicht so richtig glücklich. Aber man könnte sich zumindest in Akzeptanz üben. Wat wellste maache, Artikel 7 des Kölschen Grundgesetzes. Der 132er fährt jetzt halt nicht, is so.
Richtig schlau wäre, der Busfahrerin nicht nur die Pause von Herzen zu gönnen – schließlich hat sie sich während Corona anhusten, während Karneval vollspucken und spätnachts dumm anpöbeln lassen. Sie hat ihre Pausen verdient! Schlau wäre, wenn wir Kreativarbeiter, Büromenschen und Rund-um-die-Uhr-Erreichbaren uns an den Busfahrern ein Beispiel nähmen. Nämlich: richtig feste Pausen in unseren Tag einbauen.
Denn die Pause, sie ist bedroht. Nicht so sehr von bösen Arbeitgebern, die einem das Verschnaufen nicht gönnen wollen. Sondern eher von uns selber, die wir lieber durcharbeiten und abends früher Schluss machen. Die wir denken: Unser Job ist sooo sinnvoll, da braucht es gar keine Pause. Und die wir unsere digitalen Geräte einfach nicht abstellen mögen, auch nicht in der kurzen Kaffeepause. Da checken wir Insta und Facebook, anstatt die Augen zu schließen oder verträumt aus dem Fenster zu schauen.
Dabei bräuchte es genau das: regelmäßig Pausen machen, in denen wir nichts tun. Nicht lesen, nicht die Spülmaschine ausräumen und auch keine Spanisch-Vokabeln auf der Duolingo-App memorieren. Eine sinnvolle Pause ist: "Auf einer Bank sitzen und dem Gras beim Wachsen zuschauen." Das empfiehlt der Neurologe und Psychotherapeut Professor Hartmut Göbel, er leitet in Kiel die bekannteste Schmerzklinik in Deutschland, er muss es wissen. "Echte Pausen sind das Allerwichtigste in der modernen Welt. Aber wir haben die Pause verlernt."
Besonders Frauen sollten darauf achten, so Göbel: "Ihr Hirn ist genetisch so ausgestattet, dass es schneller arbeitet, präziser unterscheiden kann, vorwärts und rückwärts denkt." Was passiert, wenn ich in die Stadt fahre, und da gibt es keinen Parkplatz? Was passiert, wenn sich die Erde weiter erhitzt und meine Kinder es kaum mehr aushalten? So denkt das Frauenhirn noch mehr als das Männerhirn: emotionaler, differenzierter. Und das verbraucht enorm viel Energie im Hirn. "Entweder wir schaffen es, das Betriebssystem regelmäßig runterzufahren. Oder der Körper zieht die Notbremse."
Notbremse heißt: Zwangspause. Kinder, die nicht regelmäßig Pause machen, schalten dann in der Schule ab. Manche fühlen sich müde und abgeschlagen. Migränepatienten – das sind dreimal mehr Frauen als Männer – bekommen dann einen Migräneanfall. Der kann bis zu drei Tage dauern. Auch eine Pause, aber keine schöne. Übelkeit, Verzweiflung, abgedunkelte Räume.
Also lieber – rechtzeitig eine Pause einlegen, die auch Spaß macht. Aber wie soll das gehen? Göbel kommt aus einem katholischen Dorf bei Würzburg. "In meiner Kindheit haben die Erwachsenen sonntags drei Stunden aus dem Fenster geschaut, mit einem Kissen unterm Ellbogen. Das war genau richtig!" Oder den Rosenkranz gebetet. Alles sinnvolle Unterbrechungen. Heute empfiehlt der Professor seinen Patienten, so sie nicht religiös sind, zum Beispiel Entspannungsübungen wie die progressive Muskelrelaxation. Viele Therapieverfahren wirken über Entspannung und Abschalten: "Bis heute ist nicht geklärt, warum Akupunktur manchen Schmerzpatienten hilft. Ich vermute: auch deshalb, weil sie in der halben Stunde, in der die Nadeln im Arm stecken, nicht weglaufen können. Und keine Mails checken."
Besonders schwer tun sich junge Leute mit den Pausen, sagt der Chefarzt. "Die leiden an kompletter Reizüberflutung." Und fragen, wenn der Doktor eine Pause verordnet, als Erstes: "Aber das Handy darf ich schon mitnehmen, oder?" Nein, sagt er dann. Guck den Wolken zu. Oder den Vögeln, wie sie ihr Nest bauen.
Es ist schon absurd. Als die Digitalisierung Fahrt aufnahm, war die Angst groß: Der Arbeitgeber wird uns jetzt genau tracken. Haben wir genug geschafft, Content produziert, Anschläge, Wörter, Posts? Oder doch zu viel Zeit in der Kaffeepause verdaddelt? Und es gibt natürlich bis heute Betriebe, die genau das tun: ihre Mitarbeiter auf Höchstleistung und Effizienz überwachen. Bei Amazon gab es immer wieder Ärger um die Pausen: Zählt der Fußweg zu und von den Pausen- und Kantinenräumen ab Signalton mehr als fünf Minuten? Und was ist, wenn man öfter zur Toilette muss als vorgesehen?
