Kind auf Klettergerüst vor Wolkenhimmel
Manchmal schwer auszuhalten - Kinder müssen sich ausprobieren, um zu lernen.
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Balance in der Kindererziehung
Muss man die Kinder scheitern lassen?
Kinder müssen lernen, selbstständig zu sein. Das geht nicht, ohne auch mal zu scheitern. Die Frage ist: Ertragen es die Eltern, zuzusehen?
Lena Uphoff
26.06.2025
3Min

Unsere Kinder müssen morgens den Bus in die Schule nehmen. Er fährt ab, wenn er abfährt – das haben Busse so an sich. Das bedeutet für die Kinder: Sie müssen pünktlich aus dem Haus, sonst ist der Bus weg. Es gibt auch keine Alternative, es fährt genau ein Bus jeden Morgen die Route zur Schule.

Bei uns führt das dazu, dass wir die Kinder morgens ab einer bestimmten Uhrzeit antreiben und sie fast immer zur Bushaltestelle rennen. Aber nicht, weil sie nicht genug Zeit hätten, sondern weil sie die Zeit irgendwo zwischen geweckt werden und aus dem Haus gehen verlieren.

Man kann ja noch ein bisschen im Bett liegen bleiben, sehr lange überlegen, was man anziehen möchte, ein Buch weiterlesen, mit den Geschwistern quatschen oder sich einfach mitten im Flur auf den Boden legen. Dann wird es natürlich knapp mit dem Bus. Und was machen wir Eltern? Wir bitten und animieren, wir schmieren Brote, putzen Zähne und ziehen Schuhe an. Und wenn sie aus der Türe sind, fallen wir erschöpft auf den Stuhl und denken: Das muss sich ändern!

Zum Glück leben wir in Deutschland und der Bus kommt fast immer ein bisschen zu spät. So haben sie ihn tatsächlich noch nie verpasst. Aber was würde ich eigentlich machen, wenn sie den Bus nicht bekommen? Fahre ich sie dann mit dem Auto?

Die Theorie sagt: Nein! Sie müssen es ja lernen. Wenn sie trödeln, verpassen sie den Bus, müssen sie laufen oder Fahrrad fahren und kommen zu spät zur Schule. Wenn trödeln bedeutet, dass Papa sie fährt, dann gibt es ja gar keinen Grund nicht zu trödeln.

Nur stehen Theorie und Praxis natürlich auch im Familienleben oft im Widerspruch: Der Fußweg zur Schule dauert schon um die 45 Minuten. Das ist wirklich nervig, den zu laufen. Fahrradfahren ist besser, aber dann müssen sie ja erst wieder die 10 Minuten von der Bushaltestelle nach Hause laufen und das Fahrrad holen. Und außerdem ist unsere Tochter erst sechs Jahre alt. Sie sollte den Weg nicht ohne Erwachsene mit dem Fahrrad fahren. Das ist zu gefährlich.

Also doch: Ab ins Auto. Und während ich dann so im Elternstau vor der Schule stehe, denke ich: Man darf ihnen die Herausforderungen des Alltags nicht ständig abnehmen.

Natürlich meine ich nicht in den großen und wichtigen Dingen wie dem Leben an sich. Da brauchen sie alle Hilfe, die sie bekommen können. Aber in kleinen Dingen wie dem rechtzeitig in die Schule kommen, müssen sie auch mal scheitern. Wie sonst sollen sie lernen, dass es unangenehm ist? Und dass man meistens etwas dagegen tun kann: sich anstrengen, zum Beispiel. Oder rechtzeitig auf die Uhr schauen.

Aber wer sieht die eigenen Kinder schon gerne scheitern? Ich nicht. Meine Horrorvorstellung allerdings ist: Kinder, die auch im Erwachsenenalter bei jeder Schwierigkeit die Eltern anrufen. Wie mache ich mir einen Termin beim Zahnarzt, wie buche ich mir ein Zugticket und wie wäscht man eigentlich Wäsche?

Meistens liegt es an den Eltern, wenn es soweit gekommen ist. Denn wie sollen es die Kinder anders lernen als durch das Trial-and-Error Prinzip? Es ist einfach zu schön, seine Kinder zu verwöhnen. Sie sind dann glücklich, man selbst auch, denn glückliche Kinder zu haben ist toll und außerdem spürt man als Eltern, dass man gebraucht wird. Und auch wenn verwöhnen anstrengend sein kann, Erziehung zur Selbstständigkeit ist oftmals noch anstrengender. Aber es führt kein Weg daran vorbei.

Ob wir mal versuchen sollten, dass sie sich die Pausenbrote selber schmieren? Aber was wäre, wenn sie es vergessen? Dann wäre sie in der Schule vielleicht hungrig. Das halte ich nicht aus.

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Kolumne

Michael Güthlein
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Konstantin Sacher

Michael Güthlein und Konstantin Sacher sind Väter: ein (2) und drei Kinder (11, 10, 6). Beide erzählen über ihr Rollenverständnis und ihre Abenteuer zwischen Kinderkrabbeln und Elternabend, zwischen Beikost und Ferienlager. Sie schreiben im Wechsel.