Wellington, Neuseeland, 1991
Der 3. Mai verändert Andrew Francks Leben. Eine Freundin seiner Mutter hat Geburtstag – eine Opernsängerin. Franck singt Happy Birthday für sie. Ihr fällt seine Stimme auf. Er solle unbedingt in der Musikhochschule vorsingen, rät sie ihm. Franck ist 19, von der Schule geflogen, jobbt als Gabelstaplerfahrer, in seiner Freizeit hört er die Rockband Led Zeppelin. "Als Kind habe ich Klarinette, Klavier und Dudelsack gelernt", sagt er. Operngesang interessierte ihn zu dem Zeitpunkt wenig. "Doch", sagt Franck, "was hatte ich schon zu verlieren?" Sechs Monate später singt er vor, ergattert einen Studienplatz, studiert fünf Jahre lang Gesang. Er will zum Masterstudium in die USA, gibt Benefizkonzerte, um die Studiengebühren aufzubringen. Doch sie werfen nicht genug ab.
Als eine Zeitung in Wellington über ihn berichtet, überweist ein Leser 60 000 neuseeländische Dollar für ihn. "Der Mann rief mich kurz vor meiner USA-Reise an", sagt Franck. Er wollte anonym bleiben. "Wenn dir der Durchbruch gelingt", sagte er, "zahlst du mir das Geld zurück." "Das war der Deal. Er hat mir seine ganzen Lebensersparnisse gegeben." Franck spürt den Druck. "Seinetwegen habe ich damals mit dem Singen überhaupt weitergemacht."
Lübeck, St. Petri, 2024
Franck, grüne Daunenjacke, Wollstirnband, läuft zwischen Dutzenden weiß gekalkter Säulen umher, es ist kalt. Von der Decke hängen große weiße Segel, durch die hohen Fensterwände fließt Sonnenlicht herein, die Kirche wirkt wie ein Bühnenbild. "Bei einem Luftangriff 1942 brannte St. Petri völlig aus", sagt Franck. Nach dem Krieg habe man das Innere weiß gekalkt und leer gelassen – als Zeichen für einen Neuanfang. Auch für ihn bedeutet dieser Ort einen Neubeginn.
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