Lieber Leserinnen, liebe Leser,
es war Zufall, dass ich am 3. Oktober – dem "Tag der Deutschen Einheit" – just zu der Zeit mein Smartphone zur Hand nahm, als jemand einen Tweet von Annalena Schmidt geteilt hatte. Die Historikerin schrieb: "Ich habe den Tag bisher gefeiert, nun lebe ich in #Sachsen, werde angefeindet, weil ich aus ‚dem Westen‘ stamme."
Eine traurige Aussage, die mich neugierig machte. Ich schrieb Annalena Schmidt und erfuhr, wie sie ihre Wahlheimat erlebt: als gespaltene Stadt, in der die Rechten den Ton angeben, oft ohne Widerspruch. Ich fragte nach der Rolle der Kirche. Schmidts Antwort: Die sei mittendrin im Konflikt zwischen - einerseits - denjenigen, die eine Willkommenskultur für Flüchtlinge hochhielten. Und - andererseits - denen, die finden, das Boot sei voll. Annalena Schmidt schickte mir ein Foto, es zeigte den Schaukasten der Kirchgemeinde St. Petri, beschmiert mit Hakenkreuzen und SS-Zeichen.
Ein Indiz dafür, dass alle Christen in Bautzen von den Rechten beschimpft werden, war das aber mitnichten. Im Gegenteil: Die Kirchgemeinden sind in Bautzen so gespalten wie der Rest der Gesellschaft. Diese Spaltung mag in Sachsen besonders heftig sein, aber auch bundesweit muss es sie geben, wie die Umfragewerte der AfD zeigen. Zum Beispiel in Hessen, wo im Herbst gewählt wird. Dort liegt die Partei, deren Vorsitzender Alexander Gauland vor wenigen Wochen sagte, "ein ganzer Apparat, ein ganzes System" müssten weg, bei 15 Prozent.
Die Publizistin Liane Bednarz sagte uns im Interview, in evangelischen wie katholischen Gemeinden gebe es Christen, die trotz solcher Aussagen mit der AfD oder mit rechten Verschwörungstheorien sympathisierten. Und auch wenn es anstrengend sei: Man müsse mit rechten Christen im Gespräch bleiben, streiten, argumentieren – und erklären, was und wer mit Nächstenliebe gemeint sei. Nämlich, so Bednarz, "der Nächste in der jeweils konkreten Situation".
Wie groß der Gesprächsbedarf schon ist, haben mein Kollege Jonas Walter und ich in Sachsen erlebt. In Bautzen gibt es Pfarrer, die argumentieren: Nächstenliebe gilt nur für die, die so sind wie wir. Wohin so ein Denken führen kann? Das weiß die Bautzenerin Ely Almeida. Sie hat dunkle Haut und berät Frauen, die geflüchtet sind. Uns hat sie erzählt, was sie und die Frauen erleben.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche, bleiben Sie im Gespräch!
Ihr
Nils Husmann
chrismon-Redakteur