Korbinian Aigner, Der aufsässige Apfelbauer
Er ließ selbst im KZ nicht von seiner Leidenschaft fürs Apfelzüchten: der Pfarrer Korbinian Aigner
Marco Wagner
NS-Widerstand
Der aufsässige Apfelpfarrer
Korbinian Aigner zeichnete hundert Apfel- und Birnensorten, widersetzte sich den Nazis und landete im KZ Dachau. Dort begann er Äpfel zu züchten
Tim Wegener
Aktualisiert am 26.09.2024
3Min

Der Anblick seiner Bäume muss in Korbinian Aigner ein Gefühl des Triumphs geweckt haben. Dem katholischen Pfarrer war es gelungen, während seiner Gefangenschaft im KZ Dachau zwischen zwei Baracken vier neue Apfelsorten zu züchten. Heimlich hatte er über die Jahre seiner Gefangenschaft Stecklinge hochgezogen – Gemeindemitglieder hatten ihm Kerne ins Lager geschmuggelt. Vielleicht half ihm ­dieser stille Protest, die Entbehrungen der Haft zu überleben. Nach dem Willen der Nationalsozialisten hätte Aigner im Kräutergarten des KZs eigentlich Gemüse für das deutsche Volk an­bauen sollen. Doch er hatte schon ­immer seinen eigenen Kopf.

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Als ältestes von elf Kindern sollte der 1885 in Hohenpolding geborene Aigner den elterlichen Hof übernehmen. Doch er wollte lieber Pfarrer werden. Nach seiner Priesterweihe im Jahr 1911 dauerte es allerdings 20 Jahre, bis er seine erste Pfarrstelle in Sittenbach antreten durfte. Vielleicht, weil er seine Erfüllung nicht nur in der Theologie suchte, sondern auch in der Apfelzucht. Sein Interesse zeigt sich in seinen Apfelbildern: Rund 650 postkartengroße Aquarelle von Äpfeln und fast 300 Bilder von Birnen malte Aigner während seines Lebens, so entstand eines der größten pomologischen Bildarchive überhaupt.

Das Münchener Ordinariat urteilte: "Mehr Pomologe als Theologe"

"Mehr Pomologe als Theologe", urteilte auch das erzbischöfliche ­Ordinariat von München-Freising über diese ungewöhnliche Leidenschaft für den Obstbau. Mit dem Zölibat tat sich Aigner schwer. "Schielt zu sehr nach dem Weiblichen", ist in einem Vermerk zu lesen. "Sittliches Betragen nicht ­tadelsfrei", beschwerte sich ein Kollege beim Erzbischof. Aigner kann nicht sonderlich erstaunt gewesen sein, als ihn die Nazis am 22. November 1939 abholten und ins Gefängnis des Freisinger Amtsgerichts brachten. Einige Tage zuvor hatte er im Religionsunterricht Georg Elsers gescheitertes Attentat auf Adolf Hitler so kommentiert: "Ich weiß nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden."

Es war nicht das erste Mal, dass sich der Pfarrer mit dem NS-Regime anlegte: 1936 weigerte er sich, zum "Friedensappell des Führers" die Glocken zu läuten. Beim Neujahrsgottesdienst im selben Jahr wollte er keine Hakenkreuzfahnen segnen. Der SA unterstellte er, "dass keine Gescheiten dabei sind". Er wolle im Dritten Reich "kein stummer Hund" bleiben, sagte er einmal. Einige Zeit kam er glimpflich davon.

Strafversetzungen und Geldbußen wirkten nicht. Eine Aushilfslehrerin und der Kreisbauernführer denunzierten ihn bei der NSDAP. Aigner nannte als Grund für seine Verhaftung, "weil vermutet wurde, dass ich in Zukunft wieder meckern würde". Die Nazis brachten ihn erst ins KZ Sachsenhausen und 1941 nach Dachau. Über den dem Kräutergarten angegliederten Laden ließ er sich unter dem Vorwand der Sortenbestimmung Äpfel ins Lager schmuggeln, zog aus den Kernen heimlich Pflanzen. Schließlich hatte er vier neue Sorten gezüchtet, die er lakonisch KZ-1 bis 4 taufte. Die genauen Umstände der Züchtung sind nicht überliefert. Fest steht, dass er über 100 Sämlinge aus dem Lager heraus schleusen konnte.

Gegen Kriegsende schickte die SS die KZ-Insassen auf einen Todesmarsch nach Südtirol. Aigner gelang am 28. April 1945 die Flucht. Im ­Klos­ter Aufkirchen versteckte er sich, danach kehrte er in seine letzte Pfarrei nach Hohenbercha zurück, nahm den Pfarrdienst wieder auf und wurde Vorsitzender des Bayerischen Landesverbandes für Obst- und Gartenbau. 1966 starb er an einer Lungenentzündung. Beerdigt wurde er im Mantel seiner KZ-Häftlingskleidung, den er noch Jahre getragen hatte. Die Sorte KZ-3 wird noch heute angebaut, seit 1985 unter dem Namen "Korbiniansapfel".

Eine erste Version dieses Textes erschien am 26. September 2018.

Infobox

Im Buch "Äpfel und Birnen" (Verlag Matthes & Seitz Berlin), herausgegeben von Judith Schalansky, sind Aigners Zeichnungen abgebildet.

Die Biographie "Korbinian Aigner. Ein bayerischer Pfarrer zwischen Kirche, Obstgarten und Konzentrationslager" von Peter J. Brenner befasst sich ausführlich mit Aigners Leben und Leidenschaft.

Sein Bildarchiv erbte die TU-München, wo die Bilder im Historischen Archiv lagern. 2012 wurden sie auf der Documenta in Kassel ausgestellt.