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Das Wort "Gehorsam" klingt nicht gut in unseren Ohren. Wir können es offenbar nur "top-down" hören: Da ist eine Autorität, die bestimmt, und ich folge. Dass viele Menschen in Deutschland dieses Wort heute so verstehen, hat tiefe Wurzeln in der deutschen Geschichte und in der Geschichte der Kirchen. Doch ein solches Verständnis von Gehorsam auf der Basis von Hierarchie ist nicht christlich. "So soll es nicht sein unter euch", heißt es in der Bibel (Matthäus 20,26; Markus 10,43; Lukas 22,26). Wie konnte es also zu diesem Missverständnis kommen?
Emmanuela Kohlhaas
"Allen bin ich alles geworden" – so fasst Paulus seinen Weg der Nachfolge Jesu zusammen. Meint er Opportunismus? Den Weg des geringsten Widerstandes? Nein, er meint den anspruchsvollen Weg des Machtverzichtes: "Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, um die Schwachen zu gewinnen" (1 Korinther 9,22a). Es geht darum, den Sicherheitsabstand aufzugeben, vorbehaltlos hineinzugehen in jede Begegnung.
Als junge Schwester habe ich an der Klosterpforte gearbeitet. Eines Tages stand, als ich die Tür öffnete, ein Punk wie aus dem Bilderbuch vor mir, ein junger Mann, etwa in meinem Alter. Ich staunte, und bevor ich etwas sagen konnte, fragte er mich: "Komme ich in den Himmel, wenn ich jetzt Schluss mache?" Eine Alkoholfahne kam mir entgegen, und mein Blick fiel auf die Totenköpfe aus Plastik, die er als Schmuck um den Hals trug. Ich überwand meinen Impuls, die Tür schnell wieder zu schließen, setzte mich zu ihm – und (ge)horchte . . .
Er starb mit dem Kreuz in der Hand
Er erzählte mir von seinem Leben. Kairo, so sein Szenename, sah für sich keinen Weg mehr. Wir sprachen lange, aber ich hatte das Gefühl, dass ich nicht wirklich zu ihm durchdrang. Ich folgte einem inneren Impuls, bat ihn, kurz zu warten, und holte ein Bronzekreuz an einem Lederband. Ich hatte es als Teenager lange getragen und mich nicht davon trennen können. Den Moment, als ich ganz nah vor Kairo stand und ihm dieses Kreuz umhängte, direkt über seine Totenköpfe, werde ich nie vergessen. Er ging fort und kam nie wieder.
Jahre vergingen, einmal sah ich Kairo vom Bus aus irgendwo in der Stadt. Eines Tages kam ein Mann ins Kloster und stellte sich als seinen Freund vor. Er erzählte mir, Kairo sei im Krankenhaus an den Folgen des Drogen- und Alkoholmissbrauchs gestorben – mit meinem Kreuz in der Hand. Dieses Kreuz habe Kairo unendlich viel bedeutet, und es sei auch für ihn jetzt sehr wichtig. Er zog es aus seiner Tasche. Er hatte es vergolden lassen.
Abwehrstrategien loslassen
Ein wirklich spiritueller Gehorsam hat für mich nichts mit Dominanz und Unterwerfung zu tun, aber viel mit radikaler Offenheit. Radikal im ursprünglich lateinischen Wortsinn von radix, die Wurzel, kommend: bis an die Wurzeln meiner Existenz. Ein solch radikales Hinhören hilft mir, meine Abwehr- und Vermeidungsstrategien loszulassen. Das ist ganz einfach und unendlich schwer zugleich. Einfach, weil ich es "nur" zu tun brauche. Unendlich schwer, weil es von mir fordert, an meinen Widerständen zu arbeiten.
Auch der Einsatz von Macht ist meist eine Abwehrstrategie, wenn Mächtige versuchen, Fragen oder Proteste zu unterdrücken. Das ist der Ungehorsam der Mächtigen, ganz gleich ob in den Kirchen oder anderswo.
"Den Schwachen, ein Schwacher. Allen, alles . . ." Der Apostel Paulus geht noch weiter, und die Konsequenz erschreckt ihn. Er fügt ein paar erklärende Worte ein: "Den Gesetzlosen bin ich sozusagen ein Gesetzloser geworden – nicht als ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi –, um die Gesetzlosen zu gewinnen" (1 Korinther 9,21).
Jesus ist diesen Weg mit allen Konsequenzen gegangen. Gehorsam in seinem Sinne ist eine Absage an alle Macht und Gewalt. Christlicher Gehorsam war schon immer ein Gehorsam 2.0.
"Allen bin ich alles geworden" (1 Kor 9,22b)