Gerdas Töchter
Auf Spurensuche nach der verlorenen Mama
Gerda Schmalstiegs Kindheit muss furchtbar gewesen sein. Wie sich zwei Schwestern nach 53 Jahren fanden und auf die traurige Geschichte ihrer Mutter stießen
Familiengeheimnis - Wie sich zwei Schwestern nach 53 Jahren fanden und auf die traurige Geschichte ihrer Mutter stießen
Die Schwestern haben sich das gleiche Tattoo auf den rechten Unterarm stechen lassen – eine liegende Acht
Felix Schmitt
Anja Meyer
Felix Schmitt
10.10.2024
13Min

Eigentlich fing alles mit einem Streit von Michaela Betz’ Töchtern an. Ganz normales Gezicke, die Mutter versuchte zu schlichten: "Seid doch froh, dass ihr eine Schwester habt." Und der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Was ­wusste sie eigentlich über ihre eigene Herkunft? Sie lag lange wach in dieser Nacht. Ihre Eltern hatten sie als Dreijährige adoptiert und ihre leibliche Mutter war früh gestorben. Das war klar und bis zu dieser Nacht hatte sie das auch nicht weiter interessiert. Bis dann die Frage in ihrem Kopf immer mehr Raum einnahm: Was, wenn sie eine ­Schwes­ter oder gar Geschwister hätte? Und wenn die Mama doch noch lebte?

Michaela Betz’ Leben verlief bis dahin in ruhigen ­Bahnen: Bei ihren Adoptiveltern wuchs sie in einem ­kleinen Ort in der hessischen Wetterau auf. Kindergarten, Schule, Lehre. Als der Papa krank wurde, ging die Mama putzen und die kleine Michaela half, so gut sie konnte. Nach der Hauptschule machte sie eine Ausbildung zur Apothekenhelferin. Und als ­pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte, wie das heute heißt, arbeitet sie noch immer. Sie heiratete, bekam zwei Töchter. Wohnt bis heute in der Nähe ihrer Eltern. Der einzige Bruch: Sie ist zum zweiten Mal verheiratet.

Der Lebensweg von Anja Walker ist viel turbulenter verlaufen oder wie sie sagt: "Ein menschlicher Höllentrip." Sie kam mit drei Monaten in ein Waisenhaus und ­wurde von gut situierten Eltern im Saarland adoptiert. Als die ­Adop­tivmutter doch noch ein leibliches Kind bekam, ­wurde es schwer für Anja. "Ich habe die Liebe nicht ­bekommen, die ich so gebraucht hätte", so beschreibt sie es heute. Mit 15 Jahren haute sie ab und landete in einem Heim, fing an, sich mit Alkohol zu betäuben. Mit 19 ­heiratete sie einen amerikanischen Soldaten, die Ehe hielt nur drei Jahre, sie heiratete erneut, bekam einen Sohn. Später kam der zweite Sohn zur Welt, von einem anderen Mann. 2001 machte sie eine Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit. Umgezogen ist sie bis dahin an die 25 Mal, so genau bekommt sie das nicht mehr zusammen. Der ältere Sohn ist nach der Ausbildung schon aus dem Haus, der jüngere, Julian, hat gerade sein Studium aufgenommen. An Liebe, sagt sie, habe es den beiden nie gefehlt.

Lesen Sie hier: Die Suche nach dem verlorenen Vater

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Sehr geehrte Frau Keller,

herzlichen Dank für den lesenswerten Bericht "Gerdas Töchter", ebenso an die Journalistin, *Barbara Schmid*, der die /hartnäckige Recherche der beiden Schwestern/ imponiert haben.
Mir imponiert daran, dass mit diesem Artikel aus der Wirklichkeit dokumentiert wird.
Geschichten, die sich jemand ausgedacht hat, um damit Geld und Ruhm zu erlangen, sind oft wirklichkeitsfremd.

