Portrait Simone Heintze
Hannah Siegismund
Reha-Freundschaften
"Wir können viel direkter über Dinge reden"
Simone Heintze hat viermal Krebs überlebt. Was sie getragen hat? Zum Beispiel ihre "Reha-Mädels", ein Freundeskreis, der sich in einer Reha gefunden hat
Privat
23.09.2025
4Min

chrismon: Sie kennen Ihre Sylt Sisters seit einer gemeinsamen Reha. Was macht ihre Freundschaft zu diesen vier Frauen so besonders?

Simone Heintze: Wenn man sich in einer Klinik kennenlernt, entwickelt man schnell ein feines Gespür für die Bedürfnisse und Grenzen des anderen. Als kranker Mensch hat man immer Angst, eine Belastung für andere zu sein. Menschen, die selbst schwere Schicksale haben, kennen dieses Gefühl. Wenn ich beim Wandern beispielsweise eine Pause brauche oder den nächsten Berg nicht schaffe, weiß ich: Die anderen verstehen das und verzichten nicht nur aus Liebe zu mir.

Sind füreinander da: Cläre, Susanne, Susi und Silke (v. l. n. r.) mit Simone Heintze (vorne)

Was ist im Vergleich zu anderen Freundschaften anders?

Wir können viel direkter über Dinge reden. Manchmal spüren wir auch einfach nur, wie es dem anderen geht – ohne viel zu sprechen. Meine Mädels spüren, wenn mich die Angst vor der nächsten Untersuchung beschäftigt. Oder wenn es mich innerlich durcheinanderbringt, dass nichts gefunden wurde, obwohl ich mich schon auf das Schlimmste eingestellt hatte. Wir fühlen uns auch über Distanzen miteinander verbunden, besonders in schweren Zeiten. Erst im vergangenen Jahr ist ein gemeinsamer Freund an Lungenkrebs gestorben. Das war für uns alle total schlimm. Wir haben uns in unserem Schmerz getragen und waren füreinander da. Dann schöpfen wir, wenn wir es brauchen, aus dem Vollen mit Whatsapp, telefonieren, halten per E-Mail Kontakt und auch mit persönlichen Besuchen, einzeln untereinander oder auch alle zusammen, wie es zeitlich möglich ist. Manchmal sind auch Briefe oder Postkarten die Überbringer unserer Freundschaft. Sterben gehört bei uns einfach mit dazu.

Simone Heintze

Simone Heintze, geboren 1974, hat vier Krebserkrankungen überwunden. Ihre Erfahrungen hat sie in Büchern verarbeitet, darunter "Wäre schön blöd, nicht an Wunder zu glauben" (2020, Gerth Medien, 272 Seiten, 12,95 Euro). Sie engagiert sich als ehrenamtliche Rentenberaterin in ihrer Kirchengemeinde. Heintze ist Mutter von drei Kindern und lebt im Ruhrgebiet.

Wie haben Sie ihre Reha-Mädels eigentlich kennengelernt?

Es gab in der Klinik ein bisschen Chaos um die Sitzplätze im Speisesaal. Wir fünf haben dann einfach einen "Asyltisch" aufgemacht, an den sich alle setzen konnten, die sich etwas verloren gefühlt haben oder nicht so recht wussten, wohin mit sich. Es war Zufall.

Und wer sind sie genau?

Cläre, Susanne, Susi und Silke. Cläre wohnt mit ihrem Mann in Nordrhein-Westfalen und ist unsere Handarbeitsqueen – die kann so toll Buchlesezeichen und Leuchttürme sticken! Da fragen wir sie jedes Jahr, wenn wir uns sehen, wieder danach. Für Susanne, sie wohnt in Thüringen, ist Sylt immer ganz wichtig. Dort können sich ihr Körper und Geist vom Alltagsstress erholen. Susi hatte – wie ich – mit Brustkrebs zu kämpfen und Silke, die mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Mannheim wohnt, freut sich auch immer sehr auf die Zeit mit uns auf Sylt für ihre Lunge.

Wie ging es nach dem Kennenlernen am "Asyltisch" weiter?

