Ich bin jetzt also König Salomo. Königlich aufrecht soll ich mich aufstellen, Rücken gerade, Brust nach vorn, Arme ausgebreitet, denn ich muss gleich eine schwere Entscheidung treffen: Vor mir stehen zwei Frauen, die um ein Kind streiten. Welche von beiden soll es bekommen? Um das zu entscheiden, brauche ich ein "hörendes Herz" und einen geraden Rücken. Damit meine Entscheidung später auch respektiert wird.
Ich bin nicht etwa in Jerusalem, obwohl die Temperaturen an diesem Junitag in Mittelfranken in dieselbe Richtung gehen. Ich stehe schwitzend, aber aufrecht im Barocksaal einer evangelischen Akademie und übe "Bibel-Yoga", kurz "Biga". Die Abkürzung kann man auch als "Bibel ganzheitlich" lesen, die Kursleiter Andrea König und Günther Kusch sind sicher: Körper, Geist und Seele bilden eine Einheit, das sei "gut reformatorisch". Wer "in sich selbst verkrümmt" ist – lateinisch "incurvatus in se" –, kann seine Nächsten nicht wahrnehmen. So die beiden Theologen, die das Zitat von Martin Luther frei interpretieren. Klingt einleuchtend.
Religion und Spiritualität: Was ist der Unterschied?
König und Kusch haben sich "Biga" in der Corona-Zeit ausgedacht und ein Buch darüber geschrieben: "Die Bibel sportlich nehmen". "Allein das Fotoshooting für das Buch war eine Herausforderung", berichtet Andrea König, Pfarrerin beim Forum Frauen der bayerischen Landeskirche. "Eine Kirche zu finden, in der wir Yogaübungen fotografieren durften, hat schon so manche Tür verschlossen."
Dabei haben König und Kusch ganz offenbar eine Marktlücke entdeckt: Seitdem es wieder Kurse in Akademien wie diesem Märchenschloss in Bayern, der Tagungsstätte Wildbad, gibt, sind sie sofort ausgebucht, der Landesbischof hat auch schon mitgeturnt. Yoga ist mega-in, auch in evangelischen Kreisen.
Diesmal sind 15 Frauen und zwei Männer gekommen, sie arbeiten in Kirchengemeinden, Altenheimen oder Kitas. Viele haben nach einer Krise zum Yoga gefunden: Ehescheidung, Muskelfaserriss, Krebsoperation. "Yoga hat mich gerettet", der Satz fällt immer wieder – Yoga ist sanfter als viele andere Sportarten, man braucht kein goldenes Sportabzeichen und kein definiertes Sixpack. Und es nimmt die Seele in den Blick.
Auch ich mache seit ein paar Jahren Yoga und habe verschiedene Achtsamkeits- und Meditationskurse ausprobiert. Die Übungen gefallen mir fast immer, der meist esoterische Überbau nervt mich total. Zuletzt habe ich einen Zazen-Kurs in Köln abgebrochen, weil ich mich vor Buddha niederwerfen sollte. Niederwerfen! Ich!
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Andrea König, Günter Kusch (Hg.): "Die Bibel sportlich nehmen" (Vandenhoeck & Ruprecht, 20 Euro).