Diese Tage fühlen sich an, als würde die Welt für uns immer kleiner und enger werden. Ich bin Afghane. Wie der Mann, der in München mit dem Auto in eine Menschenmenge gerast ist. Eine Mutter und ihr Kind sterben, ich bin schuld. Wenn die Mieten steigen, ich bin schuld. Auch für alles andere, was nicht gut läuft in Deutschland, werden wir Migranten verantwortlich gemacht. Und wir warten darauf zu sehen, wer an die Macht kommt und welche Entscheidungen für uns getroffen werden – egal, ob wir hier leben oder auf einem anderen Kontinent, in Ländern wie Pakistan oder Iran.
Jalal Hussaini
Mein Vater lebte über 20 Jahre in Iran. Als Jugendlicher floh er aufgrund der Kriege in Afghanistan dorthin und blieb bis weit ins Erwachsenenalter. Dort heiratete er. Ich wurde geboren, mein Bruder wurde geboren. Doch er kämpfte stets mit Schwierigkeiten. Er erlebte, wie mehrere Regierungen kamen und gingen. In jeder Wahlperiode saß er gebannt vor dem Fernseher, verfolgte jede politische Diskussion mit unerschütterlicher Aufmerksamkeit. Und es war nicht nur mein Vater – die meisten unserer Verwandten und Bekannten taten dasselbe. Sie warteten darauf zu sehen, was die nächste Regierung für sie entscheiden würde. Ein Regime versprach ihnen ein besseres Leben im Austausch für den Kampf, ein anderes betrachtete sie als Last für das Land und trieb sie auf die Straße.
Wie wir alle sprach mein Vater ihre Sprache. Seine Hautfarbe, seine Gesichtszüge, sein Aussehen waren von den ihren nicht zu unterscheiden. Und doch war er nie wirklich einer von ihnen. Mit jedem Regierungswechsel veränderte sich alles. Einfach so. Ein Leben voller Arbeit, Mühe und Stabilität musste aufgegeben werden.
An einem kalten Wintertag, ähnlich wie in diesen Tagen, wurden er und seine Familie in einen überfüllten Bus gesetzt – zusammen mit Männern, Frauen und kleinen Kindern – und zurückgebracht in ein Land, das er seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als er ankam, erkannte er niemanden. Die Orte waren ihm fremd. Auch er war ein Fremder geworden – genau wie die meisten anderen in diesem Bus. Es war keine Entscheidung, die einer von ihnen getroffen hatte, und vielleicht hatten sie bis vor Kurzem nicht einmal daran gedacht, aus dem Land vertrieben zu werden, das sie einst ihr Zuhause nannten.
Meine Gedanken schweifen immer wieder ab. In letzter Zeit fühle ich mich zunehmend taub, als würde mein Körper sich weigern, sich zu bewegen. Meine Vorfreude auf die Zukunft ist Angst gewichen, und die Erinnerungen an die Vergangenheit lassen mich nicht los. Ich versuche, im Hier und Jetzt zu bleiben, doch die Flut der Gedanken reißt mich immer wieder fort. Im Moment zu leben, ist unmöglich geworden, wenn die Zeit sich nicht mehr wie ein gerader Pfad anfühlt, sondern wie ein endloser Kreis. Egal, wie weit ich mich bewege, ich finde mich immer wieder an dem Punkt wieder, von dem ich einst zu fliehen versuchte.
Ich lebe seit über zehn Jahren in Deutschland. Selbst diesen Satz auszusprechen, fühlt sich surreal an. Doch anstatt ohne Angst leben zu können, fühle ich mich – genau wie mein Vater – von den Nachrichten verschlungen. Ich frage mich, wo meine Kinder und ich in diesem endlosen Machtkampf stehen werden, gefangen in den Entscheidungen jener, die unser Schicksal formen.