Herr Strotdrees, 2018 schrieb unser damaliger Herausgeber Heinrich Bedford-Strohm eine Kolumne mit dem Titel: "Der Schädel des Häuptlings". Es geht um eine düstere Geschichte aus der deutschen Kolonialzeit im Süden Afrikas. Sie kannten den im Text erwähnten "Mr. Altenroxel" aus eigenen Forschungen ...
Gisbert Strotdrees: Als ich den chrismon-Artikel gelesen habe, vermutete ich sofort, dass es sich bei dem ominösen "Mr. Altenroxel" nur um Heinrich Schulte-Altenroxel handeln konnte. Ich hatte über ihn vor 25 Jahren für das "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben" recherchiert, damals im Rahmen einer Artikelserie über Migrationsbewegungen von und nach Westfalen.
Und wer war der Mann?
Heinrich Schulte-Altenroxel wurde 1867 als Sohn einer Bauernfamilie im Münsterland geboren. Er starb 1947 in der Nähe von Hamburg. Er hat in den 1890er Jahren in Transvaal eine Farm mit rund 3500 Hektar Land aufgebaut – für mitteleuropäische Verhältnisse eine gigantische Größe. Finanziert hat er das durch eine Art Kapitalgesellschaft westfälischer Geldgeber. Auf der Farm wurden Südfrüchte und Tabak im großen Stil angebaut, für den Export vor allem nach Europa. Um 1908 ist Schulte-Altenroxel nach Westfalen zurückgekehrt. Er hat dann in Münster eine Tabakplantage mit zugehöriger Fabrik betrieben.
Hatte er seine Erfahrungen in Afrika hinter sich gelassen?
Nein, im Gegenteil. Im Alter hat er ein Buch über seine Jahre in Afrika publiziert. Es wurde in einem Leipziger Verlag 1942 veröffentlicht, in der NS-Zeit. Man muss es heute also mit der gebührenden Vorsicht und Quellenkritik lesen. Ich frage mich auch, ob er es tatsächlich allein verfasst hat. Aber so viel ist sicher: Der Autor präsentiert sich darin als kolonialer "Herrenmensch" mit allem, was wir damit verbinden: Paternalismus, Rassenideologie, imperiales Machtstreben – ein typischer Vertreter des wilhelminischen Kolonialismus also.
Im Text von Heinrich Bedford-Strohm geht es um einen Vorfahren des anglikanischen Erzbischofs von Kapstadt, Thabo Makgoba. Sein Urgroßvater, Häuptling Makgoba, war im Kampf gegen die deutschen Kolonialherren brutal getötet und enthauptet worden. Sein Kopf wurde zur scheußlichen Trophäe, vermutlich von eben jenem Heinrich Schulte-Altenroxel, und ist heute verschollen.
In dem Buch von Heinrich Schulte-Altenroxel findet sich nur am Rande ein Hinweis auf den Häuptling Makgoba. Andere aussagekräftige Aufzeichnungen von ihm selbst sind bislang nicht bekannt. Fest steht, dass es ein Foto gibt, auf dem er und sein Kompagnon Conrad Plange aus Attendorn mit Beutegegenständen aus Afrika posieren, die sie zum Verkauf anbieten – und dazu als besondere "Gratiszugabe" auch einen menschlichen Schädel. Aber ob es das Haupt des Häuptlings Makgoba gewesen ist? Gewissheit gibt es da wohl erst, wenn wir wissen, wo der Schädel geblieben ist.
Gisbert Strotdrees
Können Sie dem Urenkel bei der Spurensuche helfen?
Ich konnte zumindest Näheres zur Person Schulte-Altenroxel beitragen und einige Hintergründe klären. Es ist tatsächlich mehr bekannt als nur der Name "Mr. Altenroxel", den Erzbischof Makgoba in seiner Autobiografie ja mehrfach nennt. Sie zu lesen, war für mich noch einmal ein besonderer Augenöffner.
Inwiefern?
Jedes Wort Makgobas lässt klar erkennen, wie tief in seiner Familie noch in der dritten, vierten Generation das koloniale Erbe nachwirkt – und die Erinnerung an "Mr. Altenroxel". Allein das lohnt die Lektüre.
Wir wissen seit Jahrzehnten von den brutalen Geschichten aus der deutschen Kolonialzeit. Warum beschäftigen wir uns erst seit wenigen Jahren intensiver mit den Folgen?
Deutschland hat seine Kolonien im Versailler Vertrag 1918/19 abgeben müssen. Damit war die Kolonialzeit beendet – zumindest vordergründig. Denn was dort damals geschehen ist, wurde auch später von manchen verklärt, von der übergroßen Mehrheit aber jahrzehntelang verdrängt oder als geringfügig erachtet.
Vieles ändert sich jetzt. Es gibt das "Versöhnungsabkommen" der Bundesregierung mit Namibia; die Benin-Bronzen werden zurückgegeben und viele Museen beschäftigen sich heute mit dem "Erbe" aus der Kolonialzeit. Dazu gehören eben auch immer wieder die sterblichen Überreste von Menschen.
Ja, zu dem Thema tut sich gerade sehr viel, auch hier in Westfalen. Für 2024 bereitet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe ein Themenjahr zum kolonialen Erbe vor, unter anderem mit einer zentralen Ausstellung in Dortmund.
Glauben Sie, dass der Urenkel den Schädel irgendwann finden wird?
Ich hoffe es. Aber ob es so weit kommt, liegt nicht in unserer Hand. Ich habe Herrn Bedford-Strohm angeschrieben und über ihn Kontakt zu Erzbischof Makgoba erhalten. Wir korrespondieren miteinander, und es gibt einige aussichtsreiche Spuren. Es hat am Ende – neben den vielen anderen Aspekten – auch etwas von einem Forschungskrimi.