Tod von Papst Franziskus
Gedenken ja, aber nebenbei
Auch in Italien rückt die Kirche an den Rand der Gesellschaft. Das spürt man auch jetzt nach dem Tod des Papstes. Beobachtungen aus Mantua
Piazza delle Erbe in Mantua
Zu Besuch in Mantua, einer Kleinstadt im Norden Italiens
Petr Svarc/UCG/Getty Images
Tim Wegner
22.04.2025
4Min

Ostermontag, später Morgen in Mantua, die Schwalben sausen rufend am halbverhangenen Himmel über den Backsteinmauern. "Auguri", klingt eine Frauenstimme gut gelaunt aus der Gasse herauf durchs Fenster, so ruft man sich hier "Frohe Ostern" zu. Eine Männerstimme erwidert: "Bergoglio ist gestorben." – "Ach!" Der Gruß, die Nachricht, Zurufe im Vorbeigehen, Schritte verhallen wie die Nachricht. Was wird sie im katholisch geprägten Italien mit dem Ostermontag machen? In einer Stadt, die 470 Kilometer oder fünf Autostunden vom katholischen Schmelztigel Rom entfernt ist? In Mantua, wo die Autorin zufällig zum Osterbesuch ist.

In Italien stürzen sich die Medien nach wie vor auf jede kleine Begebenheit zum Papst. Während Franziskus im Krankenhaus mit der Lungenentzündung rang, räumten sie seinem Zustand die wichtigsten Plätze ein, berichtete die "Repubblica" in jedem ihrer Newsletter von den Fort- und Rückschritten seiner Genesung, es gab Grafiken, die die Problematiken seiner Lungen illustrierten.

Sein Tod fällt auf den lockeren der beiden Osterfeiertage. Am Sonntag treffen sich die Familien an langen, sich biegenden Festtafeln, am Montag picknicken Freunde gemeinsam, unternimmt man Ausflüge. Ansonsten ist am Osterwochenende im vermeintlich katholischen Land wenig Andacht zu spüren: Der Karfreitag ist ein Arbeitstag, basslastige Beats dröhnen aus Aperitifbars, auch am Karsamstag sind Geschäfte und Bars geöffnet, selbst am Ostersonntag kann man im Zentrum durch die Läden bummeln und die Supermärkte haben geöffnet.

Während die Medien, auch die deutschen, längst Newsticker zum Papst bestücken, mögliche Nachfolger beleuchten und Bilder von trauernden Gläubigen um die Welt gehen, die sich am Petersplatz in Rom drängen, führt das eher unbeständige Wetter am Montag viele Mantuaner ins Zentrum: die einen in die Bars und Restaurants, die anderen in die Paläste und Museen. In den Gassen und auf den Plätzen drängen sich die Massen.

Ja, sie hätten die Nachricht schon vernommen, bestätigen zwei Ehepaare, die um einen der Tische vor einem Café sitzen. "Unser Pfarrer hat eine Whatsapp verschickt, dass es heute Abend einen Gedenkgottesdienst gibt", sagt Emanuela Mantovana, Anfang sechzig. Sie, sehr engagiert in der Kirche, wird hingehen.

Vor einer Eisdiele berichtet Fabio Leone, Ende fünfzig, er habe gerade eine Kerze für den Papst angezündet, drüben in der Basilika. "Er war ein guter Papst", sagt er. "Der Papst war gut, das System ist schlecht." Er war lange nicht mehr im Gottesdienst.

Die junge Frau im Ticketbüro hat mit Kirche gar nichts am Hut. Genau wie die Gruppe junger Erwachsener auf den Stufen vor der Basilika Sant’Andrea.

Das käme nicht von ungefähr. "Die Jugendlichen gehen nicht mehr in die Kirche" titelten der italienische Ableger des Internetmagazins Wired und das Magazin Avvenire teils schon vor zehn Jahren. Auch wenn es medial nicht so intensiv diskutiert wird wie in Deutschland, verliert die katholische Kirche je nach Hochrechnung sogar mehr Mitglieder pro Jahr. Laut einer amerikanischen Studie treten derzeit für jede Person, die die Kirche aufnimmt, 29 Personen aus (in Deutschland 19). In Statistiken über Kirchenaustritte führt Italien sogar noch vor Deutschland und Frankreich.

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Die Renaissancebasilika Sant’Andrea ist der Stolz der Mantuaner. Sie messen sie mit den Bauten in Florenz. Die Krypta beherbergt angeblich das Blut Jesu, das der Soldat gesammelt haben soll, der ihm nach dem Tod den Speer in die Seite rammte. Täglich pilgern Gläubige dorthin und schreiben Bitten und Gebete auf kleine Zettelchen.

Auf dem Platz davor tobt sich ein Straßenmusiker aus mit Freestyler von Boomfunk MC’s, das Playback wummert zwischen den Mauern. Die Kirche ist bestuhlt, doch die Sitze sind leer. Die Menschen schweifen umher, fotografieren, der Papst ist unsichtbar, kein Anzeichen, dass ein Gedenkgottesdienst geplant ist, die Krypta mit den Reliquiaren ist geschlossen.

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In der hintersten Reihe haben Luisa, Paula und Elmina Platz genommen und bestaunen die Architektur, während sie auf ihre Männer warten. "Sein Tod tut uns leid", sagt Luisa. "Er hat gewagt, Dinge zu sagen, die sonst alle unter den Teppich kehren: die Missbrauchsfälle in der Kirche – er wollte Aufklärung." Sie befürchten, dass es keinen guten Nachfolger geben wird. In die Kirche gehen die Mitfünfzigerinnen selten: "Wir kümmern uns um Enkel und Eltern, das muss gelten", sagt Paula. Aber im Fernsehen will sie die Feierlichkeiten für den Papst verfolgen.

Auf den Stufen vor der Basilika verweisen Sohn und Enkel sofort auf Großvater Luigi. Er sei der Gläubige in der Familie und überzeugt, dass Franziskus ein großer Papst gewesen sei. "Einer aus unserer Mitte, bescheiden, nie hat er auf uns herabgeschaut." Wie er mit dem Tod des Papstes umgehe? "Ein Gebet. Nun ruhe in Frieden."

Und so ist es wohl in Mantua: Die Freuden des Ostermontags sind wichtiger als der Papst, das Leben wichtiger als der Tod. Die Kirche rückt im einst katholischen Italien aus der Mitte der Gesellschaft. Das Gedenken passiert nebenbei, wie man im Vorbeigehen schnell eine Kerze anzünden kann. Wo in der Basilika vor den Seitenaltären am Ostersonntag einige Kerzen leuchteten, flackern sie am Ostermontag dicht an dicht. Übrigens, der Papst ist gestorben.

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