Nunapitsinghak Moravian Children’s Home, brennende Kirche
Brennende Kirche der Brüdergemeine in Kwethluk, Alaska, Anfang März 2025
Katie Basile, BG Bethel/AK
Kolonialzeit
Die zwei Seiten der Mission
Die christliche Missionierung indigener Völker ging mit Kolonialismus und Unterdrückung einher - es gab aber auch Entwicklungen, von denen Indigene profitierten. Zwei Ausstellungen zeigen das zwiespältige Erbe der Missionare
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
21.03.2025
6Min

Ein missionarischer Typ bin ich eher nicht, aber seit einiger Zeit interessiere ich mich für die Geschichten der christlichen Missionen, weil sie uns heute mehr zu denken geben, als die meisten glauben. Es ist hier wie so oft: Die meisten wissen wenig, haben aber starke Meinungen. Sie würden sich bestätigt fühlen von einer Ausstellung im Berliner Museum Nikolai-Kirche. Es ist eine dekoloniale Intervention mit Kunstwerken, Interviews und Erklärungen, die die christlichen Missionen der Neuzeit ausschließlich als Speerspitze von Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus betrachten. Mission ist im Sinne dieser Ausstellung schlicht: Sünde.

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur

Wer mehr wissen und verstehen will, besuche lieber die Ausstellung "Gottes Wort für alle Welt?! Bibeln und Mission im kolonialen Kontext", die in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zu sehen ist. Sie zeigt die ältesten Bibeldrucke Amerikas, Asiens und Afrikas und erzählt davon, wie christliche Missionare fremde Sprachen erlernten und nicht selten zuallererst schriftfähig machten. Die Exponate geben einen Eindruck von der Zwiespältigkeit der Mission. Deren guter Sinn bestand in einer weltweiten Menschlichkeit.

Wer seinen Glauben in ferne Weltgegenden trägt, ist sich gewiss, dass der eigene Glaube alle angeht, weil vor Gott alle Menschen gleich sind. Zugleich ist Mission ein Ausdruck von religiöser Selbstbestimmung. Denn, sich einen neuen Glauben anzueignen und sich damit aus seinen Herkunftstraditionen zu lösen, ist ein Akt von Freiheit, und Religionsfreiheit war eine Wurzel moderner Menschenrechte. Deshalb stehen die christlichen Missionen der Neuzeit auch für den Anfang weltweiter Menschenrechtsarbeit (zum Beispiel im Kampf gegen die Sklaverei).

Nun kommt das Aber: Neuzeitliche Missionen waren mit dem Kolonialismus zwar nicht identisch, ohne ihn jedoch nicht zu denken. Es gab sie nur in "Verflechtungsgeschichten" (Rebekka Habermas). Sie waren nur möglich im Rahmen der europäischen "Unterwerfung der Welt" (Wolfgang Reinhardt). Sie konnten nur funktionieren mit Hilfe der Verkehrsmittel, Infrastruktur, militärischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse dieses Systems. Einige Missionare stellten sich dem entgegen, äußerten Kritik, andere ließen sich funktionalisieren oder propagierten gar das koloniale System. Aber alles fand im Rahmen von Kolonialismus statt. So konnte sich der gute Sinn von Mission in sein Gegenteil verkehren: Weltweite Menschlichkeit wurde zum Deckmantel für Aggression und Ausbeutung, Religionsfreiheit führte zur Überwältigung.

Für den islamischen Theologen Mouhanad Khorchide ist die Freiheit des Glaubens sehr wichtig. Lesen Sie hier seine Kolumnen "Religionsfreiheit".