Nach einem Gottesdienst in der dortigen Friesenkapelle gab es Himbeerbowle. Wir Mädels standen draußen in der Sonne und haben uns grandios unterhalten. In den ersten Wochen waren wir zusammen bei kleinen Konzerten oder haben uns für eine Fahrradtour verabredet. Da haben wir dann mit der Zeit gemerkt, dass das zwischen uns passt. Mir wurde klar: Um diese Freundschaft will und muss ich mich jetzt wirklich kümmern. Dann habe ich einfach eine Ferienwohnung für zwei Wochen im darauffolgenden Jahr auf Sylt für uns gebucht.

Mutig!

Ja. Früher ist es mir häufig schwergefallen, Freundschaften zu pflegen, insbesondere zu Menschen, die schwer krank geworden sind oder es noch sind. Ich hatte viele Verluste in meiner Jugend nicht verarbeitet, beispielsweise starb meine beste Kindheitsfreundin an Krebs. Erst als, so ironisch das klingen mag, Michael Jackson 2009 starb und ich tagelang nicht aufhören konnte zu weinen, habe ich das verstanden. Mit Hilfe einer Therapie habe ich meine Verlustangst überwunden und empfinde heute Freundschaften zu kranken Menschen als enorme Bereicherung.

Lesetipp: Findet man als Erwachsener noch mal Freunde wie als Kind?

Nun treffen Sie sich jedes Jahr auf Sylt. Wie verbringen Sie Ihre Zeit dort?

Eigentlich lassen wir es uns einfach nur richtig gut gehen. Wir laufen stundenlang am Meer entlang – zwar mit dicken Jacken und Hosen, aber wenn es danach heißen Tee gibt, spüren wir uns alle so lebendig. Das ist super. Da laufen wir den ganzen Stress, der sich über das Jahr angesammelt hat, einfach weg. Das ist, wie wenn die Seele wieder Luft zum Atmen kriegt, alles darf raus. Abends kochen wir dann lecker – wir leben dann zwei Wochen lang quasi wie in einer WG.

Vier Frauen zwei Wochen lang pausenlos aufeinander – kommt es da auch mal zu Konflikten?

Ja klar, kleinere Meinungsverschiedenheiten gibt es natürlich schon. Wenn Susi beispielsweise einfach wieder zu viel gearbeitet hat, können wir ihr hundertmal sagen: "Denk auch mal an dich!" – und dann macht sie, sobald wir wieder zu Hause sind, einfach genauso weiter. Richtig ernst gestritten haben wir bislang Gott sei Dank noch nie. Viele Tränen fließen allerdings auch so jedes Jahr, aber die dürfen raus. Wir wissen einfach, dass wir für uns gegenseitig ein sicherer Hafen sind – da darf es auch mal Hochwasser oder eine Sturmflut geben. Wenn es richtig ernst wird, tragen wir uns gegenseitig.

Ihr Rat an andere?

Aktiv zuhören! Wie oft nehmen wir uns noch die Zeit, einfach mal das Handy zur Seite zu legen und wirklich zuzuhören und da zu sein? Darum geht es ja im Grunde. Freundschaften, die auf einem festen Fundament stehen – wie die zu meinen Sylt Sisters – tun einfach gut.

Infobox

Simone Heintze (1974 geboren) lebt heute im Ruhrgebiet, direkt um die Ecke ihrer Klinik – "falls mal wieder etwas sein sollte". Gebürtig stammt sie aus der Nähe von Stuttgart, wo ihre Mutter und ihre drei Brüder heute noch leben. Ihre Kinder (heute 23, 25 und 27) wohnen rund zwanzig Autominuten von ihr entfernt. Beruflich ist sie gelernte Bankkauffrau, heute aufgrund ihrer Erkrankung allerdings Frührentnerin. Heintze engagiert sich als ehrenamtliche Rentenberaterin und in ihrer Kirchengemeinde. Die gebürtige Schwäbin hat ihre Krankheitserfahrungen in mehreren Büchern verarbeitet, darunter Aufgeben? Niemals! Meine Heilungsgeschichte, Teil eins und zwei (2015 & 2016) und Wäre schön blöd, nicht an Wunder zu glauben (2020).

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