Das Thema Toilette beschäftigt immer wieder sogar Arbeitsgerichte. Denn der Gang zur Toilette ist keine Pause, sondern eine "vom Arbeitgeber zu duldende kurzzeitige Arbeitsunterbrechung". Ein Arbeitnehmer, der innerhalb von zwei Wochen insgesamt 384 Minuten auf der Toilette verbrachte, bekam diese Zeit vom Lohn abgezogen. Zu Unrecht, urteilte das Arbeitsgericht Köln. Die Toilettenpause ist ein Menschenrecht. Immerhin.
Aber die meisten von uns arbeiten ja nicht bei DHL und Amazon. Wir sind Büromenschen, dürfen ungestraft aufs Klo und sind in der Lage, unsere Pausen zu managen. Theoretisch. Und rechtlich. Aber faktisch geraten immer mehr in ein Hamsterrad, das sich pausenlos dreht. In den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Fehltage wegen psychischer Probleme um mehr als 50 Prozent zugenommen, sagt die DAK. Betroffen sind vor allem jüngere Beschäftigte.
Und deshalb trackt einen die Krankenkasse neuerdings genau andersrum: Hast du genug Pausen gemacht? Hast du deine Rückenübung am Arbeitsplatz gemacht? Was ist mit deiner Mittagspause? "Und, wie geht’s mir?" steht über einem Porträt der Instagram-Creatorin Emily Knafl im aktuellen Magazin der Techniker-Krankenkasse. Knafl nutzt den "TK-Coach", eine App, die ihre psychische Gesundheit überwacht. Sie regelmäßig daran erinnert, nicht pausenlos zu influencen und zu posten.
"Im Großraumbüro kommen die besten Ideen: an der Kaffeemaschine"
Das eine wie das andere ist fragwürdig. Wir wollen nicht digital überwacht werden, ob wir zu viel Pause machen. Wir wollen aber auch nicht unbedingt unserer Krankenkasse verraten, ob wir am Bildschirm nach 90 Minuten das "Workout für den fitten Kopf" abgeturnt haben. Zwar verspricht die App höchste Datensicherheit. Aber wenn dann doch in zehn Jahren die Krankenkasse sagt: Wie, neue Hüfte? Hättest du am 23. März mal deine Rückengymnastik aus der App gemacht! Nee, nee, das mit den Pausen – das müssen wir schon selbst organisieren.
Einiges können moderne Firmen tun: auf der Dachterrasse Loungesessel aufstellen, damit man von dort in die Weite gucken kann. Kaffeeküchen einrichten, in die mehr als zwei Menschen passen. Noch besser: eine Insel mit guter Espressomaschine, wo man auch länger als die 30 Sekunden stehen mag, bis die Brüheinheit den Latte – zrrrr, blop – durchs Sieb gejagt hat. Start-ups machen das bisweilen ganz gut – im Berliner AI Campus erzählt man sich: Trotz Zoom-Calls mit Singapur und Berkeley entstehen die besten Ideen an der Kaffeemaschine im Großraumbüro in der Max-Ulrich-Straße. Oder am "Bowl Creator", einer futuristischen Maschine, wo sich die hungrige Programmiererin mit Chiasamen und Edamame versorgen kann. Hauptsache Pause.
Ganz einfach auch die Idee, die man beim mittelständischen Farbstiftebetrieb Staedtler in Nürnberg vor einigen Jahren hatte: Alle Mitarbeitenden bekamen morgens an der Pforte Buntstifte und Mandalas ausgehändigt mit der expliziten Aufforderung: "Mach öfter mal Pause! Mal ein Mandala!" In den Fluren standen Stelen, an denen man malen und weitermalen und lettern konnte. "Kam super an", sagt Pressesprecher Dominik Kestler, "und viele malen jetzt weiter, auch wenn die Kampagne abgeschlossen ist." Klar, Buntstifte malen nicht nur die Pause farbig an, sondern machen auch die Mitarbeitenden zu Botschaftern ihres Produktes. Seltsam, dass da nicht schon mehr Firmen drauf gekommen sind. Hallo, Chefinnen! Farbstifte!