Das ist keine ferne Geschichte: Die katholischen Missionsorden und die evangelischen Missionsgesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts waren die Vorgänger heutiger Entwicklungshilfe und auswärtiger Kulturpolitik. Sie waren die NGOs ihrer Zeit: Netzwerke hochengagierter Aktivistinnen und Aktivisten, die unabhängig von kirchlichen und staatlichen Institutionen Projekte betrieben, eine innovative Medienarbeit leisteten und zu ihrer Finanzierung das Fundraising erfanden. So wie sie damals, sind auch die heutigen NGOs nicht identisch, aber immer verflochten mit den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Machtverhältnissen unserer Zeit. Deshalb bieten die Geschichten der christlichen Missionen wenig Anlass, dass wir uns selbstgerecht über vergangene Zeiten erheben. Vielmehr sind sie ein Spiegel, mit deren Hilfe wir über eigene Verflochtenheiten nachdenken können.

Leseempfehlung

Genau deshalb ist die Stuttgarter Ausstellung so interessant. Sie zeigt, wozu ein ideeller Universalismus gut ist und wie er den kulturellen Austausch fördert, aber auch, was seine dunklen Seiten sind. Und sie zeigt, was das Christentum überhaupt ist: Es ist wesentlich Übersetzung. Den christlichen Glauben gibt es nur in der Sprache: als Gotteswort in Menschenwort, in Lesung, Gebet, Predigt, Unterweisung, Gespräch. Es gibt ihn aber nicht allein in einer Sprache, er kann in jeder Sprache leben. Darum begann die missionarische Arbeit stets damit, die jeweils fremde Sprache zu erlernen und dann die Bibel in sie hinein zu übersetzen. Das waren großartige Leistungen. Allerdings, eine fremde Sprache erlernt man nur mit Hilfe von Muttersprachlern, und deren Mitwirkung an Spracherwerb und Bibelübersetzung wurde kaum je erwähnt.

Lesetipp: Wo ist der Schädel meines Urgroßvaters? Fragte sich Bischof Thabo Makgoba aus Südafrika - über eine jahrelange Spurensuche

Der sehr empfehlenswerte Ausstellungskatalog erklärt dazu: Die Missionsbibeln "verschwiegen den kollaborativen Entstehungsprozess. Sie folgten damit kolonialen Vorstellungen der Überlegenheit und suggerierten missionarische Deutungsmacht." Andererseits findet sich im Katalog auch diese Äußerung des Leipziger Missionars Hermann Fokken, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Afrika arbeitete: "Besonders wertvoll waren für mich die biblischen Geschichtsstunden, die ich in der Schule erteile, sowie der Katechumenenunterricht. Da ließ ich besser begabte Schüler die biblischen Geschichten selbst wiedererzählen oder ich ließ die Hilfslehrer selbständig unterrichten und stellte dabei meine Beobachtungen an über diesen oder jenen Ausdruck, dessen Gebrauch mir noch nicht ganz klar war."

Die Bibelübersetzungen waren für die Indigenen von Wert

Welchen Wert die Bibelübersetzungen für Indigene haben konnte, belegt das oben abgebildete Titelblatt einer Übersetzung der Evangelien für die "Esquimaux". In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten Herrnhuter ihre Mission bei Völkern im nördlichen Polargebiet begonnen. In einem langwierigen Prozess entstand die Übersetzung ins Inuktitut, den Labrador-Dialekt der Inuit-Sprachen. Als Zeichen ihrer Dankbarkeit schickten Inuit-Gemeinden etwas für sie sehr Wertvolles nach London zur British and Foreign Bible Society, nämlich ein Fass mit Seehundtran.

Übersetzung der Evangelien für die "Esquimaux"

Eigentlich sollte meine wöchentliche Kolumne hier enden. Aber dann erreichte mich eine E-Mail mit Fotos einer brennenden Kirche (siehe oben).

