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Warum musste Maritza sterben?
Ein Mord in Kolumbien, Karten über rechte Gewalt, das Leben Albert Schweitzers und die ersten Pfarrerinnen - neue Bücher auf den Schreibtischen der chrismon-Redaktion
Tim Wegner
Tim Wegner
Tim Wegner
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
07.01.2025
4Min

Lieber nichts

John von Düffel ist ein begnadeter Schreiber und erfolgreicher Theaterdramaturg, derzeit am Deutschen Theater. Seit einiger Zeit befasst er sich mit philo­sophischen Fragen. Schon in ­seinem letzten Werk, dem "Stundenbuch", ging es um Askese und Rückzug, um Haben und Sein.

Für sein neues Buch traf er in Edinburgh eine alte Studienfreundin wieder, mit der er beim Spa­zierengehen die Fragen erörtert: Was ist wichtig? Wie viel brauche ich? Und warum ist es dennoch so schwer, danach zu leben?

John von Düffel: Ich möchte ­lieber nichts. ­Eine Geschichte vom Konsum­verzicht. DuMont. 208 Seiten, 24 Euro.

Geht doch

Es ist ein zentraler Satz in diesem Buch: "Das Potenzial für positive Veränderungen ist groß, genutzt wird davon noch viel zu wenig." Autorin Petra Pinzler ist Hauptstadtkorrespondentin der "Zeit", kennt Politik, Wirtschaft und die Menschen dahinter und weiß: ­ Wo sie zusammenwirken, geht es voran.

Und sie nennt Beispiele. Die staatliche "Sprind"-Agentur für Start-ups in Leipzig und ­Wuppertal, die Stadt der Kreislaufwirtschaft. Sie selbst sagt von sich, sie sei eine "Possibi­listin". Ein schönes Wort.

Petra Pinzler: Hat das Zukunft oder kann das weg? Der Fortschrittskompass. Campus. 262 Seiten, 29 Euro.

Auf den ersten Blick

100 Visualisierungen über die Gefahr, die uns allen von rechts droht, zeigt dieser Band. Darunter plakative, wie die Zahl von Todesopfern linker und rechter Gewalt 1990 bis 2024 im Vergleich auf einer Deutschlandkarte: links 4 Punkte; rechts die gleiche Karte mit unfassbaren 238 Punkten.Dazu auch viel Mutmachendes. Wer sich wo und wie kreativ gegen Rechtsextre­mismus wehrt. In Tirol das Schlagwort "Volkskanzler" als eigene Marke ­sichern. Oder Nazis vor einem Festival das Bier wegkaufen. Ziemlich genial!

Correctiv: 100 Karten über Rechtsextremismus. Katapult-­Verlag. 192 Seiten, 26 Euro.

Nicht vergessen

In Kolumbien wurde 2016 Frieden geschlossen, nach mehr als 50 Jahren Krieg. Doch nach wie vor sterben fast täglich Menschen: weil sie nicht bei der Drogenmafia mitmachen. Oder weil sie sich für Menschenrechte stark ­machen.

Diese poetische Reportage spürt einem Femizid nach: Maritza, 61, Bäuerin, musste sterben, weil dieses Land nach wie vor korrupt und von einer Machokultur geprägt ist. Berührend.

Emilienne Malfatto: Die Schlangen werden dich holen. Eine literarische Recherche aus Kolumbien. Orlanda-­Verlag. 132 Seiten, 20 Euro

Freu dich einfach!

Das schreibt Jule an ihre Freundin ­Paula. Jule, selber Ärztin, hat die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs ­bekommen. Sie schreibt ihrer alten Schulfreundin Paula, Radiomoderatorin, und es entspinnt sich ein gar nicht so trauriger Briefwechsel zwischen Chemotherapie und Alltag. Zum Beispiel über die Frage, ob ein Fleurop-Abo sich noch lohnt . . . Paula lernt viel von der Kranken. Unter anderem: sich freuen.

Gisela Steinhauer, Verena Welschof: Ich bin noch nicht weg. BoD. 145 Seiten, 16,99 Euro.

Ein Tausendsassa

Albert Schweitzer, geboren 1875, Doktor der Theologie und Philosophie, Musiker und Arzt. Sein Motto: Ehrfurcht vor dem Leben. In Lambarene im heutigen Gabun baute er ein Krankenhaus auf, er war ­Pa­zi­fist und Atomwaffengegner, ein ­großer Denker.

Was Schweitzer um- und antrieb – das beschreibt diese kurzwei­li­ge Biografie von Alois Prinz, der für sein Gesamtwerk mit dem Deutschen Jugend­literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Alois Prinz: Albert Schweitzer. Radikal menschlich. ­Gabriel-Verlag. 266 Seiten, 18 Euro, ab 12 Jahren.

Für Suchende

Der Religion geht die Puste aus? Keineswegs. Ja, die Kirchenmitglieder werden weniger, aber die Erleuchteten, die Suchenden, die Fragenden, auch die Dunkel­grünen, wie der Autor sie nennt, werden mehr. Wolf-Andreas Liebert, Sprach- und Kulturwissenschaftler an der Universität Koblenz, erkundet das Spektrum der Spiritualität in all seiner ­Widersprüchlichkeit. Die Leserin erfährt viel über die Gegenwart und, so der Untertitel, "neue ­Formen des Religiösen und ihre Bedeutung für die Gesellschaft". Sehr spannend, wie Liebert ab­leitet, dass aus "Erwachten" in bestimmten Zusammenhängen fundamentalistische "Helden" werden müssen. Oder wenn er ausführlich von seiner Feldforschung erzählt – der Teilnahme an einem Retreat mit dem Erfolgsredner und Bestsellerautor Eckhart Tolle.

Wolf-Andreas Liebert: Graswurzelglaube. Kösel. ­176 ­Seiten, 20 Euro.

Erste Frauen

Manches erscheint einem heute so selbstverständlich, als wäre es schon immer so gewesen. Beispielsweise, dass es evangelische Pfarrerinnen in Deutschland gibt. Damit brüsten die Protestanten und Protestantinnen sich ja gern gegenüber ihren katholischen ­Geschwistern. Schön, dass das heute geht. Aber es ist noch gar nicht lange her, da waren auch in den evangelischen Kirchen ­Pfarrerinnen die Seltenheit oder gar nicht erlaubt. In Schaumburg-­Lippe etwa dürfen Frauen erst seit 1991 Pfarrerinnen werden. Das schöne Buch "Die Ersten" porträtiert nun einige der ersten Pfarrerinnen im Bereich der heutigen Kirche von Berlin, Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz. Diese beeindruckenden Frauen wurden von der Londoner Fotografin Billie Scheepers mit tollen Fotos gewürdigt.

Rajah Scheepers: Die Ersten. Frauen erobern die Kanzeln. Evangelische Verlagsanstalt. 256 Seiten, 38 Euro.

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