Was dem einen das Mandala, ist der anderen das Gebet. Nicht nur im Kindheitsdorf des Schmerz-Professors, sondern auch mitten in Berlin wird die heilsame Unterbrechung des Gebets durchaus noch praktiziert. Evamaria Bohle ist Journalistin in der Hauptstadt und Teil einer achtköpfigen Gemeinschaft, die in einem evangelischen Stadtkloster zusammenlebt. In ihrer Morgenandacht im Deutschlandfunk beschreibt sie, wie die festen Pausen ihrer Seele guttun: "Noch nie ist eines dieser Tageszeitengebete ausgefallen. Wenn die Glocken morgens und mittags läuten, lassen wir uns bei dem, was wir tun, unterbrechen. Ein Lied. Ein Gebet. Ein Abschnitt aus der Bibel. Schweigen. Vaterunser und Segen. Gerade diese eher spröde Regelmäßigkeit erdet und führt mich verlässlich in die Weite. Wie ein Strandspaziergang." Wie schön!
Ganz verloren ist sie also noch nicht, die Pause. Und kaum kämpft man für sie, findet man viele Mitstreiter. Neulich im Schauspiel Köln, "Der Prozess" von Kafka, harter Stoff an einem sonnigen Samstagabend, zwei Stunden ohne Pause. Uff, sagt die Theatergängerin, hätte man nicht nach einer Stunde schon mal im wunderschönen Theatergarten einen Aperol Spritz zwischen Sonnenblumen und Minzetöpfen trinken können? Klar, Theater ist ja eigentlich an sich schon eine Pause. Aber die ist dann ganz schön effizient gehalten. Dabei wäre es so schön: die neusten Modetrends des Kulturpublikums gucken, frische Luft, Toilette. Es hätte sich die Ausweglosigkeit des Herrn K. auch gleich ein bisschen heiterer angefühlt.
Wie viel lustiger war es neulich in Wien, wo man nicht nur wegen der Inszenierung des etwas angegrauten Stücks "Der ideale Mann" von Oscar Wilde ins Theater in der Josefstadt pilgerte. Sondern in der Pause am Stehtisch die vorbestellte Lachsschnitte futterte, am Grünen Veltliner nippte und guckte, wer noch so da ist. Mit dem müsste man mal wieder . . . Und dann könnte vielleicht . . . Darum geht’s ja auch. Denn nach der Vorstellung hetzen ja doch fast alle zu ihrem Parkhaus oder ihrer Bahn.
Ob gerade wir Deutschen lieber durchziehen, hätte man gerne vom Deutschen Bühnenverein erfahren, aber der reagiert nicht auf Anfragen. Also nachgucken beim Portal "Nachtkritik". Kritiker Michael Wolf klagt: "Selbst bei Inszenierungen von einer Dauer von drei Stunden kann man nicht sicher von einer Unterbrechung ausgehen." Blöd, sagt Wolf, denn Theater seien doch Orte, wo die Stadtgesellschaft zusammenkommt.
Da hat wohl so mancher Intendant die Sorge, die Zuschauer könnten die Pause nutzen, nach Hause zu gehen. Oder in eine Bar. Aber auch das liegt im Wesen einer Pause: ein Stück Freiheit. Bleiben oder gehen. Warum denn nicht? Alles besser als: pausenlos funktionieren.
Liebes Redaktionsteam, ein…
Liebes Redaktionsteam, ein interessanter Beitrag, jedoch finde ich die Anmerkungen zur Theaterpause ziemlich daneben. Natürlich ist Wilde lustiger als Kafka, das liegt vielleicht am Stoff?
Will man sich wirklich nach dem Prozess heiter fühlen? Oder vielleicht klüger, reflektierter, erkenntnisreicher?
Theatermacher sind Künstler, die etwas vermitteln wollen. Einen Denkprozess mit einer Pause zu unterbrechen ist mitunter gut, nicht immer. Der Zuschauer muss sich neu in die Gedankenwelt des Stückes hineinfinden, das ist der dem gesamten Eindruck vielleicht hinderlich.
Den gedanklichen Flow sollte manchmal nicht unterbrochen werden.
Wenn die Pause das wichtigste am Theater , dann sollte man vorher genau hinschauen , worauf man sich einlässt.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Kowalski
Sehr geehrte Frau Fallet,…
Sehr geehrte Frau Fallet,
Sie haben ja sooo recht mit der Pause.
Mann muss es aber nicht übertreiben mit pausieren, denn die Natur hat uns die perfekte Pause schlicht eingebaut.
Wir können gar nicht anders, als pausieren.
Täglich.
Es gibt keine bessere Pause, als den Schlaf. Und mehr Pause brauchen wir nicht.
Zugegeben, ich halte mich nicht daran, ich mache viel, viel mehr Pausen, aber für mich ist schon der Wechsel von körperlicher zu geistiger Arbeit auch Pause.
Ich muss da weder dem Gras beim Wachsen zusehen, noch die Wolken verfolgen.
Übrigens: Ich bin der Überzeugung, dass wir deswegen so erfolgreichsten (?) Tiere sind, weil wir die Besten im Pause machen sind. Häuser? Haben wir nur erfunden, um geschützt pausieren zu können....
Schöne Wolken wünscht
G-R Mälzer