chrismon: Nina und Kai, ihr habt eine App für Kinder entwickelt, mit deren Hilfe sie sicher mit Freundinnen oder Familie kommunizieren können. Wie kamt ihr auf die Idee?
Nina Lindenblatt: Als unsere Kinder klein waren, hatten sie ihre Freundschaftsbücher. Ab der weiterführenden Schule waren die uncool. Doch die Kinder wollten sich ja weiter austauschen und in Kontakt bleiben.
Nina Lindenblatt
Kai Afflerbach
Kai Afflerbach: Und da unsere jeweils zwei Kinder gleich alt waren, haben Nina und ich angefangen, darüber nachzudenken, ob das nicht moderner und zeitgemäßer geht als mit Freundschaftsbüchern: mit einer sicheren App.
Ist es denn erstrebenswert, dass Kinder schon mit zehn Jahren am Handy daddeln?
Kai: Kinder haben nun mal Bock auf Social Media. Und grundsätzlich ist die Idee des digitalen Austausches ja auch toll. Aber Eltern sind überfordert damit, Kindern die Nutzung von Whatsapp oder Snapchat ständig zu verbieten. Und wenn sie es dann doch erlauben, sind die Gefahren viel zu groß.
Nina: Man kennt das doch: Stundenlang durch Insta scrollen und sich Posts von Menschen, Influencer*innen ansehen, die wir überhaupt nicht kennen. Das ist verschenkte Zeit, man wird danach süchtig, auch Kinder. Und: Es gibt dramatische Zahlen über Depressionen und Suizidgedanken durch zu viel Social Media bei Kindern.
Kai: Meine Tochter erzählt mir immer wieder, dass sie mehrmals pro Woche von Fremden "angesprochen" wird. Mittlerweile ist sie mit 16 Jahren alt genug und hat genügend digitale Kompetenz entwickelt, um diese Posts zu erkennen und zu blockieren. Wir wissen aus Studien, dass 40 Prozent aller 10- bis 17-Jährigen ungewollt Kontakt mit Fremden haben. Das ist fast jedes zweite Kind. Ich finde das sehr erschreckend.
Was ist bei eurer App anders?
Nina: Wir haben die Sicherheit von Anfang an mitgeplant – "Safety by design" heißt das. Die Kinder können ausschließlich mit Freunden und Freundinnen oder Familie kommunizieren. Nur "Kontakte", die sich gegenseitig kennen, können sich vernetzen.
Aber dann müsst Ihr auch die Adressen kennen – genau wie bei Whatsapp.
Kai: Ja, nur so kann die App funktionieren und Bekannte untereinander erkennen. Aber wir speichern keine Adressen – das ist der Unterschied zu den großen Netzwerken wie Snapchat oder Whatsapp.
Auch da gibt es für Eltern die Möglichkeiten, die Dienste kindgerecht einzustellen.
Kai: Das wird immer wieder behauptet. Wer das jemals selbst gemacht hat, weiß, wie kompliziert das ist. Die Funktionen sind oft versteckt und nicht wirklich sinnvoll. Ich kenne keinen Vater, keine Mutter, die das zufriedenstellend finden. Aus meiner Sicht sind das Marketinggags.
Nina: Bei uns lernen die Kinder digitale Kompetenz: kleine Filme schneiden, mit Musik unterlegen, den Freund*innen schicken. Das haben wir leicht erfassbar gestaltet, aber nicht in einer Kinder-Mickey-Maus-Optik, sondern mit einem Styling, das auch Älteren gefällt. Unser Ziel ist es, dass die App mitwächst und vielleicht auch Eltern und andere Verwandte mitmachen.
Wie vermeidet ihr Hassrede oder Bodyshaming?
Nina: Wir arbeiten mit Künstlicher Intelligenz, die etwa Hassrede sofort erkennt und, wenn gewünscht, den Eltern meldet. Wir haben keinen Algorithmus, keine Datenanalyse, die zum Beispiel besonders "aufregende" Posts pusht und verteilt. Genau deshalb finden in den klassischen Socials negative oder Skandalnachrichten eine höhere Verbreitung, eben auch in die Feeds von Kindern. Dagegen kann sich niemand schützen. Kinder sind dem ausgeliefert.
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Andererseits ist das aber auch die echte Welt – eure App kommt mir wie ein Fahrrad mit Stützrädern vor: ein künstlicher Schutzraum, irgendwie nicht ganz echt?
Nina: Genau das braucht es für Kinder, eben "Stützräder", um irgendwann richtig Fahrradfahren zu lernen. Kein zehnjähriges Kind weiß, wie es sich gegen Fremdansprachen bei Whatsapp oder Insta schützen kann. Nyzzu bietet diesen Lernraum. Wir arbeiten auch mit Schulen zusammen und wollen das weiter ausbauen.
Die Entwicklung einer App ist aufwendig. Wie finanziert ihr euch?
Kai: Zunächst durch Freunde, Familie und dann ein Crowdfunding. Später soll sich die App durch Werbung und ein Abosystem tragen.
Nina: Eigentlich wollten wir schon 2021 online gehen, doch es gab immer wieder technische Probleme, die wir mit unserem Programmier-Team lösen mussten. Das machte die Entwicklung viel teurer als gedacht. Jetzt sind wir seit Juni mit einer ersten echten Version online und hoffen darauf, dass wir viral gehen können. Im Prinzip können wir unendlich wachsen, auch wenn wir nur echte Freunde von Freunden, nur Familienmitglieder dabeihaben.
Einladung chrismon-Live Webinar am 3. 9. von 19 bis 20 Uhr:
Zocken, daddeln, chatten: Wie viel tut unseren Kindern gut?
Kinder sind gerne, of zu gerne, am Handy, am Rechner. Wie viel ist gut für sie? Über das richtige Maß und mögliche Maßnahmen diskutieren Medienpädagogin Maya Götz und Konstantin Sacher, chrismon-Redakteur und Vater. Bringen Sie Ihre Fragen mit! Dorothea Heintze moderiert.
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