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"Nachhaltigkeit" ist ein sprödes Wort mit wenig Inspirationspotential. Aber wenn ein Künstler ein Bild erschafft, das genau davon handelt, und dieses Bild in einer Kirche ausstellt, können auf einmal viele Menschen Lust bekommen, sich mit ökologischen Fragen auseinanderzusetzen – nicht aus Pflichtgefühl oder schlechtem Gewissen, sondern mit Begeisterung.
Eine sinnliche Erfahrung löst eben mehr aus als eine moralische oder ökotechnokratische Belehrung.
Die Idee ist einfach. Man muss nur auf sie kommen und sie angemessen umsetzen. Dann entfaltet sie eine erstaunliche Wirkung. Der englische Künstler Luke Jarram hat eine Abbildung der Erde – sieben Meter im Durchmesser und 1,8 Millionen mal kleiner als das Original, basierend auf Fotos von Astronauten – geschaffen und sie nun, nach früheren Stationen an vielen anderen Orten, in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen aufgehängt. Dort ist sie bestens aufgehoben.
Zwischen den mächtigen, weißen Säulen, ein, zwei Meter über den Köpfen der Besucher hängt sie dort – nein, schwebt sie und dreht sich leise im Kreise. Menschen kommen und staunen wie Kinder mit offenem Mund, gehen vor und zurück, steigen die Treppe zur Orgelempore hoch, um sie auf Augenhöhe zu betrachten, wieder hinunter, gehen zum Altar, um sie im ganzen Raum zu betrachten. Langsam dreht sie ihre Kreise. Natürlich werden auch viele Fotos gemacht. Aber das stört nicht groß. Still ist es, obwohl viele miteinander reden und ihre Eindrücke austauschen.
Die Erde ist einfach sehr schön.
Blau die riesigen Wassermassen, weiß die Wolken, braun die Kontinente und grün das Leben auf ihnen. Was für ein Wunder sie ist – man kann nur staunen. Das Staunen aber ist der Anfang der Weisheit (wie es in der Bibel heißt). Das Staunen, die mundoffene Ehrfurcht vor der Schönheit des Ganzen, die wache Ehrfurcht vor dem Leben stellen sich vor diesem Bild in diesem Raum wie von selbst ein, zudem ein Gefühl überwältigender Dankbarkeit.
Würde diese "Gaia", Mutter Erde, woanders hängen, würde man nicht sogleich "Schöpfung" denken und "Schöpfer". Vielleicht würde einem auch nicht auffallen, dass der eigene Ort auf diesem Planeten – Europa, Deutschland, Hamburg – winzig, kaum zu sehen ist. In St. Katharinen kommt einem auch "Demut" in den Sinn. Das ist das Gefühl, unendlich klein zu sein, ohne sich dafür schämen zu müssen.
Vielleicht ist Luke Jarram nicht unbedingt einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Aber diese Idee und ihre Präsentation in dieser Kirche machen einen auf eine nachdenkliche Weise glücklich. Das gelingt nicht jedem Kunstwerk. Zum Konzept der Ausstellung gehört übrigens, dass es nicht bei einem überwältigten "Ah" und "Oh" bleiben soll. Ein reichhaltiges Programm mit Konzerten, Vorträgen, Gesprächen und Debatten soll dem Thema "Nachhaltigkeit" den Raum geben, den es verdient. Besonders gespannt kann man auf die Gottesdienste sein, die vor, mit, unter "Gaia" gefeiert werden.
Es hilft sehr, einmal das vor sich zu sehen, worauf man zeit seines Lebens mit den Füßen steht und geht. Dafür muss man nicht wie ein verantwortungsloser Tech-Oligarch mit eigener Rakete ins All fliegen. Es genügt, in die Kirche zu gehen.
"Gaia" wurde aufgehängt aus Anlass der Hamburger Sustainability
Week und dreht sich noch bis zum 17. Juli in der St. Katharinenkirche in Hamburg. Eintritt frei, täglich geöffnet von 12.30 Uhr bis 22 Uhr.