Gesundheitsvorsorge
So reduziert man das Krebsrisiko
Ist das Risiko, an Krebs zu erkranken, hauptsächlich genetisch bedingt? Nein, sagt die Ärztin Hanna Heikenwälder, wir können einiges tun, um Tumorerkrankungen vorzubeugen
So reduziert man das Krebsrisiko
Bewegung an frischer Luft bringt viel fürs Immunsystem, auch wenn es nur kurz ist
iprogressman/Getty Images
Aktualisiert am 05.12.2025
5Min

chrismon: Viele Leute meinen, Krebs sei so etwas wie eine Lotterie, man bekommt die Krankheit oder eben nicht. Da ist der Vater, der sein Leben lang stark geraucht hat und uralt geworden ist, oder die Freundin, die nie geraucht und Lungenkrebs bekommen hat. Was antworten Sie Menschen, die so denken?

Hanna Heikenwälder: Viele meinen tatsächlich, dass wir nur dann erkranken, wenn wir mit schadhaften Genen auf die Welt kommen. Was die meisten aber nicht wissen: Nur fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen entstehen durch angeborene Gendefekte, die Mehrzahl durch Veränderungen unseres Erbguts, die wir erst im Laufe unseres Lebens erwerben.

Hanna HeikenwälderDominik Rößler

Hanna Heikenwälder

Dr. Hanna Heikenwälder, Jahrgang 1986, ist studierte Molekularbiologin. Momentan forscht sie über den Zusammenhang zwischen Krebs und Altern an der Universität Tübingen. Ihr Buch "Krebs. Das Ende einer Angst. Woran die Wissenschaft heute arbeitet, damit wir morgen krebsfrei leben" (400 Seiten, 24 Euro) ist im mosaik Verlag erschienen.

Wie gefährlich sind diese Mutationen?

Sie sind völlig normal, passieren jeden Tag, tausendfach. Unser Körper ist aber darauf vorbereitet. Wenn die geschädigten Zellen nicht repariert werden können, sterben sie ab oder gehen in eine Art Altersruhestand, sie leben noch, aber teilen sich nicht mehr. Das ist ein Schutzmechanismus. Würden diese Zellen weiterwachsen und bösartig mutieren, würden wir viel früher Krebs bekommen. Auch das Immunsystem spielt eine entscheidende Rolle: Es spürt die geschädigten, pensionierten Zellen auf und vernichtet sie.

Trotzdem überleben einige mutierte Zellen und entarten.

Mit dem Älterwerden wird das schützende Immunsystem schwächer, so dass wir immer mehr dieser mutierten Zellen haben. Deshalb steigt ab 50 Jahren das Krebsrisiko deutlich an.

Inwieweit können wir beeinflussen, ob aus einer geschädigten Zelle ein bösartiger Tumor wird?

Hier kommen unsere Lebensgewohnheiten ins Spiel. Das fängt mit der Ernährung an: Wenn wir viele zuckerhaltige Nahrungsmittel essen, steigt der Pegel des Hormons Insulin, das wiederum das Wachstum von Krebszellen fördert. Günstig sind dagegen Linsen, Kichererbsen, Vollkornbrot oder Nüsse. Sie sind reich an Ballaststoffen und sorgen dafür, dass der Insulinpegel langsamer steigt. Außerdem sind diese Lebensmittel reich an pflanzlichen Proteinen, die offenbar das Zellwachstum weniger stark aktivieren als tierische.

"Zellen, die längere Zeit keine Nahrung bekommen, fangen an, sich selbst zu reparieren"

Hanna Heikenwälder

Wie stehen Sie zu dem Hype ums Intervallfasten? Ist das tatsächlich sinnvoll?

Auf jeden Fall. Ich halte es auch für sinnvoller, als einmal im Jahr fünf Tage extrem zu fasten. Wichtig ist die Regelmäßigkeit, dass wir zum Beispiel einmal in der Woche 16 bis 18 Stunden nichts essen. Der Effekt für den Körper ist erstaunlich groß: Zellen, die längere Zeit keine Nahrung bekommen, fangen an, sich selbst zu reparieren. Alte und schadhafte Proteine werden beseitigt, neue Proteine können sich bilden. Es findet also ein Austausch statt. Das ist etwa so, als würden wir unseren Kleiderschrank ausmisten, neue gegen alte Kleidungsstücke tauschen. Wenn ich nichts aussortiere und ständig neue Sachen hineinstopfe, wird der Schrank irgendwann überquellen. Genauso ungünstig ist es, wenn wir unserem Körper ständig Nahrung zuführen, etwa zwischendurch snacken.

Stress und Überlastung, heißt es immer wieder, seien Gift für unseren Körper. Kann Stress tatsächlich Krebs fördern?

