Mütter-Töchter-Beziehungen - Zwischen Nähe und Abgrenzung
Nick Dolding/Getty Images
Preis der Leipizger Buchmesse
Zwischen Nähe und Distanz
Kristine Bilkau hat für ihren Roman "Halbinsel" den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Wie auch Roddy Doyle erzählt sie in ihrem neuen Roman von einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung
28.03.2025
8Min

Es ist eine ständige Gratwanderung. Da ist einer­seits der Wunsch nach ­Nähe und Innig­keit, anderer­seits das Bedürfnis nach Ab­grenzung und Autonomie. Es gibt kaum eine Tochter, die diesen ­Spagat nicht kennt, dieses Ringen im Verhältnis zur ­Mutter. Es heißt, Be­ziehungen zwischen Müttern und ­Söhnen seien einfacher, weil sich die Söhne nicht mit ­ihren Müttern vergleichen. Studien zeigen tatsächlich, dass zwischen Müttern und Töchtern mehr Reibung ist. Die Mutter-­Tochter-Beziehung ist oft sehr eng und konflikt­reich zugleich. Ich selbst habe das so erlebt mit meiner Mutter, die ich über alles geliebt habe. Aber Liebe schließt Konfrontation nicht aus. Diese Ambivalenz muss man aushalten, als Tochter wie auch als Mutter.

Töchter wollen sich nicht nur von ihren Müttern ab­grenzen, sondern auch von herkömmlichen Rollen­­mustern. Sie wollen nicht die angepasste Ehefrau sein, die ihre eigenen Bedürfnisse zurücksteckt – eine Rolle, die ihnen die Mutter häufig vorgelebt hat. Sie wollen ­etwas reißen, Eigenes auf die Beine stellen. Und das nicht ver­teidigen müssen. Gleichzeitig wollen sie die Nähe, die Vertrautheit mit der Mutter nicht aufgeben. Auch das ist eine Gratwanderung.

Neue Bücher über Mutter-Tochter-Beziehungen

Wie kompliziert diese Mutter-Tochter-Dynamiken sein können, zeigen gleich mehrere spannende Romane, die in diesem Frühjahr erscheinen. Die von Liebe, Wut, Aufbegehren, Verzweiflung und Hilflosigkeit erzählen. Das alles findet sich etwa in Kristine Bilkaus subtilem Buch "Halbinsel", das 2025 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, oder in dem herausragenden Wurf von Roddy Doyle, "Die Frauen hinter der Tür". Die Schauplätze und sozialen Milieus in den Büchern des Iren und der norddeutschen Autorin könnten nicht unterschiedlicher sein. Trotzdem beschreiben sie eine verblüffend ähnliche Konstellation: Die erwachsene Tochter, die schon längst ausgezogen ist, gerät in Schwierigkeiten und kehrt in einem Akt der Regression nach Hause zur Mutter zurück. Aus Tagen werden schnell Wochen oder sogar Monate, in denen sich die Tochter von der Welt zurückzieht. Das Besondere: Die Tochter begibt sich freiwillig in Abhängigkeit, sucht die Nähe zur stützenden Mutter und versucht gleichzeitig, die eigene Autonomie zu wahren. Eine verschärfte Heraus­forderung für alle Beteiligten.

Linn, die junge Umweltaktivistin in Kris­tine Bilkaus Roman, kippt plötzlich um, während sie einen Vortrag über Emissionshandel und CO₂-­Zertifikate hält – Kreislaufzusammenbruch. Die Mitt­zwanzigerin kehrt zurück zu ihrer Mutter nach Nord­friesland, der Vater ist viele Jahre zuvor gestorben. ­Annett hat Probleme, an die schweigsame Tochter heran­zu­kommen, die meint, Ruhe zu brauchen. Beide Frauen ­bleiben in ­ihrer Hilflosigkeit gefangen: ­Annett kann ihre abweisende Tochter nicht nach­haltig stützen, Linn will sich von ihr nicht auf­bauen lassen und schafft es zunächst nicht, sich selbst zu helfen. Selten kommt es zu ­offenen Auseinandersetzungen, eine versteckte Aggressivi­tät liegt in der Luft. Die Mutter – die 49-Jährige ist die Ich-­Erzählerin des Romans – spürt ­Ärger, aber auch Abwehr gegenüber der Tochter: ­Warum ist Linn, die so energie­geladen ins Leben gestartet ist, für eine gute Sache gekämpft hat, plötzlich so lethargisch? Linn wiederum hat das Gefühl, von der ­Mutter unter Druck gesetzt zu werden: "Manchmal habe ich den Eindruck, ich bin wie ein Projekt für dich. Ich soll deinen Ehrgeiz befriedigen, den du dir selbst aber nie eingestehen würdest", wirft sie der Mutter, die seit Jahren in einer Bibliothek arbeitet, schließlich an den Kopf.

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