Jimin Oh-Havenith, Jahrgang 1960:
Ich hatte lange keine Erinnerung an meine Kindheit in Korea. Meine Eltern waren beide traumatisiert von dem grausamen Bürgerkrieg, er hatte sie zu Waisen gemacht. Meine Mutter züchtigte mich, für nichts. Ich spielte Klavier, um zu überleben. Gott sei Dank musste ich von Natur aus nicht viel üben. In Deutschland hätte ich wohl als Wunderkind gegolten. Ich habe viel unterdrückt in mir. Das äußerte sich in Krankheiten wie Neurodermitis, jahrzehntelang hatte ich das, die ganze Haut war auf, ich konnte nicht schlafen.
Als ich mit 18 Klavier studierte, gab ein toller deutscher Pianist am Goethe-Institut in Seoul Kurse. Er sah mich spielen und sagte sich: Das ist meine Frau. Er war verliebt in mein Spiel. Er war 13 Jahre älter. Schon als ich klein war, hatten mir alle immer gesagt: Jimin, so wie du bist, kriegst du keinen Mann, du denkst zu viel, das mögen Männer nicht. Da kam mir der Pianist irgendwie richtig vor.
Oh, dachte ich, in ein paar Jahren mache ich Weltkarriere
1980 zog ich nach Deutschland. Die Hochschule Köln nahm mich nach drei Minuten Vorspiel auf. Oh, dachte ich, mein Leben wird gut, in ein paar Jahren mache ich Weltkarriere. Nee! Als ich 21 war, kam meine Tochter zur Welt. Ich studierte noch, musste aber auch Geld verdienen, denn mein Mann bekam auf einmal weniger Konzerte. Damit er in Ruhe üben konnte, kümmerte ich mich um alles. Ich tat, was meine Mutter mir eingedrillt hatte: Schnauze halten, lieb sein, die eigene Not verstecken. Dass ich depressiv war, wusste ich damals nicht. Mein Mann starb 1993 an Krebs, mit 45. Ich war 32, unsere Tochter zehn. Wir hatten Schulden bis sonst wohin.
Hörbeispiel: Jimin Oh-Havenith - "Appassionata" - (Beethovens Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57).
Ich gab Musikstudenten Unterricht. Mein jetziger Mann war einer von ihnen. Mit 37 wurde ich wieder schwanger. Wo ich eigentlich dachte, jetzt ist Klavier dran! Aber ich wollte das Kind, ich musste das hinkriegen. Oft fragte ich mich: Wenn ich auf dem Sterbebett liege, was möchte ich? Die Antwort war immer gleich: Ich möchte, dass meine Kinder sagen, meine Mutter war ganz okay. Wenn sie das nicht sagen, habe ich falsch gelebt. Es muss doch einen Weg geben, dass man gesund und sozial integriert ist und gleichzeitig sein Ding macht, auch Kunst! Dann beschloss mein Mann, noch mal zu studieren: Medizin. Wieder trug ich die Verantwortung für die Familie fast allein.
Erst mit 49 fing ich wieder an zu spielen
Erst mit 49, als mein Sohn groß genug war, fing ich wieder an zu spielen. Ich merkte: Wenn ich das nicht mache, werde ich nie zu meinem inneren Frieden kommen. Es ging mir nicht darum, "was zu erreichen". In meinem Alter, niemand kennt mich – da bin ich nicht vermarktbar.
Ich spielte eine Stunde und war fix und fertig. Die Kondition war nicht mehr da, schon gar nicht für ein ganzes Konzert. Man braucht sehr viel Kraft – körperlich, seelisch, geistig. Nur meine Finger waren so schnell wie immer. Aber ich hatte kein großes Solorepertoire, da ich als junge Frau vorwiegend als Klavierduo mit meinem Mann aufgetreten war. Sich die großen Stücke zu erarbeiten, braucht viel Zeit. Ich fühlte, dass es zehn Jahre dauern wird, bis ich so weit bin. Und immer diese Stimme: zu alt, zu spät!
Immer diese Stimme: zu alt, zu spät!
Ich habe der Stimme nicht nachgegeben. Ich ging Schritt für Schritt, wie ein Kleinkind. Dann lud ich Freunde ein zu Hauskonzerten. Natürlich wäre ich fast gestorben, ich hatte ja keinerlei Selbstvertrauen mehr. Aber es ging gut. Und ich kümmerte mich um meine Psyche – was als Kind geschehen war. Es war harte Arbeit, diesen Knoten zu entwirren.
Als ich schon vier Jahre übte, lud ich auch mal meinen Steuerberater zu einem Konzert ein, ein großer Musikfreund. Hinterher sagte er: Wie wär’s mit einer CD? Er wollte meine CD finanzieren. Die meisten Pianisten müssen heute für ihre CDs zahlen – und ich hatte einen Sponsor! Mittlerweile habe ich fünf CDs aufgenommen.
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Jetzt bin ich so weit, zehn Jahre später. Ich plane nicht, aber ich bin bereit und arbeite. Wenn eine Hotelbesitzerin sagt, schreib mal an unsere Kurverwaltung, die veranstalten ein Festival, das mache ich. Aber wenn eine große Agentur aus den USA mich dort gegen Vorausbezahlung vermarkten will, das nicht.
Heute ist meinem Mann klar, was ich für die Familie getan habe und was das für mich bedeutet hat. Er liebt meine Musik, er unterstützt mich, er ist für mich da. Ich war immer irgendwo. Jetzt bin ich bei mir zu Hause.
Protokoll: Christine Holch
Hörbeispiel: "Appassionata" - der 1. Satz aus Beethovens Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll op. 57, gespielt von Jimin Oh-Havenith.
Aus der CD: "Ludwig van Beethoven Piano Sonatas Nos. 23, 30 & 32", audite, 2020. Erhältlich ab 31.3.2020.
Ich gestehe: solche Texte
Ich gestehe: solche Texte machen mich NEIDISCH.
VORAUSGESETZT NATÜRLICH, DASS ICH NICHT ZU DEN MENSCHEN GEHÖRE, DIE FÄHIG WAREN, IHRE TALENTE RECHTZEITIG ZU ERKENNEN, ZU FÖRDERN , ZU BILDEN , ZU LEBEN.
ES IST REINE ZUMUTUNG, DASS MICH NUN DIE REDAKTION , DIE FÜR MEINEN GLAUBEN MIT VERANTWORTLICH ZEICHNET, MIT THEMEN KONFRONTIERT, DIE MICH ZUM VERLIERER ABSTEMPELT.
ANDERERSEITS, TALENT HIN ODER HER, DAS LEBEN IST ENDLICH.
" Oh, dachte ich, in ein paar Jahren mache ich Weltkarriere"
Bitte, was hat das mit dem christlichen Glauben zu tun ? ??
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