Lösungsorientierter Journalismus
"Ich will wissen, was gut läuft"
Gute Nachrichten haben es schwer in der Medienwelt. Jonathan Widder und sein Team sammeln sie – wie Eichhörnchen die Nüsse. Deshalb heißt ihre Nachrichten-App auch «Squirrel News». Die App versorgt einen dreimal pro Woche mit lösungsorientiertem Journalismus, und das kostenfrei
Der Satz 'Good things never happen' steht auf rosa Hintergrund geschrieben. Das Wort 'never' ist druchgestrichen
Knallgrün/photocase
Aktualisiert am 02.08.2024
4Min

chrismon: Ich habe mehrere News-Apps auf meinem Handy. Warum bräuchte ich auch noch "Squirrel News"?

Jonathan Widder: Wir richten den Blick auf Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme und berichten über die wichtigsten Fortschritte. Diesen fokussierten Blick gibts nur bei uns.

privat

Jonathan Widder

Jonathan Widder (*1982) hat "Squirrel News" gegründet und ist Vorstand des Vereins Constructive News e. V. Er ist Chefredakteur und Leiter des Projekts, in das er seine Arbeitszeit investiert. Der Vater von zwei Kindern hat zuvor als freier Journalist gearbeitet, zum Beispiel für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" und "Spiegel Online", und hat Medien-Start-ups wie "Good Impact" mit aufgebaut.

"Squirrel News" bringt nicht einfach "gute Nachrichten" - sondern?

Wenn Nachrichten gutes Wetter in Aussicht stellen, ist das für viele gut. Falls dieses Jahr einmal nicht Bayern München, sondern zum Beispiel Leverkusen Deutscher Meister wird, werden das viele positiv finden. Beides ist kein Fall für "Squirrel". Wenn dagegen Österreich mehr als 1000 Obdachlosen eine Wohnung zur Verfügung stellt, ist das für uns eine "gute Nachricht" - weil sie lösungsorientiert ist: Ein neuartiger Ansatz, "Housing First", hat das Zeug, ein gesellschaftliches Problem nachhaltig zu lösen.

Wie entscheiden Sie, welche Nachrichten zuerst kommen – und welche vielleicht gar nicht?

Einerseits nach den klassischen Nachrichtenwerten: Neuheit, Originalität, Reichweite. Bei uns muss im Beitrag außerdem die Lösung eines Problems im Vordergrund stehen. Dann sollen aber auch die Grenzen des Ansatzes und die Probleme damit zur Sprache kommen. Es muss also kritisch berichtet werden. Uns geht es nicht darum, so zu tun, als wäre "alles toll".

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Wie viele Beiträge dieser Art gibt es pro Tag in den gängigen Medien?

Wir bringen alle zwei Tage eine Ausgabe – und auf Deutsch sowie auf Englisch je zehn Beiträge. Die Auswahl ist erstaunlich überschaubar. Da wir die Selektion händisch machen, können wir allerdings auch nicht sämtliche Medien absuchen. Wir haben die großen und mittleren im Blick.

Warum gibt es keine Werbung auf Ihrer App?

Wir wollen keinen kommerziell getriebenen Journalismus machen, der auf Reichweite geht und mit Werbung vermarktet wird. Wir sind ein "Social Business", es geht uns also nicht einfach nur darum, Geld zu verdienen. Wir wollen zum gesellschaftlichen Wandel beitragen. Die herkömmliche Berichterstattung stellt dazu Politiker in den Fokus. Und wenn die nichts bringen, dann herrscht Frust. Ich meine, es gibt zu wenig Bewusstsein, dass ein großer Teil des Wandels aus der Zivilgesellschaft kommt.

Wie finanziert sich "Squirrel News"?

Größtenteils über Spenden: kleinere und regelmäßige; und über Kooperationen.

Können Sie auf diesem Weg Angestellte finanzieren?

Seit letzter Woche haben wir unsere erste Anstellung: Das bin ich. Ein Meilenstein! Zwei Kolleginnen in der englischen Ausgabe können wir außerdem eine kleine Bezahlung zukommen lassen. Das Ziel ist, das Spendenvolumen zu erhöhen, um dauerhaft einzelne Personen anstellen zu können.

Wie viel Arbeitszeit steckt in "Squirrel News"?

Ich stecke meine ganze verfügbare Zeit in das Projekt. Wir haben es nicht auf Punkt und Komma ausgerechnet. Insgesamt haben wir drei oder vier volle Stellen, verteilt auf zehn bis zwanzig Leute, die im Team mitarbeiten. Mindestens 80 Prozent der Arbeitsleistung wird ehrenamtlich erbracht. Das ist auch nicht für alle ein Problem, da einige nebenbei einen gut bezahlten Job haben.

Was treibt Sie an?

Seit meiner Jugend will ich nicht nur wissen, was schiefläuft, sondern auch, was gut läuft und wo es Fortschritte gibt. Bei "Squirrel News" recherchiere ich federführend zu genau diesen Themen, das ist einfach sehr spannend. Gleichzeitig merke ich bei den Leserinnen und Lesern, dass wir sehr gebraucht werden. "Endlich" – dieses Wort taucht ständig auf: Endlich mal konstruktive Nachrichten! Es ist sinnvoll, macht Spaß und fühlt sich gut an.

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Können Sie auf sämtliche Zeitungen zugreifen und verlinken, die ein Onlineportal betreiben?

Wir können auf alle Medien zugreifen, die eine Website haben. Wir verlinken allerdings nur auf jene Beiträge, die nicht hinter einer Paywall sind, die also kostenfrei für alle zugänglich sind. Vielleicht gehen wir zukünftig einmal in Verhandlungen, so dass wir auch Zugriff auf Texte hinter einer Paywall anbieten können.

Machen Sie einen Faktencheck – oder verlassen Sie sich auf die Recherchen jener Medien, auf die Sie verlinken?

Wir verlassen uns auf die Recherchen der Medien, sonst wäre es zu aufwendig. Es handelt sich allerdings um seriöse Quellen, die wir gut kennen. Wenn wir etwas dubios finden, nehmen wir es nicht mit auf. Und wenn die Qualität eines Beitrags zu niedrig ist, suchen wir nach einer anderen Quelle für den entsprechenden Inhalt.

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Was meinen Sie: Passieren auf der Welt mehr "good news" oder mehr "bad news"?

Es passieren definitiv mehr gute Dinge – oder sagen wir: mehr normale Dinge. Die Frage ist: Was wird zur Nachricht? Wenn in einem Land 30 Jahre lang kein Krieg herrscht und dann herrscht ein Jahr lang Krieg – dann überwiegt das Gute, in den Nachrichten allerdings ist der Krieg das Interessante. Und selbst mitten in einem Krieg kann das Gute überwiegen, wenn etwa im Großteil des Landes noch oder schon wieder Frieden herrscht. Ich bin überzeugt, es gibt viel mehr Gutes, als wir das Gefühl haben. Viele Menschen haben den Eindruck, alles wird immer schlechter – dabei wird vieles besser.

Zum Beispiel?

Die Gewalttaten in den USA. Dort gab eine Mehrheit der Befragten kürzlich an, die Kriminalität sei im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Statistiken zufolge sind die Gewalttaten jedoch deutlich zurückgegangen.

Eine erste Version des Textes erschien am 21. Februar 2024.

Infobox

"Squirrel News"
Immer montags, mittwochs und freitags liefert die Nachrichten-App je zehn Beiträge auf Deutsch und auf Englisch. Die Beiträge verlinken auf Webseiten von Nachrichtenportalen. Es handelt sich ausschließlich um Nachrichten, die einen konstruktiven, lösungsorientierten Inhalt haben. Das Angebot ist kostenlos.

Hinter "Squirrel News" steckt ein internationales Team, das die Arbeit seit dem Start im Jahr 2020 zum größten Teil ehrenamtlich leistet. Getragen wird das Projekt vom gemeinnützigen Verein Constructive News e. V., der Spenden sammelt und diese vollumfänglich in das Projekt investiert.

Das Symbol der News-App ist ein Eichhörnchen, das auf Englisch "Squirrel" heißt: So wie Eichhörnchen Nüsse sammeln, möchten die Menschen hinter "Squirrel News" lösungsorientierte Nachrichten sammeln – "organisch, per Hand und möglichst nachhaltig", heißt es auf der Website.

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