Nachruf auf Papst Franziskus
Den Menschen zugewandt
Franziskus wird in die Geschichte eingehen als Papst, der persönliche Bescheidenheit gegen klerikalen Pomp setzte. Aber die Machtfrage stellte er nie. Ein Nachruf
Rom, Vatikan 15.11.2023 Papst Franziskus I. bei der woechentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz
Imago / Ulmer Pressebildagentur, Filippo
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
21.04.2025
7Min

Noch einmal hatte Papst Franziskus alle Kräfte gesammelt und am Sonntag den Ostersegen Urbi et Orbi gesprochen - mit brüchiger Stimme und in verkürzter Form. Viele deuteten es als Zeichen, dass er seine lebensbedrohliche Lungenentzündigung überwunden hat. Einen Tag später ist Franziskus nun doch im Alter von 88 Jahren gestorben.

Sein strahlendes Lachen, seine neugierigen Augen, seine selbstverständliche Bescheidenheit haben das Bild des Papsttums positiv verändert. Franziskus, mit bürgerlichem Namen Jorge Mario Bergoglio, seit dem 13. März 2013 der 266. Bischof von Rom und Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, hat nach dem professoral-konservativen Stil seines Vorgängers wieder die menschliche Seite seines Amtes zur Geltung gebracht.

Die katholische Gemelli-Klinik in Rom hatte er schon einige Male von innen gesehen. Als Papst Franziskus am 7. Juni 2023 im Anschluss an eine Generalaudienz im Vatikan in diese Universitätsklinik gebracht wurde, um sich wegen eines Leistenbruchs und eines drohenden Darmverschlusses operieren zu lassen, erinnerten sich viele an seine Bemerkung aus dem Jahr 2021: "Die Vollnarkose ist mir nicht gut bekommen." In jenem Jahr war Franziskus ein Teil des Dickdarms entnommen worden. Rund zehn Tage hatte er damals in der Klinik verbracht.

Er scheute große Veränderungen

Zwölf Jahre lang war Franziskus Oberhaupt der katholischen Kirche. Er prägte sie mit seiner lateinamerikanischen Lebensfreude nach der versteinerten, reaktionären Epoche unter dem deutschen Papst Joseph Ratzinger, ließ wieder frischen Wind durch den Vatikan wehen und stieß eine Reihe wichtiger Reformen an. Aber in seiner mehr als zehnjährigen Amtszeit zeigte sich immer deutlicher: Der humane Pontifex scheute grundlegende Veränderungen, wenn sie traditionelle Dogmen und festgelegte Machtfragen betrafen. Seine viel gelobte Zuwendung zu den Menschen, seine persönliche Bescheidenheit, sein Engagement für die Armen, sein vehementer Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und für die Umwelt: All das darf nicht zu dem Missverständnis führen, dass er zugleich die Macht der katholischen Hierarchie zur Diskussion stellte.

Eine Weihe für Frauen, selbst zur Diakonin, war für diesen Papst unvorstellbar. Dennoch eröffnete er Frauen den Weg in hohe Kirchenämter. So wurde eine Ordensschwester, Nathalie Becquart, einflussreiche "Untersekretärin" in der weltweiten Bischofssynode. Erstmals bekam so eine Frau dort ein Stimmrecht. Für Schlagzeilen sorgte er, als er die italienische Ordensfrau Raffaella Petrini zum 1. März 2025 zur Präsidentin des vatikanischen "Governatorats" ernannte, zur obersten Verwaltungschefin der Vatikanstadt. Und Frauen können auch andere Leitungspositionen im Vatikan übernehmen.

Schon mit solchen Neuerungen hatte es Franziskus "schwer in der eigenen Kurie", wie es der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, einmal formulierte. Aber Frauen zu Weihen aller Art (Diakonin, Priesterin, Bischöfin) zuzulassen, das unterband Franziskus, hierin ganz auf der Linie seines streng konservativen deutschen Vorgängers Joseph Ratzinger, des Papstes Benedikt.

Es gab keinen Mangel an konservativen Intrigen gegen ihn, denn Franziskus beschnitt in seiner Kurienreform die Macht der einzelnen Ämter, entzog ihnen weitgehend die finanzielle Eigenständigkeit und redete den an Selbstbewusstsein nicht eben armen vatikanischen Bischöfen und Kardinälen moralisch ins Gewissen. Martin Luther, dem deutschen Reformator, hätten die Worte von Franziskus wie Engelsgesang in den Ohren geklungen. In einer Weihnachtsansprache hatte Franziskus den Mitarbeitern der Kurie Karrierismus und Gewinnstreben vorgeworfen und bei manchen "geistliches Alzheimer" diagnostiziert.

