Das Elend der Mission
Neuendettelsauer Mission in Papua-Neuguinea
Katharina Döbler
Missionsgeschichte
Das Elend der Mission
Die Großeltern der Schriftstellerin Katharina Döbler waren Missionare und vernachlässigten dafür ihre Kinder. Ihre Geschichte zeigt, welch Unheil übersteigerter Aktivismus auch über die eigene Familie bringt
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
18.07.2025
4Min

Eigentlich hätte ich dieses Buch längst lesen sollen, aber wie das so ist... Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Geschichte der evangelischen Mission und des deutschen Kolonialismus. Da wäre der Roman "Dein ist das Reich" der Berliner Schriftstellerin Katharina Döbler schon vor fünf Jahren, als er herauskam, für mich eine Pflichtlektüre gewesen. Zudem hatte eine überaus buchkundige Bekannte ihn mir empfohlen. Nun habe ich es nachgeholt, mit Gewinn und Genuss und einigen Hinterhergedanken.

Katharina Döbler erzählt die Geschichte ihrer Familie und der evangelischen Mission. Denn beide Großelternpaare waren von Neuendettelsau, dem Zentrum der fränkischen Erweckung, als Missionare beziehungsweise Missionarsfrauen nach Papua-Neuguinea aufgebrochen. Wie es dazu kam, was sie in der Fremde getan und erlebt haben, worüber gesprochen und geschwiegen wurde, wie sich all dies auf das Leben der Folgegenerationen auswirkte, hat Döbler präzise recherchiert und plastisch erzählt. Wer "Dein ist das Reich" liest – und gern dazu noch die Missionsgeschichte von Bernhard Maier ("Die Bekehrung der Welt", 2021) – weiß endlich über ein Thema Bescheid, das nicht nur historisch interessant ist.

Mit Döblers Buch betrat ich eine mir fremde Welt. Fremd war mir nicht nur Papua-Neuguinea. Fremd war mir auch die Erweckungsfrömmigkeit des alten Neuendettelsau sowie die deutsche Kolonialideologie. Doch Döblers Zugang über die Geschichte ihrer Familie öffnete mir einen Türspalt, der von Kapitel zu Kapitel weiter wurde.

Zugleich haderte ich die erste Hälfte lang mit der Erzählerin. Allzu flink und selbstgewiss schien sie mir über ihre Vorfahren zu urteilen: diese übersteigerte und zugleich enge Frömmigkeit, ihre moralische Heuchelei und Bigotterie, all ihre Vorurteile und Einbildungen. Das fand ich zunächst zu einfach. Dass uns von unseren Großeltern Welten trennen, lässt sich heute für fast alle deutschen Familien sagen. Deshalb würde ich zunächst lieber besser zu verstehen lernen, bevor geurteilt wird. Nicht so glücklich war Döblers Entscheidung, ihre Vorfahren wiederholt als "Horde" zu bezeichnen. Da hatte ich den Eindruck, als würde sie ihre Großeltern so betrachten, wie diese die Menschen in Papua-Neuguinea betrachtet haben.

Auch fiel mir auf, dass die Menschen aus Papua-Neuguinea selbst in diesem Roman kaum als eigenständige Personen auftreten. Döbler scheint nicht in das Missionsgebiet ihrer Großeltern gereist zu sein. Sie scheint auch nicht mit den Nachfahren der von ihnen "Missionierten" gesprochen zu haben. So bleibt die Missionskritik von heute ebenso wie die Mission von damals eine deutsche Angelegenheit.

Schließlich vermisste ich in diesem Roman eine Perspektive, die mich besonders interessiert. Eine problematische Vergangenheit "aufzuarbeiten", bedeutet für mich, sie wie einen Spiegel zu betrachten, in dem man sich selbst begegnet. Es genügt mir nicht, mich über die Sünden der Vorfahren zu empören, um mich dadurch auf der richtigen Seite der Geschichte zu wissen. Die Geschichte der evangelischen Mission reizt mich deshalb, weil ich glaube, dass sie uns vor eine Frage stellt, die uns heute noch beschäftigen sollte. Nämlich: Wie ist ein religiöser oder moralischer Universalismus möglich, der nicht überheblich, dominant oder gar gewaltsam wird?

Ich sehe in den evangelischen Missionsgesellschaften des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts die christlichen Vorläuferinnen der heutigen säkularen NGOs und Entwicklungshilfeinstitutionen, die ebenfalls einen Glauben an das Gute in ferne Weltgegenden tragen, wo er nicht heimisch war.

Das aber war nicht die Frage, die Döbler beim Schreiben geleitet hat, weshalb mir ihre Erzählstimme anfangs zu selbstgewiss und unangefochten klang. Sie erzählt von einer Welt, dem "Neuendettelsauer Elend", der sie selbst für immer entflohen ist. Dabei zittert ihre Stimme nicht. Aber ich habe auch leicht reden, stamme ich doch nicht aus einer Missionsfamilie.

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Doch dann änderten sich Stimmlage und Erzählhaltung. Mehr und mehr Nuancen wurden hörbar. Besonders eindrucksvoll war für mich, wie differenziert Döbler über die Zeit des NS-Regimes erzählt. Einige schlossen sich aus der Ferne oder beim Heimaturlaub begeistert dem neuen Hitler-Kult an, andere wahrten Distanz – und trotz aller politischen Gegensätze blieben sie beieinander. Hier gibt es weniger schnelles Verurteilen und mehr tastendes Verstehenwollen.

Dann bin ich schließlich im letzten Viertel der insgesamt 480 Seiten auf die Passage gestoßen, von der ich meine, dass sie das eigentliche "Herz der Finsternis" der ganzen Geschichte offenlegt. Das ist die große Schuld der Großeltern – weniger den Menschen von Papua-Neuguinea als den eigenen Kindern gegenüber. In der Ferne geboren und großgeworden, sollten sie eine Schulbildung erhalten, die es in Papua-Neuguinea nicht gab. Also wurden sie in Deutschland zu Pflegefamilien oder in Missionsinternate gegeben. Das war für alle furchtbar und sollte auch die übernächste Generation prägen.

Katharina Döbler schreibt: "Die Kinder waren wahrscheinlich der Grund, warum ich das alles erforschte und aufschrieb. Ihre Verlassenheit war der dunkle Stern über uns allen… Befehle in einer fremden Sprache, Züchtigungen, Verlassenheit, Kälte… Die wahren Sünden meiner Großeltern waren gottgefälliger Art. Was sie taten, diente dem Herrn im Himmel, wie sie glaubten. Sie verließen ihre Kinder."

Hier zeigt sich das ganze Elend der Mission. Für eine heilige Sache haben Menschen ihre natürlichsten Lebensimpulse unterdrückt: die Sorge um die eigenen Kinder und die Liebe zu ihnen. Das scheint der Preis zu sein, den man für einen übersteigerten Aktivismus zahlt. Wohl denen, die es nicht tun. Denn das dürfte das beste Kriterium sein, um missionarisches Engagement – egal ob christlicher oder säkularer Art – zu beurteilen: Wenn die gute Sache fordert, die eigenen Kinder zu verlassen, ist sie es nicht wert.

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur