Gundula Gause, "Ein feste Burg" und die Not der Kirchen
Wie lässt sich das Evangelium zeitgemäß in die Gesellschaft tragen?
Ahaok
Gundula Gause über die Zukunft der Kirche
"Sie verstehen die Kirche nicht mehr"
Die junge Generation wendet sich ab. Gundula Gause fordert eine neue Reformation
11.01.2022

Anlässlich eines wunderbaren Gottes­dienstes zum Reformationstag im rheinhessischen Oppenheim haben wir ge­sungen: "Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. / Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen."

Gundula Gause

Gundula Gause, 56, ist ZDF-Nachrichten­moderatorin. Im Rahmen des Reformations­jubiläums 2017 trat sie als "Reforma­tions­botschafterin" für die Evangelische Kirche in Deutschland auf.

Betroffen macht auch der alte Text, in doppelter Hinsicht. Er lässt sich frei beziehen auf die aktuelle Not der christlichen Kirchen in Deutschland. Gleichzeitig ist er inhaltlich nur noch schwer zu verstehen und – das soll der Kern ­meiner Betrachtungen sein – steht damit symptomatisch für die Probleme der Glaubensvermittlung generell. Es ist ein Text aus einer anderen Zeit, die schlicht vorbei ist. ­Zudem, und das ist noch viel wichtiger: Die Burg als Meta­pher für Kirche, Gott und Glauben hat ihre Be­deutung für die Menschen von heute verloren. Statt die Burg und ihren Schutz aufzusuchen, wenden sich zunehmend Menschen von ihr ab. Sie verstehen nicht, was Gott und Glauben im Kern bedeuten. Sie verstehen die Kirche nicht mehr und sind natürlich auch erschüttert von Skandalen, ­In­transparenz und amtskirchlicher Sklerose.

Eintritte gleichen lange nicht mehr die Austritte aus

Wohl auch deswegen werden Prominente, die sich zu ihrem Glauben bekennen, ersatzweise so häufig gebeten, "Zeugnis abzulegen". Aber wie konnte es so weit kommen? Immer weniger Menschen glauben offenbar, das vertraute, oft aber auch unbequeme und enge Sicherheitsgefühl der Burg zu brauchen. Im Gegenteil: Sie lehnen die Burg ab – und suchen ihr Glück außerhalb der Ringmauern in der Welt der großen Freiheit. Davon gab es noch nie so viel für so viele: Wohlstand, individuelle Freiheit, Informations- und Bildungschancen, Unterhaltung, Reisen, Feste und so weiter. Insgesamt scheint es sehr vielen von uns – Corona zum Trotz – doch gut zu gehen.

Im Gegensatz zu den christlichen Glaubensgemeinschaften. Jugendlicher Nachwuchs und Kircheneintritte gleichen in beiden großen christlichen Kirchen Deutschlands seit Jahrzehnten nicht mehr die Austritts- und Todeszahlen aus. Das Kirchenvolk wird kleiner und älter. Was man medial von der Kirche wahrnimmt, stimmt eher ­deprimierend als hoffnungsvoll. Auf Gemeindeebene kämpfen viele mutig und unverdrossen dagegen an. Da passiert einiges – und das ist aller Ehren wert! Aber es reicht offensichtlich nicht, um den Trend zu drehen. Trotz aller Mühen ist bislang kein Mittel gefunden, die Frohe Botschaft wieder an den Mann und an die Frau zu bringen.

Notleidende finden nicht mehr zum Glauben

Oft heißt es, dass gute Zeiten schon immer schlecht für die Kirche waren. In der Konsequenz müssten die ­Kirchen also auf ein Ende politischer Freiheit, ein Ende des Wohlstands und auf Notlagen setzen. Das kann im Ernst niemand wirklich wollen, schon gar nicht Christen und ­Christinnen! Im Übrigen finden ja auch diejenigen nicht mehr den Weg zum Glauben, zu Gott und den Kirchen, die Not leiden und Verlierer unserer Gesellschaft sind.

Wir sollten uns ehrlich machen! Weder auf Gemeindeebene noch auf der Ebene der "Großkopferten" haben sich bislang Impulse gezeigt, die wirklich Hoffnung machen. Die bekannten "Megatrends" Digitalisierung und Globalisierung verändern die Welt mit rasender Dynamik. Auch wenn es keine Patentrezepte gibt, müssen sich die Kirchen dieser Entwicklung stellen, um Boden gut zu machen.

Welcher Bibelvers hat Sie klüger gemacht? Unsere Autorinnen und Autoren erzählen von einer Lernerfahrung

Als Medienfrau, die ihren eigenen Glauben als ­Geschenk empfindet, sehe ich von daher dies als "alternativlos" an: Wir müssen das Evangelium zeitgemäß in die Gesellschaft tragen – konzentriert, verständlich und ansprechend, vor allem digital. Wir müssen die dazu ­erforderlichen ­erheblichen Mittel durch eine radikale Entschlackung der bestehenden Strukturen gewinnen. ­Insgesamt braucht es die Kraft zu radikaler Anpassung, um das ­Evangelium zeitgemäß zu verkünden, in einer neuen verständlichen Sprache, sozusagen einer neuen Reformation. Nur ­dieses Mal nicht trennend, sondern zusammenführend. Und dafür brauchen wir die Ökumene endlich mit klarer zeitlicher Fristsetzung, um die schwindenden Kräfte der ­beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland zu bündeln. Bevor es zu spät ist.

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Guten Tag!
Die Burgmetapher ist sicher nicht das Problem. Junge Leute fahren gerne auf Mittelaltermärkte und auf LARPS, auch auf Burgen, um dann in pseudo-mittelalterlich zu reden. Alle kleinen Jungs, die eine alte Burg besuchen, sind fasziniert und spielen Ritter.
Der Liedtext ist auch nicht total schlecht, wenn auch etwas zu viel vom Satan die Rede ist. Man müßte ihn schon modernisieren, aber das ist bei Gedichten von Hans Sachs, die er Luthers Zeitgenossen Claus Narr in den Mund legte, noch viel schlimmer.
Das Schreckliche an dem Lied ist die Orgelmusik. Kann man da nicht einen Rap draus machen? Fragt doch mal die O'Bros!
Ein Kirchenliederbuch, das nur aus Gitarrensongs der 1970er bis 1990er Jahre besteht, wie ich das in einem Dorf in der Oberlausitz gesehen habe, ist m.E. nicht die Lösung. Die Handpuppen, die die da hatten, um das Thema Schuld und Versöhnung anhand einer Konfliktsituation in der Schule (Gottesdienst zur Einschulung) zu erarbeiten, waren aber lustig.
Junge Leute für den Glauben zu interessieren ist nicht schwer. Joel Darko von der Leipziger Zeal Church (ICF-Ableger) predigte heute dreimal so lange wie in einer normalen Kirche, während der Gottesdienst zwei Stunden dauerte. Die Musik war dann eher wie ein Rock-Konzert und bestand aus modernen Worship-Liedern. Leider war nix von Hillsong UNITED dabei.
Bei den weniger jungen Leute, die nicht die ganze Zeit rumhopsen können, hat Siggi Zimmer einen Weg gewiesen mit seinen GospelHaus-Gottesdiensten. Meint er jedenfalls. Auf Sonntag abend umzuschalten, wäre eine interessante Idee. Die Musik sollte aber vielleicht doch lieber so klingen wie bei Hillsong UNITED. Die machen ja auch ruhigere Lieder: https://www.youtube.com/watch?v=cx6JsMhhOFk
Eine wichtige Idee wäre, Predigten abzuschaffen. Jedenfalls die Notwendigkeit für jeden Pfarrer, sich selbst jede Woche was eigenes aus den Fingers saugen zu müssen. Stattdessen könnte man länger aus der Bibel vorlesen (z.B. alle Parallelstellen zu einem wichtigen Thema) oder aus den Werken bedeutender Theologen wie Luthers Werkausgabe von Härle oder ausgesuchte besonders gute Predigten der letzten Jahrhunderte oder Jahrtausende. Oder einen Worthaus-Vortrag dazu einspielen.
Warum überlassen wir eigentlich die "paschal homily" von Johannes Chrysostomos den Orthodoxen? Die Liturgie ist sehr stark, und Johannes Chysostomos hat vor dem Schisma gelebt und ist daher unser aller Kirchenvater.
Wieso macht die Kirche eigentlich keine aggressive Propaganda darüber, wie schlecht die atheistisch-nihilistische Alternative ist? https://www.youtube.com/watch?v=dsWfGzxjs0w
Digitale Verkündigung bringt nur was, wenn man viral wird. Derzeit sind die christlichen Inhalte im Netz, von denen es viele gibt, in einer Bubble.
Daß Leute in Not nicht zu Gott finden, stimmt nur teilweise. Auf dem Leipziger Südfriedhof gibt es nahe dem Grab von Hinrich Lehmann-Grube, dem ersten Oberbürgermeister nach der Wende, eine Gruppe von Gräbern für Menschen, die nie erwachsen wurden. Es gibt da kein einziges atheistisches Kindergrab.
Eine neue Reformation ist eine Quatsch-Idee. Man kann an Luthers Theologie im Kern nix verbessern. Was soll denn das Neue sein? Daß die Auferstehung nur ein Mythos gewesen sei, wie Bultmann meinte? Damit machte sich die Kirche gleich überflüssig. Am Ende werden dann Mädchen mißbraucht: https://www.youtube.com/watch?v=Zs9d_xgPYvE. Daß die Kreuzigung keine Heilsbedeutung habe, wie die Reformatorin Claudia Janssen uns erzählen will? Sowas verkündigt Joel Darko den jungen Leuten der Zeal Church nicht. Daß Luther Paulus völlig falsch verstanden habe, wie N.T.Wright meint? Aber man kann alle wichtigen Punkte von Luther auch ohne jeglichen Bezug auf Paulus aus der Bibel entnehmen. Man kann sogar sola gratia (also daß es auf die Initiative Gottes ankommt), aus dem Jakobusbrief entnehmen. Oder Psalm 103.
Solange die EKD noch Ressourcen für Beschäftigung mit Scheinproblemen hat wie https://www.gender-ekd.de/ , scheint die Not ja nicht so groß zu sein.
Zeitgemäße Verkündigung hat Martin Freyer von den Jesus Freak schon vor Jahrzehnten erfunden. Moderne Bibelübersetzungen gibt es auch genug.
Eine "neue Reformation" ist nur das Aufgreifen eines bekannten Stichwortes ohne tiefere Analyse, so ähnlich wie wenn ostdeutsche Rechtspopulisten die Revolution von 1989 wiederholen wollen, weil sie keine anderen politischen positiven Vorbilder haben.
Ökumene mit den Katholiken? Wann fangen die denn an, sich an die Anweisung der Bibel zu halten, nämlich 1.Timotheus 3,2, wo drin steht, daß Pfarrer verheiratet sein müssen? Das hat der Heilige Geist extra da reininspiriert, damit die Priesterschaft nicht zu einer Truppe von Homosexuellen und Pädophilen wird, wie es bei den Katholiken zu großen Teilen der Fall ist. Ökumene mit einer korrumpierten Kirche ist sinnlos.
Wenn die EKD sich als unbeweglicher Block selbst im Weg steht, dann wird sie durch charismatische Freikirchen wie ICF, die dynamisch, experimentierfreudg, innovationsfreundlich, schnell und beweglich sind, ersetzt werden, so wie eine unbewegliche Staatswirtschaft irgendwann in Gänze pleite geht und durch viele kleine und mittelgroße private Unternehmer ersetzt wird. Wäre ja nicht schlimm, sondern vielleicht näher an der Struktur der frühen Kirche.
Alles Gute!

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"Was hat die Kirche? Was hat die Kirche?", stöhnte einstmals ein Kandidat fürs Pfarramt in der mündlichen Prüfung im "Ersten Theologischen Examen" bei sich in höchster Not, weil ihm, auf die Frage des Prüfers "Was hat die Kirche?", im entscheidenden Moment nicht mehr einfiel, was die Kirche "hat". Doch "der ganz Andere" ist auch den Fernsten näher als diese sich selbst. Und so presste besagter Kandidat, erleuchtet von einem Blitz in der Krisis der Offenbarung, im Vertrauen auf die Kraft des Höchsten, für sein Gegenüber plötzlich und unvorhersehbar, durch halb-geschlossenen Mund das erlösende Wort hervor: "Die Kirche hat ein Dach!"
Ich verstehe Gundula Gause nicht mehr. Ich fordere keine neue Reformation. Ich fordere ein neues Dach!