Um ehrlich zu sein: Ich habe es auch gedacht. Am Nachmittag kamen die Eilmeldungen. Ein Mann habe in Mannheim mit dem Auto Menschen angefahren, offenbar mit Vorsatz. Es gebe Tote und viele Schwerverletzte. Schon wieder! Ich aktualisierte die Berichte auf dem Handy. Weiß man schon was über den Täter? Und ja, auch ich rechnete damit, dass ein Mensch mit Zuwanderungsgeschichte am Steuer saß. Wie neulich in München, als eine Frau und ihr Kind ihr Leben auf einer Demonstration verloren haben. Heute schäme ich mich für diesen Gedanken.
Gegen Abend teilte Thomas Strobl, Innenminister in Baden-Württemberg, mit: Der Tatverdächtiger sei ein Deutscher. Mittlerweile sickerte auch sein Vorname durch – Alexander. Heute, am Tag danach, ist "Mannheim" nur noch eine Nachricht von vielen. Man muss scrollen, um Berichte zu finden. Dabei verloren zwei Menschen ihr Leben, sie waren schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. Andere werden die Schreie, die Panik und die Bilder nicht vergessen – Augenzeugen, Ersthelferinnen, Polizisten, Rettungskräfte.
Aber: Es wird wohl keine Entschließungsanträge oder Gesetzesentwürfe im Bundestag geben. Keine giftigen Debatten darüber, wie viel Zuwanderung Deutschland noch verkrafte. Keine politischen Überbietungswettbewerbe, wie dicht man sie denn bekommen könnte, die Grenzen. Denn der mutmaßliche Täter von Mannheim bringt nicht das ganz große Empörungspotenzial mit.
Der tragische Rosenmontag in Mannheim ist eine Mahnung. Sind schwere Straftaten nur dann die Empörung wert, wenn es "wieder der Ausländer" war, wenn sie sich politisch instrumentalisieren lassen, auch wenn davon am Ende nur die Rechtsextremen profitieren? Offenbar ja. Und das ist schlimm, denn auf diese Weise stehen Millionen Menschen in Deutschland unter einem Generalverdacht. Und: Erfordert das, was wir schon jetzt über die Geschehnisse wissen, etwa keine ernsten Diskussionen? Ließe sich nichts lernen?
Wir wissen, der vermeintliche Täter ist ein Mann und soll psychische Probleme haben; die Tatwaffe war ein Auto. Wie steht es um die psychosoziale Vorsorge in Deutschland? Bekommt jeder Mann die niedrigschwellige Hilfe, der er braucht? Über 94 Prozent der in Deutschland inhaftierten Strafgefangenen sind Männer. Was sagt uns das? Gibt es ein Männerbild, das begünstigt, Frust und Kränkungen in sich hineinzufressen, ja keine Schwächen zu zeigen, ehe sich all das – in seltenen Einzelfällen, wohlgemerkt – Bahn bricht, sodass Mitmenschen gefährdet sind? Gibt es einen Werther-Effekt, also Nachahmungstäter, die zu allzeit verfügbaren Waffen greifen – zu Messern oder eben zu Autos?
Das sind wichtige Fragen, letztere auch für die Medien, die das Thema heute wieder nach unten rutschen lassen. War ja nur ein Deutscher? So jedenfalls kommen wir nicht weiter.