Doris S. und Pferd
Doris S. hat bei ihrer Arbeit mit Pferden viel über Menschenführung gelernt
Katjana Frisch
Berufswechsel
Vom Pferdeflüstern zur Krankenpflege
Als Pferdeflüsterin hat sie viel über Menschenführung gelernt. Denn die Pferde können ja schon alles. Die Arbeit machte ihr Freude, aber sie konnte sich und ihre Leistung nicht gut genug verkaufen
Karina ScholzPrivat
17.02.2025
3Min

Doris S. (Jahrgang 1973):

Mit meinem Berufsweg habe ich überall schnell ein Gesprächsthema. Wenn ich erzähle, dass ich früher Pferdetrainerin war und jetzt Krankenschwester bin, fragen die Leute ­immer, warum. Ich sage dann, ich habe mich lang ausprobiert. Immer ein bisschen gegen den Strom. Kunst interessierte mich, Soziales, aber vor allem war ich von Pferden fasziniert. Sie sind groß, stark, schnell und gleichzeitig Fluchttiere, von Natur aus feinfühlig, sanftmütig und ängstlich. Man kann als Mensch mit ihnen kommunizieren, sie sind gelehrig und lassen sich am kleinen Finger führen, wenn man es gut macht. Während des Studiums der Kulturpädagogik lebte ich in der Nähe eines Gestüts und lernte dort die Philosophie des Natural Horsemanship nach Parelli kennen. Fans von Robert Redford kennen sie aus dem Hollywoodfilm ­"Der Pferdeflüsterer" von 1998.

Es geht darum, eine gute Beziehung zum Pferd aufzubauen, indem wir Menschen die Pferdesprache lernen. Denn das Pferd kann schon alles. Ende der 90er Jahre war ich mehrmals zur Ausbildung in den USA und fest entschlossen, als Pferdetrainerin meinen Traum zu ­leben.

Zehn Jahre lang habe ich es versucht, erst angestellt, dann freiberuflich. Am Ende war es zu viel Arbeit für zu ­wenig Geld. Ich wurde unzufrieden. Ich war nicht gut als ­Mana­gerin meiner selbst, keine gute Verkäuferin. Das war schwer für mich zu akzeptieren. Das Gefühl, gescheitert zu sein, empfinde ich manchmal noch heute.

Mit Anfang 40 besann ich mich auf mein soziales ­Interesse und fing die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an. Ich bin stolz auf meinen Beruf. Krankenschwester zu sein, ist anspruchsvoll. Man muss körper­lich fit sein, viel wissen, eine professionelle Em­pathie mitbringen. Ich arbeite auf der Station für ­Schwangere und Mütter, die frisch entbunden wurden. Nachts bin ich für bis zu 13 Frauen und sieben Säuglinge zuständig, je nachdem, wie viele Geburten es gerade gibt.

Damit ich für die Arbeit belastbar bin, achte ich gut auf mich. Ich arbeite bewusst nur 30 Wochenstunden. Zum Frühdienst um sechs Uhr gehe ich nie mit leerem Magen. Nach einer Nachtschicht versuche ich, acht Stunden zu schlafen, im abgedunkelten Zimmer.

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Als Pferdeflüsterin habe ich viel über Menschen­führung gelernt, das hilft mir auch in der Pflege. Wenn ich zu neuen Patientinnen ins Zimmer komme, muss ich Vertrauen aufbauen, ähnlich wie bei einem jungen Pferd. Ich dringe ja in ihre Privatsphäre ein. Also versuche ich, achtsam zu sein und dennoch selbstsicher aufzutreten. Meine Patientinnen haben häufig, genau wie die Pferde, Angst und brauchen Führung. Wenn ich spüre, dass bei meinem Gegenüber eine Grenze erreicht ist, gehe ich einen Schritt zurück, um äußerlich und innerlich den Abstand zu vergrößern. Und taste mich danach wieder heran.

Was Pflegekräfte wissen und leisten, wird oft unterschätzt. Zum Beispiel ist eine vermeintlich banale Tätigkeit wie das Waschen anspruchsvoll. Wir können aktivierend-­kräftig waschen oder beruhigend-streichelnd. Mit mobi­lisierenden Übungen kann man die Körperpflege je nach Situation so anpassen, dass sie die Heilung unterstützt. Ich möchte dazu beitragen, dass das Krankenhaus viel öfter als ein Ort gesehen wird, an dem man Hilfe bekommt, dass es nicht nur Schreckensszenarien gibt.

Die Freude an der Pflege möchte ich in meiner neuen Rolle als Praxisanleiterin weitergeben. Ich bin jetzt für die Pflegeschülerinnen und -schüler, die Praktikantinnen und Praktikanten und neue Mitarbeitende zuständig. Mit meinen Schülern will ich durchsprechen, wie wir uns verhalten, wenn zum Beispiel eine Schwangere raucht oder eine Mutter nicht stillen möchte. Einerseits müssen wir den Frauen beratend zur Seite stehen, andererseits ihre Entscheidungen als mündige Erwachsene respektieren.

In der Selbstständigkeit war ich zwar frei, aber oft auch einsam. Dieses Gefühl habe ich jetzt nicht mehr. Ein eige­nes Pferd habe ich immer noch. Manchmal ist da wieder dieser Leistungsdruck, den ich mir jahrelang selbst gemacht habe. Dass ich mir und anderen beweisen muss, wie gut ich mit Pferden umgehen kann. Ich arbeite daran, die Zeit mit dem Tier einfach genießen zu können.

Protokoll: Karina Scholz

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