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Es sind Zahlen, die immer wieder von Neuem erschrecken. Jede SEKUNDE (!) entstehen in Deutschland 7,3 Tonnen an Bauabfällen. Durch Abriss, Jahr für Jahr. Schätzungen gehen von gut 50 000 Gebäuden pro Jahr in Deutschland aus; ein Großteil von ihnen könnte erhalten werden. Werden sie aber nicht. Denn mit Bauen lässt sich immer noch (Krise hin, Krise her) zuviel Geld verdienen.
Es mehren sich die Stimmen, die diesem Un-Tun Einhalt gebieten wollen. Schon im letzten Jahr forderten verschiedene große Organisationen, von der Bundesarchitektenkammer über die Deutsche Umwelthilfe oder den WWF zusammen mit hunderten einzelner Akteure von Bundesbauministerin Klara Geywitz ein "Abrissmoratorium". Mit dabei waren die "Architects for Future" (schicker abgekürzt "A4F"), über die ich schon berichtet habe. Vor kurzem veröffentlichten sie ihren Abrissatlass.
Mit wenigen Klicks lassen sich auf der Landkarte Gebäude mit Foto eintragen, die entweder vom Abriss bedroht sind oder bereits abgerissen wurden. Die Aktion trifft einen Nerv der Zeit. Über 800 000 Zugriffe erzielte die interaktive Seite in den ersten Tagen. Täglich steigt die Zahl der eingetragenen Gebäude.
Um mehr zu erfahren telefoniere ich mit Leon Beck von A4F. Er hat an der ETH Zürich Architektur studiert und arbeitet heute am Bodensee als freiberuflicher Produktdesigner und Architekt. Bei den A4F war er von Anfang an dabei, denn: "Hier finde ich endlich, was ich im Studium immer wieder gesucht habe: einen politischen Kontext für meine Arbeit." Mit dem kürzlich lancierten Abriss-Atlas macht er jetzt genau das und stellt seine Arbeit in einen solchen Kontext: „Architektur ist immer gesellschaftsprägend und damit per se politisch. So ist auch die Diskussion um Abriss und Neubau bei Weitem keine rein materielle. Mit jedem Abriss geht eine gewachsene soziale Struktur verloren. Doch genau diese Strukturen sind prägend für unsere Gesellschaft, für einen Austausch und damit auch für die Demokratie."
Die Vorlage für den deutschen Abriss-Atlas gibt es bereits seit einiger Zeit in der Schweiz, von dort kamen auch Programmier- und Technik-Knowhow, so dass die Kosten für die Erstellung der interaktiven Seite so gering gehalten werden konnten. Wichtig für die noch jungen Architects for Future. Denn A4F ist zwar längst bundesweit bekannt, doch die Arbeit erfolgt dezentral, in mal kleinen, mal großen Ortsgruppen. Wie viele Mitglieder dort mittlerweile genau aktiv sind, lasse sich nur schwer sagen. In Konstanz, bei Leon beispielsweise sind es rund acht aktive Mitglieder. Die Finanzierung von Architects for Future erfolgt rein auf Basis von Spenden und Förderungen. Hier könnt Ihr direkt für den Atlas spenden.
Kein Haus entsteht im Nichts
Ich frage Leon, woher es kommt, dass Architekt*innen erst seit wenigen Jahren so aktiv mit ihrem gesamtgesellschaftlichen Auftrag in der Öffentlichkeit sichtbar werden? Leons Antwort fand ich interessant: "Unser Studium, unser Beruf beginnt in der Regel auf einem ‘weißen Blatt', als gäbe es einen Null-Punkt, von dem aus wir starten." Doch den Nullpunkt gibt es eben nicht. Kein Haus entsteht im Nichts. Jeder Ort hat bereits eine Geschichte. Leon ist sich sicher: "Das Umdenken hat bereits begonnen, doch es braucht Zeit, bis sich dies in der gebauten Realität widerspiegelt. Zeit die wir nicht haben. Daher bedarf es jetzt einer Ausbildungsoffensive im Bauhandwerk und einer Umbauordnung, um die personellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die notwendige Transformation des Gebäudebestands zu schaffen."
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Fast täglich radel ich durch meine Heimatstadt Hamburg und bin immer wieder entsetzt, wo ich überall Abrissbirnen sehe, weil mal wieder ein neues "Quartier" entsteht; "Freie und Abrissstadt Hamburg" eben. Bundesweit bekannt ist die Diskussion um die Köhlbrandbrücke. Sie soll abgerissen werden. Doch ist das wirklich nötig? Der sehr großartig und in der Stadt umtriebige Denkmalverein Hamburg hat bereits einen lokalen Vorläufer des bundesweiten Abrissatlas entwickelt.
Und wie Leon es beschrieben hat: Es geht bei jedem Abriss auch immer um Geschichte, um Identität. Mal um die eigene (traurig, mein Elternhaus); mal um die eines ganzen Volkes, wie z.B. beim Abriss vom DDR-Palast der Republik. Ich erinnere mich an eine chrismon-Begegnung dazu vor vielen, vielen Jahren mit dem (leider viel zu früh gestorbenen) Peter Conradi und dem Trompeter Ludwig Güttler. Auch heute noch wird der "politische Abriss" diskutiert.
Jetzt gibt es den Abrissatlas, für Leon ein "klassisches Protestwerkzeug". Genau! Ich werde dort viel eintragen in nächster Zeit. Macht mit!
PS:
Vor einigen Monaten sprach ich in der Wohnlage mit Daniel Fuhrhop über den "Unsichtbaren Wohnraum". Nun ist seine Dissertation dazu als Buch erschienen. Glüchwunsch!
Sendehinweis auf ARD Feature
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Liebes Chrismon-Team,
der Abriss-Atlas: ein wichtiges uns sehr aktuelles Thema, das Sie in Ihrer Kolumne am 26.10. aufgegriffen haben! Als Diskussionsbeitrag, Ergänzung, anderes Format oder einfach: als Einladung zum Austausch möchte ich Sie gerne auf untenstehendes Hörfunk-Feature in der ARD-Audiothek zu genau diesem Themenspektrum hinweisen - vielleicht ja einfach ein weiterer kleiner Baustein hin zu einem etwas bewussteren Umgang mit unseren (Bau)-Ressourcen!
Mit herzlichen Grüßen aus Saarbrücken,
Dagmar Scholle
https://www.ardaudiothek.de/episode/featurekiste-audios/das-haus-im-kreisverkehr-nachhaltiges-bauen/sr-2-kulturradio/94541830/