Ist es denn nicht normal, dass man im Alter depressiv wird? Nein, man wird nicht automatisch depressiv, auch wenn man im Alter viele Verluste erlebt. Es erkranken jedes Jahr etwa acht Prozent der erwachsenen Deutschen aller Altersgruppen zwischen 18 und 79 Jahren an einer Depression. Aber Ältere bekommen viel seltener eine Psychotherapie angeboten.
Oft wird eine Depression ärztlicherseits abgetan mit einem "Na ja, der ist halt alt", sagt Alexandra Wuttke, die an der Konstanzer Uni eine Psychotherapieambulanz für Menschen im höheren Lebensalter leitet. "Dabei kann man mit einer Therapie so viel erreichen!"
Selbst einfache Maßnahmen können schon viel ändern, etwa das "Positiv-Tagebuch", eine Übung aus der Verhaltenstherapie. Die wirke auch vorbeugend, sagt Alexandra Wuttke, sie macht die zu Hause in der Familie jeden Abend: "Wir sagen reihum drei Dinge, für die wir dankbar sind. Das schärft enorm den Blick fürs Positive." Es geht nicht um eine rosarote Brille, sondern um eine faire Wahrnehmung. Ältere zweifelten zwar am Anfang: "Drei Dinge? Das fällt mir im Leben nicht ein!" Aber dann . . .
Es ist nie zu spät für eine Psychotherapie, das ist Stand der Wissenschaft. Und der Bedarf ist da. Rund 10 000 Menschen nehmen sich in Deutschland jedes Jahr das Leben. Das sind mehr Tote, als zusammengenommen durch Mord, Totschlag, Drogen und Unfälle sterben. Dazu kommen noch etwa 100 000 Suizidversuche. Mehr als die Hälfte der Menschen, die sich in Deutschland pro Jahr selbst töten, sind über 60 Jahre alt.
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