Franziskus war der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri. Geboren 1936 in Buenos Aires in Argentinien, war er in dieser Stadt von 1998 bis 2013 Erzbischof. Er war ein Ordensmann, Jesuit, er gehörte also der Gesellschaft Jesu (SJ) an. Deren Mitglieder sind zu Armut und Bescheidenheit verpflichtet. Vor allem aber sind sie, schon seit ihren historischen Anfängen, damit beauftragt, die Kirche zu schützen, zum Beispiel gegen die vermeintlichen Versuchungen der Reformation.

Jesuiten sind auch bekannt für eine besondere Debattenkultur: Sie lassen im Meinungsstreit ihre Kritiker erst einmal ausreden, fassen dann deren Argumente zusammen, um dann umso geschickter die eigene Entgegnung loszuwerden. Wer solche Streitgespräche beobachtet, mag vermuten, dass es eine große Nähe der beiden Auffassungen gibt. Doch oft trügt der Anschein. Jesuiten mögen sich gedanklich auf alle möglichen Positionen einlassen, aber das heißt nicht, dass sie sich diese zu eigen machen.

"Wenn ein Mensch gay ist und guten Willens den Herrn sucht - wer bin ich, dass ich darüber urteilen könnte?"

Papst Franziskus

Es gab in den oft spontanen Äußerungen von Franziskus etliche Missverständnisse. Dass der Papst in Gesprächen mit unterschiedlichsten Meinungen spielte, missverstanden viele Journalisten als Ankündigungen von radikalen Annäherungen. Beim Thema Homosexualität schlug Franziskus neue Töne an. "Wenn ein Mensch gay ist und guten Willens den Herrn sucht - wer bin ich, dass ich darüber urteilen könnte?", sagte er einmal. Und in einem Interview betonte er, er wolle "allen einen Platz in der Kirche geben".

Doch die Dogmatik folgte solchen Einsichten nicht, die Segnung von homosexuellen Partnerschaften blieb verboten. So galt bei Franziskus alles nebeneinander und zugleich: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sollen und dürfen im staatlichen Recht (!) anerkannt werden, jede Diskriminierung schwuler und lesbischer Menschen hat zu unterbleiben, aber der kirchlichen Segnung schwuler und lesbischer Partnerschaften gab er nicht seine letztgültige Approbation.

Faktisch hielt Franziskus auch an der Zölibatspflicht der Priester fest. Da hilft es auch nicht, dass sich Franziskus in einem Interview mit dem argentinischen Nachrichtenportal Infobae einmal offen gegeben und daran erinnert hatte, dass in der katholischen Ostkirche verheiratete Männer Priester sein können. "Es liegt kein Widerspruch darin, dass ein Priester heiraten kann", so Franziskus wörtlich. Doch daraus einen Grundsatz für alle anderen zu machen: Darauf warteten sie vergebens.

Entschieden gegen Täter sexueller Gewalt

Entschlossen nahm Franziskus den Kampf gegen sexuelle Gewalt in der Kirche und den Missbrauch Minderjähriger auf. Er verschärfte das kirchliche Straf- und Prozessrecht, errichtete das weltweit erste wissenschaftliche Institut für die Prävention von sexueller Gewalt. Franziskus traf sich regelmäßig mit Betroffenen, hörte ihnen ernsthaft zu. Im Jahr 2019 lud Franziskus Menschen aus aller Welt zu einer viel beachteten Konferenz zum Thema sexualisierte Gewalt ein. Seit diesem Jahr gelten strikte Regeln für den Umgang mit Taten und Tätern. Diese Vorschriften wurden 2023 sogar noch erweitert. Kleriker, Ordensleute, Laien in Leitungsfunktionen machen sich strafbar, wenn sie durch "ihre Handlungen oder Unterlassungen die kanonischen und zivilrechtlichen Ermittlungen" gegen mutmaßliche Straftäter behindern oder umgehen. Die Meldepflicht bezieht sich seit April 2023 auch auf Missbrauch, der gegen "schutzbedürftige" Erwachsene begangen wurde, also zum Beispiel an Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen.

