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Manche muslimische Antisemiten behaupten, der Prophet Mohammed habe sich angeblich negativ über Juden geäußert und mehrere jüdische Stämme in Mekka bekämpft und ausgelöscht. Darauf bezieht sich zum Beispiel die Hamas. Im siebten Artikel ihrer Gründungscharta heißt es in einem vermeintlichen Zitat des Propheten Mohammed, dass am Ende der Zeit die Muslime alle Juden töten werden.
Viele Islamwissenschaftler warnen aber davor, solche Berichte über Mohammeds Leben als historische Fakten anzusehen. Denn die Biografie Mohammeds wurde mit einem politischen Ziel geschrieben. Und zwar als Auftragswerk des Kalifen Abu Jaafar Al-Mansur (gest. 775) im achten Jahrhundert. So wird die Prophetenbiografie von renommierten Islamwissenschaftlern auch als "Impuls des Hofes" bezeichnet.
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Schon allein die Tatsache, dass Mohammed im Jahr 632 starb, aber seine Biografie etwa 140 Jahre und seine Sprüche (Hadithe) etwa 200 Jahre nach seinem Tod niedergeschrieben wurden, macht es schwierig, sie als historische Quelle zu lesen. Es ist also überhaupt nicht sicher verbürgt, was Mohammed wirklich gesagt oder gemacht hat.
Es ist also nicht legitim, die arabische Überlieferung über das Leben Mohammeds vorrangig als geschichtliche Quelle auszuschöpfen. Sie wurde ganz offensichtlich zur Legitimation von Eroberungszügen im neunten Jahrhundert geschrieben. Sie verrät uns daher mehr über das neunte Jahrhundert, in dem sie geschrieben wurde, als über das siebte Jahrhundert, in dem Mohammed lebte.
Der Koran selbst liefert eine Erzählung über Moses und die Juden als Vorgänger der Muslime, die in derselben monotheistischen Tradition stehen. Diese Erzählung sollte heute wieder allen ins Bewusstsein gerufen werden. Damit haben wir eine solide Grundlage für ein konstruktives Miteinander von Muslimen und Juden.
Nur muss der Wille für so eine Lesart der heiligen Schrift des Islams vorhanden sein. Denn, wie gesagt, heilige Schriften bieten meist die Grundlage für mehrere widersprüchliche Lesarten. Für welche wollen sich Muslime starkmachen, für die vereinende oder für die trennende?
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Diese Frage besitzt eine identitätspolitische Dimension, in der heute vor allem der Nahostkonflikt eine entscheidende Rolle spielt. Antisemitische Auffassungen sind gerade im islamistischen Kontext ausgeprägt, in dem sich religiöse und politische Motive zu einem antisemitischen Weltbild verbinden. Das "Feindbild Judentum" bildet einen zentralen Pfeiler, auf den sich die Argumentationen aller islamistischen Gruppierungen stützen.
Schon Anfang der 1950er Jahre veröffentlichte einer der Chefideologen der islamistischen Organisation "Muslimbruderschaft", Sayyid Qutb (1906-1966), seinen Aufsatz "Unser Kampf mit den Juden", worin jene von Beginn an als Feinde des Islams beschrieben wurden. Auch der bedeutendste Repräsentant der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei, Necmettin Erbakan (1926-2011), hatte in seiner Schrift "Gerechte Wirtschaftsordnung" (1991) behauptet, der Zionismus sei ein Glaube und eine Ideologie, deren Zentrum sich bei den Banken der Wall Street befinde. Die Zionisten hätten den Imperialismus unter ihre Kontrolle gebracht und beuteten mittels der kapitalistischen Zinswirtschaft die gesamte Menschheit aus.
Heute nutzen Islamisten die sozialen Medien, um ihre antisemitischen Haltungen zu verbreiten und erreichen damit gerade junge Menschen. Antiwestliche Haltungen vermengen sich dabei mit antisemitischen Einstellungen. Umso wichtiger ist es heute sowohl in Moscheen als auch im islamischen Religionsunterricht, aber auch in den Familien und in der Jugendarbeit, dass die Großerzählung "Ohne Judentum kein Islam – das Judentum ist die Grundlage für den Islam" das Bewusstsein junger Muslim*innen prägt.