Filmtipp der Woche
Zwischen Breschnew und Kissinger
Arthur Francks Dokumentarfilm „Der Helsinki Effekt“ setzt sich auf unterhaltsame und instruktive Weise mit den Sicherheitskonferenzen der europäischen Staaten während des Ost-West-Konflikts auseinander
Jetzt im Kino: "Der Helsinki Effekt"
Yalta im Sommer 1982: Leonid Breschnew telefoniert in einer Datscha.
PR/Summer, 1982. Yalta, Crimea Region, Ukrainian SSR, USSR. General Secretary of the CPSU Central Committee, Chairman of the Presidium of the USSR Supreme Soviet Leonid Brezhnev talks on the phone at the Glitsiniya (Wisteria) state dacha in the village of Nizhnyaya Oreanda. The exact date of the photograph is unknown. Vladimir Musaelyan/TASS 1982
12.06.2025
2Min

Genau 672 Verhandlungstage dauerte das, was als "Helsinki-Prozess" am 3. Juli 1973 in der finnischen Hauptstadt begann und dort am 1. August 1975 mit der Unterzeichnung der "Schlussakte von Helsinki" zum Abschluss kam. Ziel der Verhandlungen war es, einen Rahmen für die "Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" zu verabschieden. Auf Betreiben der westlichen Staaten fand auch ein Passus zur Achtung der Grund- und Menschenrechte Eingang in das Dokument.

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"Dieser Mann ist gerade im Begriff, einen großen Fehler zu machen", sagt eine Stimme aus dem Off, als Leonid Breschnew unterzeichnet. Denn das Dokument, das von der Sowjetunion hauptsächlich als Festschreibung ihrer Einflusssphäre in Osteuropa gedacht war, erwies sich wenige Jahre später als Bumerang, als mit der polnischen Solidarność-Gewerkschaft, der tschechoslowakischen Charta 77 sowie anderen Initiativen im Ostblock Gruppen entstanden, die sich ausdrücklich auf den Menschenrechtsteil der Schlussakte beriefen. Der "Helsinki-Effekt" war eine Art List der Vernunft, die letztlich die Auflösung des Ostblocks und den Zusammenbruch des Sowjetimperiums mit einläutete.

Diese Dynamik ist das Thema von Arthur Francks ungewöhnlicher und auf erfrischende Weise radikal subjektiver Dokumentation "Der Helsinki Effekt". Franck bedient sich dabei inzwischen öffentlich zugänglichen Protokollen von Gesprächen zwischen dem US-Außenminister Henry Kissinger, dem sowjetischen Außenminister Andrei Gromyko und Leonid Breschnew. Mittels Voice-AI lässt er deren Stimmen lebendig werden.

Schmidt und Honecker, Kissinger und Breschnew

Der Film macht erst gar nicht den Versuch, das zähe Konferenzgeschehen historisch exakt zu rekonstruieren. Vielmehr montiert er den "faszinierenden und bizarren Austausch" der "politischen ­Superstars" anhand historischer Aufnahmen zu einem munteren Panoptikum, bei dem immer wieder mal im Schnelldurchlauf vor- und zurückgespult wird. So sieht man Helmut Schmidt und Erich Honecker bei der Unterzeichnung einträchtig nebeneinandersitzen. Andere Teilnehmer werden von Müdigkeit übermannt, wenn besonders redselige Staatschefs am Mikrofon stehen. Unübertroffen der Rumäne Nicolae Ceaușescu, der auf der Konferenz die Redezeit, auf die man sich geeinigt hatte, um mehr als die Hälfte überschritt.

Francks Kommentare, die die Bilderflut zusammenhalten, sind mit leichter Ironie vorgetragen, bisweilen tritt der Sprecher in einen Dialog mit seinen Protagonisten, etwa mit Kissinger, den er auf seine anfängliche Fehleinschätzung der Konferenz ("die Materie langweilt mich zu Tode") aufmerksam macht, die dieser später in seinen Memoiren aber korrigiert ("bedeutende diplomatische Leistung des Westens").

Francks schwungvolles politisches Lehrstück – ein Muss für den Schulunterricht – mag am Ende leicht pädagogisch klingen. Sein Fazit darf aber angesichts des Zynismus und des Irrsinns, die derzeit die politische Agenda beherrschen, einmal ausgesprochen werden: die langen Verhandlungsrunden, die Berge von Papier, die ausufernden Reden – "all das ist immer besser als die Alternative".

© Rise And Shine Cinema

Finnland/Deutschland/Norwegen 2025. Regie und Buch: Arthur Franck. Länge: 89 Min. FSK: ab 6. FBW: ohne Angabe.

Infobox

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