Ein Afghane verübt einen Anschlag, bei dem zwei Menschen sterben, und alle anderen Afghanen in Deutschland sind schuld. So fühlt es sich jedenfalls für den Afghanen Jalal Hussaini an, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt, hier arbeitet und Familie hat.
Thomas Gebhardt/PantherMedia/imago
Migration und Wahlkampf
Was das Attentat in München mit mir zu tun hat
Ich bin Afghane und werde wieder einmal für alles Schlechte verantwortlich gemacht. Dass ich hier arbeite, eine Familie habe, zählt nicht. Ich kann nur ohnmächtig abwarten, was andere über mich entscheiden
18.02.2025
3Min

Diese Tage fühlen sich an, als würde die Welt für uns immer kleiner und enger werden. Ich bin Afghane. Wie der Mann, der in München mit dem Auto in eine Menschenmenge gerast ist. Eine Mutter und ihr Kind sterben, ich bin schuld. Wenn die Mieten steigen, ich bin schuld. Auch für alles andere, was nicht gut läuft in Deutschland, werden wir Migranten verantwortlich gemacht. Und wir warten darauf zu sehen, wer an die Macht kommt und welche Entscheidungen für uns getroffen werden – egal, ob wir hier leben oder auf einem anderen Kontinent, in Ländern wie Pakistan oder Iran.

Privat

Jalal Hussaini

Jalal Hussaini (Jahrgang 1988) hat Film und Regie an der Kunsthochschule in Kabul studiert und als Drehbuchautor, Regisseur und Cutter gearbeitet. 2009 gründete er mit Freunden die Jump Cut Cinematic Group. Jalal war mit seinen Kurzfilmen bei mehreren großen Festivals vertreten und nahm unter anderem 2011 am Talentcampus der Berlinale teil. Er lebt seit 2014 in Deutschland und ist seit 2020 Redakteur bei Amal, einer Internetplattform, die von Exil-Journalist:innen betrieben wird und Nachrichten aus Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main auf Arabisch, Ukrainisch und Farsi/Dari produziert. Amal wird unterstützt von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Mein Vater lebte über 20 Jahre in Iran. Als Jugendlicher floh er aufgrund der Kriege in Afghanistan dorthin und blieb bis weit ins Erwachsenenalter. Dort heiratete er. Ich wurde geboren, mein Bruder wurde geboren. Doch er kämpfte stets mit Schwierigkeiten. Er erlebte, wie mehrere Regierungen kamen und gingen. In jeder Wahlperiode saß er gebannt vor dem Fernseher, verfolgte jede politische Diskussion mit unerschütterlicher Aufmerksamkeit. Und es war nicht nur mein Vater – die meisten unserer Verwandten und Bekannten taten dasselbe. Sie warteten darauf zu sehen, was die nächste Regierung für sie entscheiden würde. Ein Regime versprach ihnen ein besseres Leben im Austausch für den Kampf, ein anderes betrachtete sie als Last für das Land und trieb sie auf die Straße.

Wie wir alle sprach mein Vater ihre Sprache. Seine Hautfarbe, seine Gesichtszüge, sein Aussehen waren von den ihren nicht zu unterscheiden. Und doch war er nie wirklich einer von ihnen. Mit jedem Regierungswechsel veränderte sich alles. Einfach so. Ein Leben voller Arbeit, Mühe und Stabilität musste aufgegeben werden.

An einem kalten Wintertag, ähnlich wie in diesen Tagen, wurden er und seine Familie in einen überfüllten Bus gesetzt – zusammen mit Männern, Frauen und kleinen Kindern – und zurückgebracht in ein Land, das er seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als er ankam, erkannte er niemanden. Die Orte waren ihm fremd. Auch er war ein Fremder geworden – genau wie die meisten anderen in diesem Bus. Es war keine Entscheidung, die einer von ihnen getroffen hatte, und vielleicht hatten sie bis vor Kurzem nicht einmal daran gedacht, aus dem Land vertrieben zu werden, das sie einst ihr Zuhause nannten.

Meine Gedanken schweifen immer wieder ab. In letzter Zeit fühle ich mich zunehmend taub, als würde mein Körper sich weigern, sich zu bewegen. Meine Vorfreude auf die Zukunft ist Angst gewichen, und die Erinnerungen an die Vergangenheit lassen mich nicht los. Ich versuche, im Hier und Jetzt zu bleiben, doch die Flut der Gedanken reißt mich immer wieder fort. Im Moment zu leben, ist unmöglich geworden, wenn die Zeit sich nicht mehr wie ein gerader Pfad anfühlt, sondern wie ein endloser Kreis. Egal, wie weit ich mich bewege, ich finde mich immer wieder an dem Punkt wieder, von dem ich einst zu fliehen versuchte.

Ich lebe seit über zehn Jahren in Deutschland. Selbst diesen Satz auszusprechen, fühlt sich surreal an. Doch anstatt ohne Angst leben zu können, fühle ich mich – genau wie mein Vater – von den Nachrichten verschlungen. Ich frage mich, wo meine Kinder und ich in diesem endlosen Machtkampf stehen werden, gefangen in den Entscheidungen jener, die unser Schicksal formen.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.