Man muss da differenzieren. Kurzzeitiger Stress kann als positiv erlebt werden und unsere Leistungsfähigkeit steigern. Gefährlich wird es, wenn wir dauerhaft belastet sind. Im Stress werden vermehrt die Hormone Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Das Cortisol wirkt entzündungshemmend, das ist erst mal positiv. Bei dauerhaftem Stress lässt diese Wirkung allerdings nach, die Immunabwehr ist geschwächt, und die Entzündungswerte steigen.

Einschneidende Lebensereignisse wie Trennung oder Kündigung sind also Gift für unser Immunsystem, weil der Stress länger anhält?

Das kann man so nicht sagen. Studien haben gezeigt, dass es nicht entscheidend ist, ob solche Krisen passieren und wie viele belastende Ereignisse wir in unserem Leben ansammeln, sondern wie wir damit umgehen. Wenn wir das Gefühl haben, eine Krise bewältigen zu können, uns Hilfe suchen, ist der Stresspegel weniger hoch.

Bewegung wirkt sich positiv auf unser Herz-Kreislauf-System aus, senkt den Stress. Inwieweit schützt Sport auch vor Krebs?

Schon zehn Minuten Bewegung reichen aus, damit sich die Menge an Immunzellen in unserem Blut erhöht. Auch Menschen, die bereits einen Tumor haben, können vom Sport profitieren, weil Immunzellen und Medikamente besser in das Innere der Tumorzellen eindringen. Spannend ist in dem Zusammenhang ein neuer Ansatz, die sogenannte Prähabilitation. Sie zielt darauf, gerade ältere Menschen, bei denen das Immunsystem schwächer ist, vor einer belastenden Behandlung wie Chemotherapie oder Bestrahlung zum Sport zu schicken. Das Immunsystem bekommt einen Boost, dadurch verbessern sich die Heilungschancen.

Viele Leute meinen, all diese Präventionsmaßnahmen – ausreichend Bewegung und auch Schlaf, gesunde Ernährung, kein negativer Stress – seien mühsam und nicht durchzuhalten. Was antworten Sie?

Selbst kleine Veränderungen in verschiedenen Bereichen, etwa weniger Zucker essen, mehr spazieren gehen, bringen eine Menge. Zeit wird in der Prävention zu unserem Freund, es geht darum, regelmäßig über längere Zeiträume alte Gewohnheiten umzustellen. Die Veränderungen müssen nicht extrem sein.

"Meine Vision ist, dass niemand mehr an Krebs stirbt und Qualen leiden muss"

Hanna Heikenwälder

Gerade Kinder und Jugendliche bewegen sich immer weniger, sind häufig übergewichtig, zeigen Studien. Wie wollen Sie an sie herankommen?

Wir brauchen die Hilfe der Politik, damit Prävention schon in den Schulen beginnen kann. Gesundheit müsste ein Schulfach sein, das regelmäßig unterrichtet wird. Außerdem sollte für jeden Tag eine Stunde Sport auf dem Stundenplan stehen. Dazu könnte es so etwas wie "Schulkrankenschwestern" geben – das können natürlich auch Männer sein –, die schauen, welches Kind beim Sport oder in der Ernährung Unterstützung braucht.

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Wird es in 50 Jahren immer noch Krebs geben?

Es wird immer Zellen in unserem Körper geben, die mutieren und entarten. Aber meine Vision ist, dass niemand mehr an Krebs stirbt und Qualen leiden muss. Die Früherkennung wird besser werden, auch durch KI, die Tumore frühzeitig erkennt. Die Zukunft liegt in maßgeschneiderten Therapien, die individuell auf das Krankheitsbild einer Patientin eingehen. Zum Beispiel wird die Immuntherapie genauer darauf schauen, welche Mutationen die Zellen eines Patienten haben, so dass sie das Immunsystem gezielt auf diesen Tumor richten kann.

Krebs ist immer noch die Krankheit, die am meisten gefürchtet wird. Wie kann man den Menschen ihre Ängste nehmen?

Die Ängste beziehen sich nicht nur auf die Krankheit, auf die Vorstellung eines langsamen und schmerzhaften Siechtums, auch die Therapien wie Chemotherapie, die starke Nebenwirkungen hat, sind gefürchtet. Man muss die Menschen noch mehr ermutigen, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen, um Veränderungen schon in einem frühen Stadium zu finden. Darmkrebs etwa wächst normalerweise langsam. Werden bei der Darmspiegelung Polypen gefunden, die sich zu Krebs entwickeln können, werden sie entfernt. Jenseits der Vorsorge müssen die Menschen aus dem Gefühl der Ohnmacht herauskommen, aus dem Glauben, eh nichts machen zu können. Wenn wir wissen, dass wir durch unsere Lebensführung Einfluss auf unseren Körper nehmen können, schwindet auch die Ohnmacht.

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