Franziskus war aus innerster Überzeugung bescheiden. Statt im Apostolischen Palast, wo noch seine Vorgänger residiert hatten, wohnte er im Gästehaus Santa Marta. Manche Kardinäle hingegen wohnen in weiten Suiten vatikaneigener Paläste. Franziskus seinerseits war und zeigte sich, wenn er im Alltag Menschen begegnete, völlig nahbar - für seine Personenschützer oft genug eine Ausnahmesituation. Franziskus bemerkte einmal: Die Kirche müsse dorthin gehen, wo die Menschen "leben, wo sie leiden, wo sie hoffen".

Geschichte schrieb er mit seiner scharfen Kritik am ungebremsten Kapitalismus und am Wirtschaftsliberalismus. In seinem Lehrschreiben "Evangelii gaudium" aus dem Jahr 2013 formulierte er mit fast revolutionärer Naivität: "Diese Wirtschaft tötet."

Seine erste Reise hatte ihn nach Lampedusa zu den Flüchtlingen geführt. Er beherbergte Flüchtlinge im Vatikan, verurteilte die Härte der europäischen Abgrenzungspolitik, beklagte die Schicksale der Ertrunkenen, nannte das Mittelmeer den "größten Friedhof Europas". Er besuchte in seinem Pontifikat den vom Bürgerkrieg gezeichneten Südsudan. In Italien wie auch schon zuvor in Argentinien kritisierte er mit harten Worten die organisierte Kriminalität, die Gewalt der Mafia nannte er eine "Kultur des Todes", die die menschliche Würde unterminiere und die Gesellschaft korrumpiere.

Hätte gerne im Ukraine-Krieg vermittelt

Mehrfach hatte sich Franziskus im Krieg Russlands gegen die Ukraine als Vermittler angeboten. Im Mai 2023 hatte er Kardinal Matteo Zuppi, Erzbischof von Bologna, damit beauftragt, eine vatikanische Friedensmission vorzubereiten. Das ehrte das Oberhaupt der katholischen Kirche sehr. Doch standen die Erfolgsaussichten für dieses Vorhaben schlecht, lehnte doch selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, gewiss kein Kritiker des Papstes, diesen Plan ab: "Wir brauchen keine Vermittler zwischen der Ukraine und dem Aggressor, der unsere Gebiete besetzt hat, sondern einen Aktionsplan für einen gerechten Frieden in der Ukraine."

Der russische Präsident Putin seinerseits zählte ohnedies mehr auf den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. in Moskau, der den Krieg regelmäßig rechtfertigt. Und nachdem im Februar 2025, gleich nach seiner Wahl, der amerikanische Präsident Donald Trump eine "Vermittlerrolle" im Ukrainekrieg an sich gerissen hatte, war Papst Franziskus vollkommen ins Hintertreffen geraten.

Breite Resonanz fand die päpstliche Umwelt-Enzyklika "Laudato si´" vom Mai 2015. Analytisch scharf verknüpfte Franziskus darin Umwelt- und Klimaprobleme mit den Themen soziale Gerechtigkeit und Ausbeutung der Menschen. Eine Bemerkung daraus könnte fast aus dem Textbuch der "letzten Generation" stammen: Die globale Erwärmung sei "eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit". Hier jedenfalls ließ er Fakten folgen: Die Päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo ließ er zu einem Zentrum für ökologische Bildung und Landwirtschaft umbauen. Es erhielt den Namen "Borgo Laudato Si".

Sein Programm der "heilsamen Dezentralisierung" der katholischen Kirche schien er in seinen letzten Amtsjahren aufgegeben zu haben. Die vatikanischen Einsprüche gegen die Ergebnisse des deutschen Reformprojektes "Synodaler Weg" hatten ihre Ursache nicht nur in der Strippenzieherei konservativer (deutscher) Bischöfe, sondern auch in der glatten Ablehnung vatikanischer Behörden, die nach dem katholischen Gesetzbuch CIC die außerordentliche Machtfülle der Bischöfe nicht durch irgendwelche Gremien einschränken lassen wollten.

Franziskus wird in Erinnerung bleiben als Papst, der nach den Jahren des dogmenverliebten, professoralen deutschen Papstes Joseph Ratzinger persönliche Bescheidenheit und die Neugier auf offene Begegnungen nach vorn stellte. Ihm gelang ein bemerkenswerter, wenn auch nicht vollendeter Umbau der Vatikanbehörden. Er gab in seiner Kirche der Umweltfrage und den Problemen der Globalisierung Gewicht. Es tat der Kirche gut, sich auch in der Person dieses Argentiniers immer wieder bewusst zu machen, dass nicht in Europa, sondern in Süd- und Nordamerika die meisten Katholiken leben. Die Zeit des Eurozentrismus ist endgültig Vergangenheit.

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