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Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, in Schleswig-Holstein. Jenem Bundesland also, in dem ein aufgebrachter Mob einen Bundesminister und Vizekanzler nicht von der Fähre hat gehen lassen. Für die verwackelten Handyaufnahmen schäme ich mich. Derart martialisch vor einem Schiff aufzutreten, dass es umdrehen muss, ist nichts, worauf man stolz sein kann. Im Gegenteil. Es ist brandgefährlich in diesen Zeiten.
Neu sind der Furor der Landwirte, ihr Frust und ihre Wut aber nicht. Eher schon Teil der DNA. Als Kind lief ich zwischen Autos umher, an deren Heckschreiben große Aufkleber prangten. "Bauernfeld ernährt die Welt" war da zu lesen. Oder: "Power to the Bauer!"
Gefühlt fehlt es den Landwirten seit jeher an Wertschätzung, und tatsächlich verstehe ich - um nur ein Beispiel zu nennen-, dass es schmerzt, wenn alle mehr Tierwohl einfordern, aber im Discounter kaum jemand dafür zahlen will. Sich einen Grill für 800 Euro kaufen, um hinterher Koteletts für sechs Euro das Kilo darauf zu legen, passt nicht zusammen. Wahr ist auch, dass große Teile der Bevölkerung nicht mehr Geld für gutes Essen ausgeben können – doch das geht im Geschrei leider unter.
Vergessen wird ebenfalls häufig: Landwirte erleben wenig echte Gemeinschaft. Sie arbeiten oft allein, tragen nicht selten die Verantwortung für Höfe, die seit ewigen Zeiten in Familienbesitz sind; Work-Life-Balance und Vier-Tage-Wochen sind für sie Forderungen aus einer anderen Welt. Und Nachbarn sind für Bauern immer auch Konkurrenten, die im Zweifel wüchsen, würde man selbst weichen. Gemeinsame Demonstrationen sind seltene Akte der Selbstvergewisserung. Dabei kann man übers Ziel hinausschießen.
Aber was überhaupt nicht geht, sind Galgen, an denen Ampeln hängen – denn das ist ein widerlicher und unverhohlener Aufruf zur Gewalt. Und was ebenfalls überhaupt nicht geht, sind protestierende Traktorfahrer, die Einsatzkräfte fast überfahren.
Und dann kam noch Schlüttsiel, der Ausbruch am Fähranleger. Zuvor hatte die Bundesregierung bereits angekündigt, die geplanten Kürzungen zum Teil ganz zurückzunehmen (Befreiung von der Kfz-Steuer) und das Steuerprivileg beim Agrardiesel nur noch schrittweise abzuschaffen.
Man fragt sich: Warum der Umweg über diesen Rückzieher? Denn genau so macht man es doch: Man erklärt, warum man ein klimaschädliches Privileg abschafft, macht das aber schrittweise, damit alle planen können. Über Nacht, holterdiepolter, fast ausschließlich bei den Landwirten zu kürzen - das war handwerklich schlecht.
Es fehlt die Planungssicherheit
Ohnehin beklagen die Landwirte, dass ihnen die Richtung fehlt – die Planungssicherheit. Erzählte mir der Inhaber eines großen Betriebes erst im vergangenen Sommer. Wohin will die Politik? Was erwartet sie von der Landwirtschaft? Verordnungen – etwa zur Größe Stallungen – würden häufig über Nacht erlassen, und das passe nicht zu den Millioneninvestitionen, die anstünden, um die Betriebe gut für die Zukunft aufzustellen. Das verstehe ich. Und dann kommt, wieder über Nacht, die Ankündigung, Steuererleichterungen beim Diesel zu streichen. Das war vielleicht eher der letzte Tropfen, der in ein Fass der Unzufriedenheit getropft ist und es hat überlaufen lassen.
Wieder mal war es also die Hektik, die politischen Schaden angerichtet hat. Das war schon beim Heizungsgesetz so. Es fehlt die klare Linie, es fehlt die Richtung, es fehlen Wegweiser, die allen – auch den Landwirten – zeigen, wohin es geht. Und vor allem: wie. Es reicht nicht mehr, am fernen Horizont die Klimaneutralität zu versprechen. Die Leute wollen schon wissen, wie wir dahin kommen. Und so lange E-Traktoren 500.000 Euro kosten, ist schon verständlich, dass man am steuervergünstigten Diesel hängt.
Die Gelehrten streiten sich übrigens, wie hart es gewesen wäre, wäre die Ampel bei ihrer Idee geblieben, die Dieselrückvergütung sofort zu streichen. So sagte Beate Richter, wissenschaftliche Referentin für Agrarpolitik, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, dem Science Media Center: „Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind sehr verschieden. Viele können trotz umfangreicher Subventionen kaum kostendeckend arbeiten, andere können mit ihren betrieblichen und örtlichen Gegebenheiten gute bis sehr gute Erträge und Gewinne erzielen.“
Es gibt eben nicht nur große Agrarbetriebe. Diese Differenzierung fehlt mir, besonders auch in den sozialen Medien, in denen spätestens seit dem Skandal am Fähranleger erstaunlich viele Menschen binnen Tagen zu Experten für Landwirtschaft mutiert sind.
Auch in einem weiteren Punkt verstehe ich die Landwirtschaft. Warum kürzt man bei uns, wenn es doch andere klimaschädliche Subventionen gibt, an die keiner rangeht? Stichworte sind das Dienstwagenprivileg, das Dieselprivileg für Dieselfahrer (es kostet uns acht Milliarden Euro im Jahr!) und vieles mehr.
Ja, und damit haben die Bauern Recht. Nur: Darf man der Politik, die vor den Bauern eingeknickt ist, nun zutrauen, an diese Pfründe ranzugehen? Leider nein.
Den Menschen, denen daran gelegen ist, die Erderwärmung zu begrenzen - und das sind verdammt viele! -, möchte man nun zynischerweise fast raten, sich Traktoren zu leihen und damit Straßen zu blockieren. Scheint deutlich schneller etwas zu bringen, als sich auf ihnen festzukleben. Die Herzen fliegen einem zu, jedenfalls von den rechtsextremen Populisten, die übrigens in ihr Programm geschrieben haben, alle Subventionen abschaffen zu wollen. Aber das nur am Rande.
Der Bauernverband will weiter protestieren - und gar keine Kürzung beim Agrardiesel akzeptieren. Ich halte das für einen Fehler. Lieber sollten die Bauern sprachlich abrüsten und ihren Teil der Verantwortung annehmen. Dem Menschheitsproblem Klimakrise werden wir nur gerecht, wenn wir alle unseren Teil beitragen.
Auch die Bauern.