Mit herzlichen Grüßen

Rudi Kuscher

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Sehr geehrte Frau Keller,

Sie haben in Heft 10 auf den sehr interessanten Artikel über die gefundene Schwester hingewiesen.
Mich hat-als Autorin- u.a. - das Leben von Heimkindern interessiert. 1986 habe ich in dem Buch "Gruppenkinder- Gesichter und Gespräche "(Langewiesche-Brandt ) darüber berichtet. Ein Kind aus diesem chronistischen Buch hat sich vor einigen Jahren bei mir gemeldet. Es ist Gunnar. (Der Junge durchzieht als roter Faden das ganze Buch.) In Wirklichkeit heißt er Lothar, ist jetzt fünfzig. Dieser elternlose Mann ist froh, mich als Bezugsperson gefunden zu haben. Mein Mann und ich haben regelmäßigen Kontakt zu ihm. Gegenseitige Einladungen. Der Junggeselle kocht für uns...
Neulich war Lothar auch auf der 85. Geburtstagsfeier meines Mannes.Lothar bezeichnet sich als unser "Leasingsohn". Er wohnt in der Nähe von Essen, in Dortmund.
Lothar ist das einzige "Gruppenkind ", das es "geschafft " hat. (Abitur, Beruf als Versicherungsagent ).Sein zwei Jahre jüngerer Bruder (auch im Buch vertreten ) ist "unter der Brücke " geendet (gestorben) Vielleicht ist diese Leasing - Sohn - Geschichte für Sie und Ihre Leser auch interessant.

Freundliche Grüße
Ina Seeberg

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Man freut sich mit den beiden Frauen, dass sie sich als Schwestern gefunden haben.
Noch mehr muss man sich aber freuen, dass sie bei ihren Recherchen bei verschiedenen
Standes- und Einwohnermeldeämtern nicht mit dem Schlagetot-Argument "Datenschutz"
abgewimmelt wurden. Ich bin bei weitaus weniger delikaten Familienrecherchen sehr oft
auf die Mauer des Schweigens gestoßen, mit der sich viele öffentliche Verwaltungen aus
Bequemlichkeit umgeben.

Dr. Jürgen Rosenbaum

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Liebe Frau Schmid,

Ihr Bericht über die zwei Schwestern hat mich sehr berührt, ich las ihn von Anfang bis Ende neugierig und mitfühlend.
Er hat mich angeregt, eine vor Jahren beiseite gechobene Spurensuche wieder aufzunehmen:

Mein Vater ist 1912 in Memel als uneheliches Kind eines Försters mit einer "Gastwirtin" gezeugt worden. Mit etwa zwi Jahren wurde er in eine Pflegefamilie aufgenommen und wuchs dort auf. Über diese Familie wusste er sehr viel, erzählte davon und schrieb darüber in seinen Lebenserinnerungen.
Er bekam einen gesetzlichen Vormund.
Seine leibliche Mutter kehrtenach der Abgabe ihres Kindes in ihre Heimat nahe Danzig zurück, kam dort aber nie an.
Sein leiblicher Vater leistete bis zu seinem 16. Lebensjahr nach den gesetzlichen Bestimmungen Unterhalt an die Pflegeeltern. Er verweigerte jedoch jeden persönlichen Kontakt zu seinem unehelichen Kind aus Rücksicht auf seine eigene Familie. Bis auf die Daten seiner Geburt, seines Wohnortes und seines Berufes wusste mein Vater nichts. Ob er Halbgeschwister hatte, ist ihm ebenfalls unbekannt geblieben.

Nach seiner Mutter hat mein vater sein Leben lang, auch mit Hilfe seines Vormundes, vergeblich gesucht. Als er mit 16 Jahren seinen Personalausweis ausstellen lassen musste, wurden die personenangaben zum damaligen Aufenthalt/ Wohnort gebraucht, die er nie angeben konnte. Das hat ihm bei der Staatsangehörigkeit und bei der Ausstellung der Heiratsunterlagen mit meiner Mutter große Probleme gemacht. In Mariendarstellungen der Malerei und Plastiken suchte er sein Leben lang nach dem Abbild seiner Mutter.

Nun denke ich nach der Lektüre von "Für immer Schwestern" erneut darüber nach, mehr über seinen leiblichen Vater zu erforschen. Ob ich bisher unbekannte Großcousins und -kusinen habe?

Herzlichen Dank dem Redaktionsteam für die immer so interessanten Beiträge in CHRISMON.

Mit herzlichen Grüßen
Gisela-Marianne Wagner