Geschickt hatte sie mir Andreas Tasche, der Historiker der Herrnhuter Mission, von dem ich schon sehr viel gelernt habe. Das Foto sprang mich an, aber seine Geschichte ist ziemlich ambivalent. Andreas Tasche schrieb dazu: "Gebäude der Brüdergemeine in Kwethluk/Alaska, die seit 1973 nicht mehr genutzt wurden, sind niedergebrannt worden: das ‚Nunapitsinghak Moravian Children’s Home‘, die Kirche und der Laden der Brüdergemeine sowie mehrere Nebengelasse. Die Zerstörung der Gebäude erfolgte auf Beschluss des Ältestenrates der Brüdergemeine Bethel/AK, dem die Grundstücke gehören, zur Abwehr physischer und psychischer Gefahren. In den Gebäuden hatten in jüngster Zeit okkulte Aktivitäten stattgefunden, und es war mit Drogen gehandelt worden."

Die Geschichte dieser Einrichtung erzählt viel von den Zwiespältigkeiten der Mission und dem Wert der Muttersprache. Nachdem Alaska an die USA gefallen war, begann eine erfolgreiche Herrnhuter Mission. Angeführt wurde sie von John Henry Kilbuck (1861-1922), der dem Volk der Lenni Lenape (den sogenannten "Delaware") entstammte: Ein Indigener aus der Ostküste also missionierte die Indigenen in Alaska.

Die Behörden verbaten den Kindern die Muttersprache

1926 wurde in Kwethluk ein Waisenhaus errichtet. Eine Grippe-Epidemie sowie die Tuberkulose hatten vielen Menschen das Leben geraubt. Bald darauf wurden auch Kinder aus Familien aufgenommen, die zu Hause Vernachlässigung und Gewalt erlebt hatten (eine Folge der Zerstörung traditioneller Familienstrukturen durch den Kolonialismus), sowie angeblich "Schwererziehbare". Eine Website erzählt die Geschichte dieser Einrichtung und lässt die Kinder von damals zu Wort kommen. Es lohnt sich, sie zu besuchen.

Die meisten der ehemaligen Zöglinge haben gute Erinnerungen. Für Agnes Gregory zum Beispiel war es "ein liebevoller und sicherer Ort". Man wurde gut versorgt, freundlich behandelt und konnte Wichtiges für das Leben lernen. Nur eines schmerzt die meisten noch heute: Ihnen wurde die Muttersprache genommen. In den 1940er Jahren hatte die staatliche Wohlfahrtsbehörde die Verantwortung übernommen.

Sie wollte die Indigenen vollständig assimilieren und zwang deshalb die Kinder, nur noch Englisch zu sprechen. Einem Kind drohten Schläge, wenn es dabei erwischt wurde, wie es mit anderen Yup’ik sprach. So berichtet Esther Green: "Es war ein freundliches Heim. Ich habe dort viel gelernt. Aber wir durften nur Englisch sprechen. Das war hart, denn ich dachte immer in Yup’ik, Yup’ik, Yup’ik. Mit einem Mal sollte ich mit meinem ganzen Sein auf die Seite des Westens wechseln. Das ist hart, aber ich musste es, weil sie mich kontrollierten – welche Sprache ich sprach, welche Nahrung ich zu mir nahm, wie lange ich bleiben sollte, all das."

War nur die staatliche Wohlfahrtspflege für diese Grausamkeit verantwortlich? Missionar Kilbuk hatte festgesetzt, dass Yup’ik die Sprache der Brüdergemeine in Alaska sein sollte. Die Muttersprache wurde also gerade nicht verboten. Es kann deshalb sein, dass nicht nur die Heimkinder, sondern auch ihre Herrnhuter Erzieherinnen und Erzieher Yup'ik (und Englisch) sprachen. Es kann aber auch sein, dass ab den 1940er Jahren nur noch auf Englisch kommuniziert werden durfte.

Angesichts einer unklaren Quellenlage muss dies offen bleiben. So oder so, man kann nachvollziehen, mit welch intensiven und gemischten Gefühlen ehemalige Zöglinge nun das Niederbrennen ihres alten Kinderheims miterlebt oder Fotos davon angesehen haben. Und man bekommt eine Ahnung davon, welche Menschlichkeit in den alten Missionsbibeln steckt – allen Zwiespältigkeiten zum Trotz.

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