Sven Paustian
Wie sieht es im Himmel eigentlich aus? Sicher nicht wie im Kinderzimmer von Chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer. Oder doch?
Lena Uphoff
16.07.2014

Himmel! Wie sieht es denn da aus? Wenn meine Mutter diesen Satz rief, fauchte und schnaubte, wusste ich: Es geht nicht um einen Blick ins göttliche Reich der Schönheit, der Anmut, ins ­Paradies. Himmel! Euer Zimmer! Mein Bruder und ich teilten es uns. Er: ein naturwissenschaftlich und technisch interessierter Kerl, umgeben von Drähten, Röhren, elektrischen und elek- tronischen Geräten. Und ich: der Papiertiger mit Bergen von alten Zeit­schriften, losen Blättern, Büchern, Blocks und Heften. Die Kombination der Unordnungen, die versöhnte Anarchie unseres Materials – das sah aus!

Mein Vater legte, hinter meiner Mutter auftauchend, gerne nach: „Niemand verlangt, dass man in eurem Zimmer vom Boden essen können muss!“ Wir wussten, was gefordert wurde. Auf­räumen. Ein bisschen aufräumen, dass es nicht mehr „so“ aussah. Himmel!

Und wie sieht Ihr Himmel aus? Meiner hat durchaus fröhliche, freundliche, chaotische Züge. Kein hochherrschaftliches Elysium wie das der alten Griechen. Kein paradiesisches Jenseits des ewigen Frühlings, wo die Besten der Helden ewig unter Weihrauchbäumen und Rosen dem Lautenspiel und der heiteren Selbst­bezogenheit huldigen. Kein germanisches Walhall, jene Götter- und Heldenkneipe, in der Walküren Wotan, Thor und ihren wackeren, gefallenen Schwertkämpfern Bier und Met kredenzen.

Mein Himmel ist nicht licht und leer, sondern rappelvoll. Und er wird nicht von den irdisch Erfolgreichen be- wohnt, sondern von den Leuten, über die Jesus von Nazareth in seiner Bergpredigt redet. Die Schwachen im Geiste, die wenig Erfolgreichen, die man hienieden gern für dumm, töricht oder schlicht blöd erklärt hat, sitzen da und quatschen und hauen einander auf die Schulter und drücken und küssen und lachen. Die Letzten! Die letzten Typen – sie werden die Ersten sein. Die Ver- folgten haben es auch hierher geschafft – mit hängender Zunge. Und gefragt, was sie haben, antworten sie: Durst! Die Trostlosen hecheln herein. Ja, seid ihr denn ganz bei Trost? Nöö! Also kriegen sie Trost. Ein stinkendes, ungewaschenes Gewimmel. So sieht es da aus!

Im Himmel! Im Himmel der jesuanischen Bergpredigt ist ­die Verneinung einer absoluten, menschlich-diesseitigen Logik vollzogen. Also: Schluss mit der Belohnung und Auszeichnung des weltlichen Erfolgs und der Ächtung wie Bestrafung des ­Gegenteils! So sieht mein Himmel aus.

Die Hölle - das sind die anderen. Der Himmel aber auch.

Mein Bruder fand meine Papierberge so wenig himmlisch wie ich seine Elektro-Müllhalden. Wir haben gestritten, wer was wo lagern darf und wo die Grenzen zwischen den Reichen verlaufen. Die Hölle! Jean Paul Sartre benennt es in seinem Stück „Geschlossene Gesellschaft“ klar und deutlich: „L’Enfer c’est les ­autres“ – „Die Hölle, das sind die anderen.“ Er sperrt drei Menschen in einem ­Jenseits-Zimmer zusammen, die mit der Zeit erkennen, dass sie füreinander die Folter sind. Es geht nicht um den Ort, um Gerüche und Licht, nicht um Themen und Theorien. Es geht um das Miteinander oder noch genauer: um Gemeinsamkeiten.

Ich träumte von einer Bibliothek, mein Bruder von einer Werkstatt. Was dem jeweils anderen als überflüssiges Zeug galt (und unseren Eltern gemeinsam als das „allerletzte Chaos“), erschien dem Herrn über vergilbte Zeitungsausschnitte beziehungsweise dem Chef der Radioröhren als sinnvolle Ordnung bester, unersetzlicher Dinge.

Mutter ging nicht darauf ein, wenn mein Bruder sie aufforderte: „Sag mir, was ich suchen soll, ich hab es in zehn Sekunden!“ Und sie ­schüttelte ihr Haupt, wenn ich ihr den Wert zweier Papierhügel „auf deinem sogenannten Schreibtisch“ (ihr O-Ton) erklären wollte. Himmel! Hört doch damit endlich auf!

Mit der Zeit fanden wir heraus, dass der Himmel – oder die Hölle – keine Frage des Ortes oder des Zustands ist. Und Sartre, der existenzialistische Negativ-Prophet, würde wohl kaum widersprechen, wenn man seine Aussagen um 180 Grad drehen würde: Himmel! Paradies! Auch das sind die anderen. Freut euch in aller Enge und tröstet einander! Und jetzt fahren wir an den Strand und schauen, ob wir noch ein Plätzchen finden.

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Sehr geehrter, lieber Herr Brummer! Mit Vergnügen lese ich Ihre Kolumnen im Chrismon. Diesmal: "Im Himmel sind die Doofen und die Allerletzten"
Als Mutter zweier Töchter - mittlerweile erwachsen - die Töchter - kenne ich das Problem. Nur, wenn ich Himmel schrie, war das meist ein Stoßgebet. Ich wünschte mir, der liebe Gott sieht die Unordnung und hilft mir, das zu verstehen. Es ging um mich! Schließlich liebe ich meine Kinder, will sie nicht unnötig verändern, akzeptiert ihre Gewohnheit, bewundert sie, beneide sie, bewerte sie, bekoche sie. Nur, ein unaufgeräumtes Zimmer, nach welcher Ordnungseinteilung auch immer, entspricht einem Geschmack, den eine Mutter - ich - nicht immer teilen will. Dennoch, sie/ich bitte(t) den Himmel - hier den lieben Gott - dass er verstehen hilft. Eine gute Mutter weiß, dass auch ihre Suppe und ihr Braten nicht immer dem Geschmack ihrer Lieben entspricht bzw. die Richt- und Kochlinien des Herrn Lafer oder anderer Kochkünstlern entspricht. Dennoch hofft sie auf Verständnis, indem sie den Himmel um Hilfe anfleht. (Meine Mutter z.B. hielt ihre gefalteten Hände über ihrem Kopf zusammen).
Manchmal sagen wir ja auch: "ich gehe ins Rathaus", dabei meinen wir den Bürgermeister Helmut Winkel - oder so ähnlich. Viele liebe Grüße und ich freue mich immerzu auf die Kolumnen von Ihnen! Erika Baumann