Am vergangenen Wochenende haben in Hamburg 573 278 mit ihrer Stimme an einem Volksentscheid teilgenommen. Es ging um die Frage, ob Hamburg schon 2040 (statt erst 2045) klimaneutral werden soll, und wie der Weg dorthin mit strengeren Kontrollen überwacht werden kann.
303 936 Menschen haben diese Fragen mit einem "Ja" beantwortet. Ich auch.
Allerdings: Mit großen Bauchschmerzen. Volksabstimmungen bergen für mich immer die Gefahr der Polarisierung. Vor allem, wenn es um sehr große und komplexe Themen geht. "Zukunftsentscheid" lautete in Hamburg der Titel der Abstimmung.
Da ist zum einen die Frage der Beteiligung. Ja, über 300 000 Menschen sind viel, aber keine Mehrheit, nicht "die" Stadtgesellschaft. Die Wahlbeteiligung lag bei 43,7 Prozent. Das heißt: Mehr als jeder Zweite in der Stadt hat sich nicht beteiligt. Und die Auswertung der Wahlergebnisse zeigt, dass vor allem Menschen in den zentral gelegenen, bürgerlich gut situierten Wohnvierteln mitgemacht haben.
Und das ist kein gutes Zeichen. Selbst in der Schweiz, dem Musterland der direkten Demokratie, leiden viele Abstimmungen unter diesem Manko: Es nehmen zu wenig Menschen teil, in der Regel selten über 50 Prozent; und wenn, dann beteiligen sich vor allem Menschen, die gut gebildet und finanziell besser gestellt sind.
Was unabhängig von dieser Kritik gut war: In Hamburg wurde endlich wieder über den Klimaschutz geredet. Aber eben oft laut, schrill und aggressiv. Wer abgewogen argumentierte, kam nicht durch. Schließlich ging es immer darum, ein "Ja" oder ein "Nein" zu bekommen. Für Fein-Abstimmungen war kein Raum.
Schwerpunktmäßig waren die Kosten ein Hauptthema. Wer wird am Ende zahlen für den um fünf Jahre vorgezogenen Klimaschutz, zum Beispiel im Gebäudesektor? Drohen massive Mieterhöhungen, wie es die Gegner des Zukunftsentscheides in ihren Statements an die Wand malten? Oder kann wirklich alles komplett "sozialverträglich" umgesetzt werden, wie es die Befürworter in ihren Stellungnahmen versprachen?
Ich bin überzeugt: Die Antwort auf diese Fragen ist ein Sowohl-als-auch. Wer mehr Klimaschutz will, muss den bezahlen. Ich habe keine Stellungnahme, weder im Pro- noch im Contra-Lager, gelesen oder gehört, die das nicht anerkannt hätte. Aber statt gemeinsam nach Kompromissen zu suchen, wurde auf Podien gestritten, dass die Fetzen flogen. Es ging viel um Emotionen, nicht um Fakten. Als sich Finanzsenator Andreas Dressel, SPD, und Klimaaktivistin Luisa Neubauer zur Diskussion trafen, kam es zum "Klima-Duell", der Senator sprach von "bewusster Irreführung" der Bürger; die Klimaaktivistin von Realitätsverweigerung und "Panikmache" im Senat.
Mir selbst ging es ähnlich in Diskussionen im Freundes- und Familienkreis. Nur "Dafür" oder "Dagegen"; es gab nur wenig Raum für Zwischentöne.
Wie sagt es mittlerweile sogar ChatGPT treffend: "Volksentscheide verleihen komplexen politischen Fragen einen Anschein von Einfachheit – und öffnen populistischen Verkürzungen Tür und Tor."
Ich gehe da noch weiter und sage: Volksentscheide provozieren diese populistischen Verkürzungen geradezu. Sie fördern den Populismus. Schwarz/Weiß-Denken zieht mehr und mehr in die politischen Diskussionen ein. Das verschärft den Ton und hinterlässt Opfer auf allen Seiten.
Und deshalb sollten wir sehr sorgsam mit diesem Instrument umgehen, erst recht in den ganz großen Fragen unserer Gesellschaft. Volksabstimmungen sind aus meiner Sicht nicht per se ein "Frustschutzmittel", wie sie der evangelische Theologe, Thüringer Bürgerrechtler und offizieller Sprecher des Vereins "Mehr Demokratie e.V.", Ralf-Uwe Beck, gerne plakativ benennt.
Zum Ende etwas Konstruktives?
Ja, von mir aus gerne mehr direkte Demokratie, aber mit überschaubaren und konkreten Fragestellungen, bei denen wir lernen können, wie direkte Demokratie und Mitsprache funktionieren. Für Hamburg hätte ich ganz praktisch einen Vorschlag, der sogar aus dem Katalog des großen Zukunftsentscheides kommt: die Forderung nach Tempo 30 auf allen Straßen. Eine einfache, für alle verständliche und in Hamburg alle direkt betreffende Frage. Oder noch viel konkreter und auch aus dem Bereich, in dem ich mich auskenne: "Braucht Hamburg wirklich einen neuen Opernbau?"
Da wäre ich sofort dabei. Nicht nur mit einem klaren "Ja", sondern auch beim Haustürwahlkampf